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«Für uns ist die Zertifikatspflicht eine absolute Schikane»

Und wieder bleiben die Gäste weg: Zwei Wochen nach Einführung der Zertifikatspflicht ziehen Wirte, Fitnesscenter-Betreiberinnen und Kulturveranstalter eine düstere Bilanz.

Marc Aeschlimann, Copyright: Yann Staffelbach

Roman Bertschi und Hannah Frei

Marc Aeschlimann hat die Nase voll. «Für uns ist die Zertifikatspflicht eine absolute Schikane», sagt der Geschäftsführer des Hotel Bären in Twann. Nicht nur, weil ihm seit der Einführung vor etwas mehr als zwei Wochen die Gäste fehlen. Im Vergleich zu anderen Septembern habe er bisher ein Drittel weniger eingenommen. Schlimmer sei jedoch, dass sein Team schon mehrfach verbal angegriffen worden sei, von solchen, die ohne Zertifikat ins Restaurant wollten. Und die neue Massnahme zwinge ihn zu dem, was er seit der Wiedereröffnung nach dem zweiten Lockdown eigentlich mit allen Mitteln zu verhindern versuchte: Kurzarbeit für die Angestellten.

Seit zweieinhalb Wochen gilt in Innenräumen von Restaurants, in Fitnesscentern sowie an kulturellen Anlässen und in Museen eine Zertifikatspflicht. Eine Umfrage bei Betrieben in der Region zeichnet ein düsteres Bild.

 

Leere Hotelzimmer

In Twann bei Aeschlimann steht und fällt der Umsatz zurzeit mit dem Wetter: Bei Sonnenschein können er und sein Team auf die ausgiebige Terrasse mit Seeblick setzen. Dort brauchen die Gäste kein Covid-Zertifikat. Aber auch zahlreiche Banketts und Familienfeiern seien aufgrund der neuen Massnahmen abgesagt worden. Zudem bleiben viele Hotelzimmer leer, obwohl man für den Hotelbesuch kein Zertifikat benötigt – fürs Frühstück oder das Abendessen hingegen schon. Das mache einen Hotelbesuch für Ungeimpfte unattraktiv. «Viele Gäste sagten mir, so mache es ihnen keine Freude mehr», sagt Aeschlimann.

Auch im indisch-italienischen Restaurant Casa Miracoli in Biel hat die Zertifikatspflicht Spuren hinterlassen: Mittags komme im Schnitt nur noch die Hälfte der Gäste, sagt Geschäftsführer Prittal Singh. «Am Freitagmittag war es besonders schlimm: Wir haben zehn Menüs verkauft, normalerweise sind es 40 bis 50.» Zum Herbsteinbruch seien die Plätze drinnen in der Regel besonders gefragt, nun seien es aber die Aussenplätze – dort darf auch ohne Zertifikat gespeist werden.

Bei den Kontrollen hat Singh anders als Aeschlimann keine schlechten Erfahrungen gemacht. Die Leute seien kooperativ, legten ihr Zertifikat von sich aus auf den Tisch, was Singh und seinem Team die Arbeit erleichterte. Bisher seien lediglich vereinzelt Leute ohne Zertifikat gekommen. Diese fanden draussen Platz, ohne zu murren, so Singh. Zu Stosszeiten seien die Kontrollen aufwendig, dann, wenn Bestellung, Begrüssung und Bedienung aufeinander fallen. Aber daran müsse man sich wohl noch gewöhnen, sowohl das Team als auch die Gäste. Ganz wohl dabei ist Singh aber nicht: «Wir fühlen uns manchmal wie Polizisten.»

 

Blöde Sprüche am Eingang

Andere aus der Branche würden am liebsten gar nicht mehr über das Zertifikat sprechen, so etwa Daniel Schneider vom Restaurant St. Gervais und dem Club Le Singe. Klar würden weniger Leute kommen, klar gebe es ab und zu Diskussionen und blöde Sprüchen an der Kasse. «Aber ich wünsche mir, dass das Thema Corona nicht mehr mein Leben beherrscht», sagt Schneider. Wie stark sich die Zertifikatspflicht auf den Umsatz auswirkt, zeige sich erst dann, wenn es draussen kälter werde und die Ausweichmöglichkeit auf die Terrasse verschwinde. Im «Le Singe» sei man vor jedem Abend gespannt, ob und wie viele kommen werden. Fest steht: «Wir legen jedes Wochenende viel Geld drauf», so Schneider.

Besser sieht es im Bieler Kunsthaus Pasquart aus: Es kämen zwar auch bei ihnen weniger Besucherinnen und Besucher, diese seien aber alle verständnisvoll und kooperativ, sagt die Medienverantwortliche Manon Engel. Die Kontrollen bedeuten zusätzlichen Aufwand, «aber das Publikum verteilt sich gut, es kommen nicht alle gleichzeitig». Dass die Maske vom Zertifikat abgelöst wurde, werde vom Publikum positiv aufgenommen. So könne man sich freier im Kunsthaus bewegen. Das Pasquart empfiehlt jedoch weiterhin, eine Maske zu tragen.

 

Kaum neue Kunden

Und was bedeutet die Zertifikatspflicht für die Fitnesscenter? Frühzeitige Abo-Kündigungen seien bisher kaum ein Thema, sagt Nicole Brunner vom City-Fit Grenchen. Rechtlich gesehen wäre dies ohnehin schwierig umzusetzen. Es fehlen jedoch die Neuabschlüsse, so Brunner. Um 17.30 Uhr, also kurz vor der Stosszeit, sei zurzeit oft gerade mal ein Trainingsgast im Center. Normalerweise sei zu dieser Zeit praktisch kein Crosstrainer mehr frei. Es entfallen Verlängerungen und Neuabschlüsse, die Umsätze brechen ein. Brunner versteht jeden ihrer Kunden. Doch wenn man nach Norwegen schaue, wo dank einer Durchimpfungsrate von 84 Prozent die Massnahmen eingestellt werden konnten, wünsche sie sich einen solchen Weg auch für die Schweiz. «Es braucht jetzt ein rasches Ende der Krise, damit die Wirtschaft wieder in Schwung kommt.»

Simone Gonzalez schloss ihr Fitnesscenter, Fitness for woman, in Lyss bereits im April. Momentan bietet sie noch Group-Fitness-Kurse für maximal 30 Personen an. Diese fallen nicht unter die Zertifkatspflicht. «Die Branche leidet seit eineinhalb Jahren», sagt sie. Nun geht es auf die Wintermonate zu, die Zeit, in der Fitnesscenter normalerweise die stärksten Umsätze machen. Dass die Zertifikatspflicht in diese Zeit falle, bedeute für viele in der Branche einen weiteren Tiefschlag.

Ein schnelles Ende der Zertifikatspflicht ist zurzeit nicht in Sicht: Die Massnahme gilt bis am 24. Januar 2022.

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