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Biel

«Gott ändert sich nicht»

Sie lebt mit ihrer Frau zusammen und ist Pfarrerin in der Zürcher Landeskirche. Er war früher eine Frau, studierte Theologie und ist Make-up-Artist.

Es ist die erste Pride-Woche, die in den kommenden Tagen in Biel stattfindet. Bild: Keystone
  • Dossier

Am Sonntag eröffnen Priscilla Schwendimann und Ari Lee gemeinsam mit fünf weiteren Personen mit einem Gottesdienst die erste Bieler Pride.

Priscilla Schwendimann

Ari Lee

Sie merkte als Teenager, dass sie irgendwie anders war als alle um sie herum. Bis D.* zwölf Jahre alt war, lebte sie bei den Grosseltern, absolut kirchenfern. Dann sollte sie zur Mutter ziehen, die in engstirnig freikirchlichen Kreisen lebte. Ab dem 14. Lebensjahr interessierten sie Frauen. Sie dachte, sie sei lesbisch und verschwieg es erst. Der Mutter zuliebe passte sie sich an. Unterdrückung. Konversionstherapie. Exorzismus. «Man brachte mir bei, heterosexuelle Heirat oder lebenslanges Barbeque», sagt Ari. Ari ist D.*. Ari ist heute ein Mann. Ari ist endlich Ari.

«Man lernt mit den inneren Spannungen umgehen», sagt Priscilla Schwendimann. «Wenn das gelingt, schafft man es auch, die Äusseren zu ertragen.» Seit dem ersten August hat die 28-jährige Schwendimann eine feste Pfarrstelle in der reformierten St. Peter Kirche in Zürich. Eine Stelle, die extra für sie geschaffen wurde und auf drei Jahre befristet ist. Sie ist auf die Bedürfnisse von LGBTQ+-Menschen fokussiert (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Queere). Die reformierte Kirche ist zwar im Gegensatz zur katholischen viel offener gegenüber Diversität.

Schwendimann ist auch bei Weitem nicht die erste homosexuelle Pfarrerin in der reformierten Geschichte. Doch Anfeindungen und Vorbehalte erlebt auch sie. Und gerade deshalb sei es wichtig, für sich und andere zu kämpfen und da zu sein. Die Freikirche, in der sie aufgewachsen war, sei wie eine Familie gewesen für sie. Das vermisse sie heute noch. Den Teil der Gemeinschaftlichkeit, des Zusammenhaltes und der locker gestalteten Gottesdienste. Doch ihre Liebe zu einer Frau führte zum Bruch.

Die heterosexuelle Heirat war für D. Mitte 20 zwar nicht ganz das Richtige, doch gleichzeitig der Weg, von zu Hause wegzukommen. Die Ehe sollte 20 Jahre halten und zwei Kinder hervorbringen. Zwar aus den engen Fängen der Freikirche gelöst, doch den Glauben zu Gott stets in sich tragend, fand D. zum Theologiestudium in Genf, absolvierte den Bachelor und arbeitete schliesslich in der Gemeindearbeit, als Katechetin und gar als Pastorin in mennonitischen Gemeinden, erst in La Chaux des Fonds, später in Moutier. Dann outete sich ihr Mann. Er war transgender.

Spiessrutenlauf
«Gott hat sich nicht geändert», so Schwendimann, «sondern wie ich sie sehe.» Sie wollte und wolle noch immer weiterhin glauben. Nur einfach anders. Losgelöst von traditionellen, konservativen, patriarchalen Strukturen. «Gott war es auch, der mir schliesslich half, zu sein, wer ich bin», sagt sie. «Denn Gott liebt ja alle Menschen. Es sind die Institution, und die verhärteten Strukturen aus vergangener Zeit, die etwas anderes suggerieren.» Dass das Komitee der ersten Bieler Regenbogen-Woche «PrideBielBienne» sie nun angefragt hat, den Eröffnungsgottesdienst zu halten, dass man überhaupt mit einem Gottesdienst in die Pride-Woche starten wollte, das sei «richtig cool!». Das zeige ihr, dass es eben auch Bedürfnis nach Spiritualität, nach Religion, nach Glauben, vielleicht gar nach Gott in der LGBTQ-Community gebe. Beziehungsweise, dass es ausgesprochen werde, dass man dazu stehen kann. Und will. Sich nicht vor Furcht vor Abweisung und Ablehnung fälschlicherweise zurückhält. Denn das Thema Kirche und sexuelle Diversität spannt schliesslich noch immer auf beiden Seiten.

Auf einmal war D. klar, was mit ihr los war. Als ihr damaliger Ehemann sein Coming-Out hatte als Transfrau und seine Transition angefangen hatte, fing sie sich selber die ganzen Fragen zu stellen an. «Erst da habe ich mir überhaupt erlaubt, in diese Richtung zu denken», sagt Ari Lee. «Und so selbst gemerkt, dass ich auch trans bin.» Es kam, wie es kommen musste. D. outete sich ebenfalls. «Ich wollte meinen Noch-Ehemann in diesem Spiessrutenlauf nicht alleine lassen. Obwohl mir klar war, was passieren würde.» Die Gemeinde enthob sie ihres Amtes, sie trat aus. Begann ihren Weg zum Mann. Und machte eine Ausbildung zum Make-up-Artisten. Ein Jugendtraum. «Ich mache das unglaublich gerne, vor allem auch mit Transmenschen, Transfrauen, um zu helfen, feminisierendes Makeup aufzutragen. Weiblichkeit hervorzubringen», so Lee.

Hoffnung
Der Eröffnungsgottesdienst der Pride-Woche wird unter anderem auch mit Blick auf die Abstimmung «Ehe für alle» sein. Sowohl Schwendimann als auch Lee setzen sich aktiv dafür ein. Für Gleichberechtigung. Sie wollen anderen das Leid ersparen, das sie erleben mussten. Wollen die Welt mitgestalten und mittragen. «Ich möchte für andere da sein, so wie ich mir gewünscht hätte, dass jemand für mich da gewesen wäre damals», sagt Schwendimann. Denn in einer Gemeinschaft gehe es doch darum, gegenseitig getragen zu werden. Und auch gegenseitig füreinander zu glauben. Und ganz wichtig für die junge Pfarrerin: «Zu wissen, dass Gott an mich glaubt. Immer. Auch wenn ich mal an ihm zweifle.»

«Ich bin noch dabei, nach meiner ganzen Geschichte, Gott für mich neu zu entdecken.» Seit einem Jahr wohnt Ari Lee nun mit den beiden Kindern aus der Ehe als D. in Biel. Die Pandemie legte seinen neuen Job als Make-up-Artist dann erst einmal auf Eis. Der 46-Jährige schloss sich hier der französisch reformierten Landeskirche an, denkt nach, eine von der Kirche mitunterstützte Anlaufstelle für «queere und weitere Lebensfragen» ins Leben zu rufen und wird ab dem Herbstsemester «endlich» den Master in Theologie in Bern anfangen. «Dann Vikariat.» Pause. «Und später dann hoffentlich eine Stelle als Pfarrer. Egal, wer ich bin.» Vera Urweider

*Name der Redaktion bekannt

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