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„Krawattenzwang“

Im „Dessert-Eggeli“ ist immer Platz

Im persönlichen Blog berichtet Bernhard Rentsch, publizistischer Leiter der Gesamtredaktion und Chefredaktor „Bieler Tagblatt“ wöchentlich über Erlebnisse im privaten wie im beruflichen/gesellschaftlichen Leben – dies immer mit einem Augenzwinkern. Heute: Im „Dessert-Eggeli“ ist immer Platz.

Bernhard Rentsch: Krawattenzwang
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Die Speisekarte überzeugt – und verlockt zur üppigen Bestellung. In der Regel zu viel. Da sind bereits wunderbare Vorspeisen aufgeführt. Diese sättigen dann schon zur Genüge, sind aber unverzichtbar. Frisches Brot mit feiner Butter oder kleine, aber viele Amuse-Bouches gehören natürlich ebenfalls dazu. Wir kennen das alle: Im Restaurant auswärts essen wird zur Herausforderung, zumal man ja häufig keinen Einfluss auf die Grösse der Portionen hat: Sich entscheiden, die bestellte Menge essen, das schlechte Gewissen wegen zu vielen Kalorien. Und: Das schlechte Gewissen wegen Foodwaste beim Nicht-Aufessen, das sich mit der Erziehung, dass man seinen Teller zu räumen hat, verbindet. Die härteste Prüfung wartet aber erst, nachdem man sich durch den (feinen) Hauptgang durchgekämpft hat. Die nette Frage nach einem Dessert, verbunden mit einem unverbindlichen Blick in die Karte, führt häufig zum Meinungsumschwung, nachdem man sich vorgenommen hat, diesmal «ganz sicher» keine Nachspeise zu bestellen.

Wie um Himmelswillen soll diese noch Platz finden? Dass die Augen mehr können als die begrenzte Aufnahmekapazität des Magens, ist häufig Realität. Da kommt mir eine Szene in den Sinn, in welcher ein Vater seine Kinder motivierte, den Teller leerzuessen. Auf den Vorbehalt, dass dann wohl kein Platz mehr für das Dessert zu finden sei, kam die prompte Erklärung: «Im ‹Dessert-Eggeli› ist immer Platz». Diese glaubhafte Erklärung überzeugte – die Kinder haben sich diese Tatsache zu Herzen genommen, den Teller leergegessen und das Dessert genossen.

Noch «fieser» ist, was ich kürzlich in einem guten Speiselokal in der Region beobachten konnte: Die Kinder werden nicht nur mit attraktiven Fotos zu einer zünftigen Dessert-Bestellung verführt, sondern können selber in der Küche unter kundiger Anleitung der Profis ihr persönliches Spezialdessert produzieren. Klar, dass da nicht eben bescheidene Portionen den Weg an den Tisch finden.

Schade, dass diese Aktion nur den Kindern vorbehalten ist. Ich kenne den einen oder andern, mich selber nicht ausgenommen, der sich gerne ein Spezialdessert bauen würde. Aus einer Auswahl von Glacen und Zutaten frei wählen zu können, fühlt sich an wie im Schlaraffenland. Kalorien und bereits gefüllter Bauch hin oder her. Denn wie war dies doch gleich? «Im ‹Dessert-Eggeli› ist immer Platz».

brentsch@bielertagblatt.ch
Twitter: @BernhardRentsch

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