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Der atheistische Gegenpapst

In bayerischen Verwaltungsgebäuden muss seit Anfang Juni ein Kruzifix hängen. Der Walliser Lehrer Valentin Abgottspon wurde fristlos entlassen, als er das Kreuz in seinem Schulzimmer abhängte. Der Liebe wegen ist der Freidenker nach Lyss gezogen.

Sicher nicht die Bibel, sondern andere Unterlagen benützt Valentin Abgottspon für seine Arbeit als Ritualbegleiter. Bild: Susanne Goldschmid / Bieler Tagblatt

Beat Kuhn

Es ist eine der ersten Anordnungen des neuen bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU): Seit 1. Juni muss «im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes» gut sichtbar ein Kreuz hängen, und zwar « als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns».

Böse Zungen meinen indessen, dass er mit dieser Massnahme vielmehr das christliche Symbol für die Politik instrumentalisiere, für die Landtagswahlen im nächsten Herbst. Sogar der Münchner Kardinal Reinhard Marx gibt ihm nicht seinen Segen dazu, sondern moniert, die Massnahme erzeuge «Spaltung und Unruhe».

«Bayern ist das Wallis von Deutschland», kommentiert Valentin Abgottspon die «Söderei», wie er die Anordnung nennt, lakonisch. Die umstrittene Massnahme kennt er nur aus den Medien. Die Kruzifix-Pflicht im Wallis hat der 38-Jährige hingegen am eigenen Leib erfahren. Sein Aufbegehren gegen diesen Zwang machte ihn 2010 schweizweit bekannt.

Der Liebe wegen nach Lyss

Kaum bekannt sein dürfte hingegen, dass der Walliser heute in Lyss wohnt, obwohl er auch hier bereits öffentlich in Erscheinung getreten ist: Er hat auf der Liste «Piraten und Freidenker» für den Grossen Rat kandidiert – allerdings ohne Erfolg.

Ins Seeland gezogen ist der gebürtige Walliser der Liebe wegen: Seine Partnerin – Kinderärztin von Beruf – lebte in Bern. Zusammen sind sie nun in Lyss – Zitat –«wohn- und sesshaft». Das Paar, das eine zweijährige Tochter hat, ist übrigens verheiratet, denn juristisch ist die Ehe bei uns etwas rein Weltliches. Kennengelernt haben sich die zwei auf sehr spezielle Art: «Meine Frau sah mich im Fernsehen und beschloss:‹Den will ich.›» So gesehen hatte der Eklat, der Abgottspon diesen TV-Auftritt eingebracht hatte, doch auch noch etwas Gutes.

Das hätte er sich im Herbst 2010 allerdings nicht träumen lassen, als er seine Stelle an der Oberstufenschule Stalden im Oberwallis verlor. Nach vier Jahren wurde er von der Schulbehörde fristlos entlassen. Der Grund: Er hatte im Frühling 2009 das in den Schulen des Kantons übliche Kruzifix aus seinem Klassenzimmer verbannt. Schulunterricht soll seinem Verständnis nach nämlich «frei von religiösem Bekenntnis» sein.

Bei seinem Schritt stützte sich Abgottspon auf ein Bundesgerichtsurteil von 1990, wonach ein Kreuz im Klassenzimmer das Prinzip der Religionsfreiheit verletzt. Die Behörde hielt dagegen, dass die Schule die Kinder laut kantonalem Bildungsgesetz «auf ihre Aufgabe als Mensch und Christ» vorbereiten müsse.

Das Kantonsgericht, bei dem Abgottspon die fristlose Entlassung anfocht, gab ihm zwar recht. Der Schulbehörde warf das Gericht aber einzig vor, dass sie den Lehrer vorgängig nicht ausreichend gemahnt habe. Und da Abgottspon somit obsiegte, konnte er das Urteil nicht ans Bundesgericht weiterziehen, «das sich wohl ausführlicher geäussert hätte».

Morddrohungen erhalten

Beim Konflikt mit der Schulbehörde spielte sicher auch eine Rolle, dass Abgottspon am 1. Mai 2010 eine Sektion der Freidenker-Vereinigung der Schweiz (FVS) mitgegründet hatte. Diese ist das Sammelbecken der Atheisten im Lande. Das muss im Wallis, dieser Hochburg des Katholizismus, etwa so gewirkt haben, wie wenn sich «dr Tiifu» leibhaftig im Kanton eingenistet hätte, um ihn zu einem Hort des Satanismus zu machen.

Anders lässt sich nicht erklären, dass Abgottspon, als er durch die Medien Bekanntheit erlangte, einen wahren Shitstorm erlebte, Hassmails bis hin zu expliziten Morddrohungen. «Das war eine dunkle Zeit», blickt der Hüne zurück, der weder Tod noch Teufel zu fürchten scheint. Besonders perfid: «Die Krebserkrankung meiner Mutter wurde teils dem Unglauben des Sohns angelastet.»

Seine Mutter – die sich wieder erholt hat und noch lebt – erwähnt Abgottspon mehrfach im Gespräch. Vor ihrer Art der Gläubigkeit hat er grosse Achtung. «Respekt habe ich vor jedem Gläubigen als Person», fügt er an, «aber die Idee, dass es einen Gott gebe, lehne ich ab.» Wobei er einräumt, dass die einengende Art und Weise, wie das Christentum im Wallis traditionell gelebt wird, entscheidend für die Heftigkeit seiner Opposition ist.

Im Bernbiet, das vor 500 Jahren geschlossen zur Reformation übertrat, hätte er wohl kaum in einem solchen Mass religiös rebelliert. Von seinen Ursprüngen her ist Abgottspon durch und durch Walliser, bis hin zu seinem Namen: «Abgottspon» bedeutet «der aus Gspon», weiss der studierte Germanist. Gspon ist ein Weiler bei Staldenried, in dem sich «der höchstgelegene Fussballpatz Europas» befindet, so der ehemalige Hobbyfussballer. Mit Gott hat Abgottspon also auch sprachlich nichts am Hut. Für seinen Vornamen hat er allerdings gleich mehrere Heilige als Namenspatrone.

Berufswunsch Priester

In den Medien wird kolportiert, der Berufswunsch des Atheisten sei Priester gewesen. Das ist zwar nicht völlig falsch – aber nur sehr bedingt richtig: Für das «Poesiealbum» einer Mitschülerin wurde der kleine Valentin einmal nach seinen Plänen im Erwachsenenalter gefragt. Da habe er reingeschrieben, dass er Priester werden wolle. «Ich habe einfach überlegt, in welchem Beruf man möglichst wenig mit dem weiblichen Geschlecht zu tun hat, weil ich Mädchen damals nicht ausstehen konnte», sagt er. «Zudem gefiel mir die Vorstellung, dass man als Priester ein ganzes Haus zur Verfügung hat, in dem man den ganzen Tag lesen kann.»

Neben einem Teilzeitpensum als Lehrer in Courtelary verdient Abgottspon heute als Ritualbegleiter Geld und weibelt als Vizepräsident der nationalen Freidenker-Vereinigung für seine Sache. In einem gewissen Sinn ist er also durchaus Prediger geworden.

 

INFOBOX:

In SRF-«Sternstunde» und dann live in Biel
Am Sonntag um 10 Uhr ist Valentin Abgottspon auf SRF 1 in der «Sternstunde Religion» zu sehen. Unter der Leitung von Norbert Bischofberger diskutiert er mit der reformierten Pfarrerin Sibylle Forrer und dem Judaistik-Professor Alfred Bodenheimer über die Forderung der Freidenker und Jungsozialisten, die christlichen Feiertage abzuschaffen.
Am Welthumanistentag vom 21. Juni kann man am Stand der Freidenker in der Fussgängerzone von Biel mit ihm über Gott und die Welt diskutieren. bk

 

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Stichwörter: Lyss, Kruzifix

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