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Biel

Hipster-Chic und harte Arbeit

Heute feiert «La Werkstadt» ihren zweiten Geburtstag. Leiter Martin Günter zeigt sich zufrieden mit der Entwicklung des Ortes
 für Innovation und Austausch – auch wenn er einen zweiten Anlauf brauchte.

Martin Günter hat in «La Werkstadt» auch schon städtische Behördenmitglieder zum Workshop empfangen. Peter Samuel Jaggi
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Tobias Graden

An der Ecke Guisanplatz/Spitalstrasse stehen immer Velos, wo sie nicht sollten. Nämlich nicht beim Veloständer etwas nördlich, sondern auf der anderen Strassenseite beim Gebäude, das die Migros beherbergt. Was tun?

Die zuständige Bieler Behörde, die Abteilung Öffentliche Sicherheit, hat den Fall «La Werkstadt» vorgeschlagen. An diesem Beispiel übten sich Nachwuchs-Führungskräfte zur Lösung des Problems im so genannten Design Thinking. Diese Methode hat zum Ziel, den Innovationsprozess zu vereinfachen, zu beschleunigen und am Kunden auszurichten. Statt dass ganze Abteilungen eines Unternehmens monatelang ein neues Produkt entwickeln und sich so auf einen faktisch schwer veränderbaren Weg begeben, sieht die Methode des Design Thinking den raschen Einsatz von Prototypen vor, und sei es vorerst auch nur im Modell. Diese werden dann getestet, die Rückmeldungen der Nutzer – also des Marktes – führen zu Verbesserungen und der Prozess so schliesslich zum neuen Produkt, das die Lösung für eine bestimmte Zielgruppe sein soll und nicht die perfekte Lösung für alle sein muss. Rasch können so Fehlentwicklungen erkannt und unnötige Kosten vermieden werden.

Für das Velo-Problem bauten die Workshop-Teilnehmer also Prototypen mit Lego-Steinen. Sie verstellten den Platz mit Blumentrögen, überdachten den bestehenden Veloständer oder entwarfen die Idee, fehlbare Veloparkierer mit einer witzigen Botschaft auf einem geschenkten Sattelüberzug auf den rechten Parkplatz zu bringen.

 

Ein Angebot für KMU
Die Episode zeigt, wofür ein Teil des Angebots von «La Werkstadt» steht: Sie bietet Beratungs- und Trainingsdienstleistungen nach der Methode des Design Thinking an, und zwar auf einfache und pragmatische Weise, so dass auch KMU in der Region davon profitieren können. «La Werkstadt» selber sei nach dieser Methode entwickelt worden, sagt Leiter Martin Günter.

Zwei Jahre besteht der neuartige Ort nun an der Bahnhofstrasse in Biel, wo vorher jahrzehntelang die Firma Perrenoud ihr Geschäft für Bürobedarf führte. Günter ist mit der Entwicklung zufrieden. Die Zahl der Mitglieder beträgt mittlerweile gut 120. Sie zahlen 720 Franken pro Jahr, erhalten aber sogleich wieder 400 als Guthaben für die Angebote des Hauses, die sie zu vergünstigten Konditionen erwerben können. Diese Angebote umfassen etwa die Miete von Räumlichkeiten, Trainings, Workshops, Events oder auch Leistungen in puncto Gastronomie.

 

Neustart mit Creaholic
Allerdings benötigte «La Werk-stadt» einen doppelten Anlauf. Ins Leben gerufen von der Swisscom, erlebte sie einen zweiten Anfang im Frühling 2017 als Teil einer umfassenderen strategischen Partnerschaft zwischen der Swisscom und der Bieler Innovationsfirma Creaholic. Letztere übernahm vom Telekom-Konzern die Abteilung Human Centered Design und mit ihr 25 Mitarbeiter, die Swisscom beteiligte sich mit fünf Prozent an der Creaholic und hat seither ein Exklusivrecht an deren Arbeit im Bereich Telekommunikation, und Creaholic übernehme die operative Führung von «La Werkstadt», hiess es damals in der Medienmitteilung.

Das war zwar nicht der Fall, doch mit Hilfe von Creaholic wurde «La Werkstadt» neu konzipiert und positioniert. Marcel Aeschlimann, Teilhaber und Co-Geschäftsführer von Creaholic, sagt es so: «Wir arbeiten unterstützend und beratend zusammen.» Zudem nutze Creaholic «La Werkstadt» intensiv, und Swisscom-Personal sei auch oft bei Creaholic zu Gast. Die übernommene Abteilung ist derweil nicht nur zusammengeblieben, sondern gar gewachsen, Creaholic zählt heute insgesamt 60 Mitarbeiter. «Die Zusammenarbeit hat sich zu 50 Prozent über den Erwartungen entwickelt», sagt Aeschlimann.

 

Nuno, David, Chrigu
Zurück an die Bahnhofstrasse 5. Auf einem Bildschirm im Erdgeschoss die Überschrift: «Skills in the House.» Es ist eine Auflistung, welches Mitglied mit welchem Spezialgebiet sich gerade in «La Werkstadt» befindet, die neben dem übrigen Angebot auch ein Co-Working-Space ist. Da ist Nuno, ein Spezialist für die Blockchain. David, «Fixed Access Network Solution Manager». Christoph, «Ideengeber, kreativ, Querdenker». Chrigu, unter anderem «Business Analyst». Und weitere – «La Werkstadt» lebt vom Kontakte knüpfen, der Nutzen der Mitglieder steigt, je mehr sie sind.

Wer zum ersten Mal einen Blick in den Raum im Erdgeschoss wagt, könnte den Ort für eine Hipster-Kaffeebar halten. Informationen sind von Hand auf Schiefertafeln geschrieben, an einer Säule finden sich Bilder zufriedener und lächelnder Menschen, das Interieur ist vielseitig und funktional, verströmt aber auch Gemütlichkeit, auf allzu viele Bildschirme wird verzichtet, sofort ist man per Du. All dies soll den Austausch und die Kreativität fördern, den spielerischen Umgang mit Ideen, und letztlich zu besseren Lösungen führen. Messbar ist dies nicht, quantifizierbar noch weniger, doch Martin Günter ist überzeugt: «Je digitaler unsere Welt wird, desto wichtiger ist der physische Kontakt. Darum haben wir die Räume auch im Hinblick auf eine möglichst angenehme Haptik gestaltet.»

Und wer in solchen Räumen vor seinem geistigen Auge vor allem sehr junge, sehr coole Menschen herumlungern sieht, der irrt. Der grösste Anteil der Nutzenden ist zwischen 30 und 45 Jahre alt. Es sind zumeist selbständig Erwerbende in unterschiedlichen Phasen ihres Unternehmertums – und sie sind durchaus zum Arbeiten da.

 

Ende Jahr die schwarze Null
Für die Swisscom ist die Bieler «La Werkstadt» ein Pilotprojekt. «Uns geht es auch darum, einen Ort zu schaffen, an dem wir als Unternehmen auch im digitalen Zeitalter mit der Bevölkerung in Kontakt bleiben können», sagt Martin Günter. Gleichzeitig erhofft sie sich auch eine Imagewirkung – gerade auch damit, dass sie ihren Namen in «La Werkstadt» nicht offensiv vermarktet. Der Betrieb ist fürs Erste auf fünf Jahre angelegt, doch geht es nach Günter, soll sich «La Werkstadt» schon vorher als feste Adresse etabliert haben. Bis Ende Jahr will er mit seinem kleinen Team eine schwarze Null schreiben – «und wenn wir es in Biel schaffen, einen solchen Ort rentabel zu betreiben, dann sollte dies auch in anderen Städten möglich sein». Konkrete Pläne, das Konzept in der Schweiz zu multiplizieren, bestünden derzeit allerdings nicht.

Erstmal wird heute Geburtstag gefeiert: Mit offenen Türen, einem «Learning Lunch» mit Rea Schegg von Georg Fischer Machining Solutions und dem Startschuss zu einer Serie von öffentlichen Konzerten, die künftig jeden ersten Mittwoch des Monats stattfinden sollen.

Und vielleicht findet auch die Stadt noch Gefallen an den Vorschlägen des Design-Thinking-Workshops? Derzeit stehen die Velos an der Ecke Guisanplatz/Spitalstrasse jedenfalls immer noch am selben Ort.

Info: Offene Türe heute ab 9 Uhr, Konzert um 18 Uhr. La Werkstadt, Bahnhofstrasse 5, Biel.

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