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Leben und Glauben

«Ich begann, mein Gottesbild zu hinterfragen»

Vital Waeber und Daniel Siegrist haben den dreijährigen Theologiekurs der reformierten Kirche in Biel absolviert. Das hat ihnen einen neuen Blickwinkel auf Gott und die Bibel eröffnet. Am 21. August findet ein Informationsabend zum Kurs im Herbst statt.

Daniel Siegrist (links) und Vital Waeber: Spannende Diskussionen über Religion zwischen den Kursteilnehmern und den Dozenten empfanden beide als bereichernd.Peter Samuel Jaggi

Interview: Brigitte Jeckelmann
Daniel Siegrist, Vital Waeber, was hat Sie dazu gebracht, sich drei Jahre lang in einem Kurs mit Theologie zu beschäftigen?
Vital Waeber: Seit meiner Kindheit hat mich die Religion nicht losgelassen. An Gott zu glauben kam mir mit der Zeit aber irgendwie komisch vor. Dann ist mir ein Buch eines kanadischen Philosophen in die Hände gefallen, das mir zu denken gab. Es hat in mir den Wunsch geweckt, mich in das Thema Religion zu vertiefen. Der Kurs hat mein Interesse noch verstärkt und mich darin bestätigt, mich weiterhin mit Religion auseinanderzusetzen.
Daniel Siegrist: Religion hat mich schon immer interessiert. Ich bin in Kolumbien geboren und aufgewachsen. Als Reformierter war ich als Kind in dem katholisch geprägten Land ein Exot. Zudem habe ich eine jüdische Schule besucht. Dadurch kam ich in Berührung mit dem Judentum, dem Katholizismus und dem Protestantismus. Der Theologiekurs hat mir Gelegenheit geboten, die Themen zu vertiefen. Der Aufwand von einmal wöchentlich zweieinhalb Stunden ist gerade richtig, der Kurs ist dennoch dicht an Informationen. Der Vorteil: Man macht es für sich, es gibt keine Prüfungen, jeder leistet so viel Vor- und Nachbereitungsarbeit, wie er kann und mag.

Wie kann man sich einen solchen Kursabend vorstellen?
Waeber: Ich habe es spannend gefunden, unter Anleitung der Dozenten Bibeltexte sehr genau und im Detail zu lesen. In der Theologiegeschichte hat sich gegenüber dem letzten Jahrhundert unglaublich viel geändert in Bezug darauf, wie man heute Bibeltexte interpretiert. Da jeder einen anderen Zugang zu den Texten hat, haben sich daraus spannende Diskussionen in der Gruppe ergeben. Wir waren etwa 20 Frauen und Männer.
Siegrist: Man könnte ja auch für sich alleine zuhause etwas lesen, das einen interessiert. Der Austausch mit den anderen Teilnehmern ist aber ein grosses Plus des Kurses: Es sind nicht einfach Vorlesungen, bei denen der Dozent zwei Stunden redet und die Teilnehmer zuhören, sondern es war interaktiv. Man hat immer wieder diskutiert. Das hat mir gefallen.

Der Kurs dauert drei Jahre. Was hat er bei Ihnen bewirkt?
Siegrist: Mein Gottesbild hat sich verändert. Wie, ist schwierig zu erklären. Was sicher eine Rolle gespielt hat: Ich habe am Kurs viele Dinge gelernt, die ich vorher nicht gewusst hatte.

Was zum Beispiel?
Siegrist: Die Zeit, von der die Bibeltexte erzählen, ist nicht dieselbe Zeit, wie die, in der sie entstanden sind. Die Bibel wurde auch nicht in der Reihenfolge geschrieben, wie wir sie kennen. Es gibt Kapitel, die am Anfang stehen, aber tatsächlich erst viel später dazukamen. Während des babylonischen Exils schrieben mehrere Personen die bisher mündlich überlieferte Geschichte der Juden nieder. Das war ganz wichtig, um dem Volk im Exil eine Identität zu geben.
Waeber: Ich hatte mir vorher nie überlegt, dass die ersten Christen Juden waren. Den Unterschied, den man heute zwischen Christentum und Judentum macht, müsste man viel differenzierter betrachten. Für mich waren die Diskussionen in der Gruppe sehr wichtig. Den Austausch miteinander, einander zuzuhören, aber auch andere Meinungen akzeptieren, empfand ich als sehr bereichernd.
Siegrist: Der Zusammenhalt war toll. Alle haben es bedauert, als der Kurs zu Ende war. Inzwischen haben wir uns aber immer mal wieder getroffen, manche Kontakte sind bis heute geblieben. Das finde ich schön.
Waeber: Im letzten Kursjahr waren wir eine Woche in Rom, wo wir uns in Begleitung eines Theologieprofessors die verschiedenen Kirchen anschauten und Erklärungen über die Entwicklung des Christentums in Rom im Zusammenhang mit dem im Kurs Gelernten bekamen.

Kommen wir zurück zu Ihrem veränderten Gottesbild – was genau hat sich verändert?
Siegrist: Das ist kaum in Worte zu fassen. Der Kurs hat bewirkt, dass ich mein bisheriges Bild zu hinterfragen begann. Gott ist sicherlich nicht so, wie ich ihn mir vorstelle. Aber irgendwie muss man ja ein Bild von ihm haben. Ich bin mir über die Verfügbarkeit von Gott nicht mehr so sicher. Deshalb stellt dies für mich das Beten etwas infrage: Hört uns Gott, wenn wir beten? Überhaupt stellten sich im Verlauf des Kurses immer wieder neue Fragen, auf die es keine klaren Antworten gibt. Vieles blieb offen. Und so glaube ich, dass sich mein Gottesbild in einigen Jahren wieder verändern wird. Ich habe zudem gelernt, dass es nicht nur eine Bibel gibt, sondern zahlreiche Übersetzungen davon existieren. Und je nach Übersetzung kann die Bedeutung eines Satzes ganz anders sein.

Welche Bibel sollte man denn nun lesen?
Waeber: Auch darauf gibt es keine klare Antwort. Man lernt, differenzierter über die Bibel nachzudenken, egal welche Übersetzung man gerade liest. Dass sich ständig neue Fragen auftaten, stärkte in mir den Willen, immer weiter nach Antworten zu suchen, am Thema dran zu bleiben.

Glauben Sie an Gott?
Siegrist: Ja.
Waeber: Ich bin etwas hin- und hergerissen. Am Morgen ja, abends dann wiederum nicht mehr. Klar ist: Das Thema Religion finde ich extrem spannend. Es lässt mich nicht los und das empfinde ich als etwas Gutes.

Sind Sie Mitglied bei einer Kirche?
Waeber: Ich bin katholisch aufgewachsen. Heute bin ich bei der Katholischen Kirchgemeinde in Biel, habe mir aber schon ein paarmal überlegt, zum Protestantismus überzutreten. Auf der anderen Seite denke ich aber auch, dass es vielleicht gut ist, wenn es bei den Katholiken Leute mit anderen Ansichten gibt, so wie mich. Die Kirche muss sich ja auch weiterentwickeln. Weltweit ist der Katholizismus ja sehr verbreitet, da ist es nur logisch, dass er menschennäher und praxisrelevanter werden muss. Ich denke da zum Beispiel an den Zwang zum Zölibat und den Ausschluss der Frauen vom Priesterberuf.
Siegrist: Ich gehöre der Evangelischen Kirche Biel an.

Geht es im Kurs nur ums Christentum?
Siegrist: Nein. Wir haben auch ethische Themen behandelt. Zum Beispiel, welches menschliche Leid hinter billigen Textilien aus Bangladesh steht. Auch über das Klima haben wir gesprochen, es gab einen Vortrag eines Klimaethikers.
Waeber: Zudem erhielten wir Einblicke in den Islam und das Judentum von Gläubigen der jeweiligen Religionen. Zudem besuchten wir eine Moschee, einen Hindutempel und eine Synagoge. Damals fand dort gerade das Purimfest statt, wir konnten an den Festivitäten teilnehmen. Die Diskussionen, die sich ergaben, waren sehr interessant und haben einige Vorurteile den anderen Religionen gegenüber ausgeräumt. Den Austausch empfand ich als spannend und hat – wie der ganze Kurs – meinen Horizont erweitert.

Beten Sie?
Siegrist: Ja, das tue ich.
Waeber: Ich meditiere eher.

Wo liegt der Unterschied?
Siegrist: Ich denke, im Gebet spricht man Gott direkt an. Meditieren ist nonverbal, nicht?
Waeber: Genau. Oder vielleicht doch nicht. Ich besuche manchmal mittwochs die Morgenmeditation in der reformierten Stadtkirche. Das nennt sich auch Morgengebet.

Findet in Ihren Gebeten ein Dialog mit Gott statt?
Siegrist: Ja, irgendwie schon. Obwohl ich nicht sagen kann, dass ich mit Gott spreche. Antworten? Die bekomme ich vielleicht in einer ganz unerwarteten Weise.
Waeber: Beim Meditieren gehe ich in die Ruhe. Ich habe Vertrauen und Hoffnung, dass Gott in seiner Liebe dann vielleicht etwas schenkt oder zumindest einfach da ist.

Zu den Personen


Vital Waeber
Jahrgang 1963
Berufsberater am Berufsinformationszentrum Biel
Hobbys: Fotografieren, Lesen, Wandern
Lebt in Biel

Daniel Siegrist
Jahrgang 1963
Medizinischer Laborant, arbeitet im Inselspital Bern
Hobbys: Lesen, Reisen Kochen
Lebt in Biel

Infos zum Kurs


Am 21. August findet von 18.45 Uhr bis 21.15 Uhr ein Informationsabend im Wyttenbachhaus an der Jakob-Rosius-Strasse 1 in Biel statt. Kursbeginn ist am 23. Oktober
Der Kurs richtet sich an alle, die bereit sind, die Grundfragen der Theologie kennen zu lernen. Es sind keine speziellen Vorkenntnisse nötig.
Der Kurs ist keine Grundlage für allfällige berufliche Tätigkeiten.
Zeit: Mittwochs 18.45 bis 21.15 Uhr,
Kosten: 1350 Franken pro Kursjahr.

Kursleitung und Dozenten:
Luzia Sutter-Rehmann, Titularprofessorin für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Basel und Studienleiterin im Arbeitskreis für Zeitfragen der evangelisch-reformierten Kirche in Biel.

Pfarrerinnen/Pfarrer der Evangelischen Kirchgemeinde in Biel:
Jean-Eric Bertholet
Kathrin Rehmat
Stefan Wälchli bjg

Stichwörter: Kirche, Gott, Glauben

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