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Biel

Jeder soll nach seinem Gusto streichen

Geht es nach der Stadtratsfraktion SVP/Die Eidgenossen, braucht es künftig für das Streichen von Häusern in der Stadt 
keine Bewilligung mehr. Entscheidend soll nur noch sein, ob die Farbe den Nachbarn gefällt.

Laut der SVP bringt es Farbe in die graue Stadt: Doch ob die Nachbarn mit dem Knallorange einverstanden sind? Peter Samuel Jaggi
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Deborah Balmer

«Es darf nicht mehr Sache der Behörden sein, zu bestimmen, welche Farbe ins Strassenbild passt und welche nicht», sagt SVP-Stadtrat Adrian Dillier, «denn bei solchen Entscheidungen ist trotz städtischer Bauordnung oft Willkür im Spiel.» Damit geht der Disput um das knallorange Haus an der Mettstrasse in Biel in die nächste Runde. Künftig sollen Hausbesitzer ihre Gebäude in der Stadt ganz nach ihrem Gusto streichen dürfen.

Wir erinnern uns: Die SVP unterstützte just im Wahlkampf den Hausbesitzer im Quartier Mett, der sein Haus entgegen der Forderung der Stadt nicht umstreichen will. Die Partei unterstützte den Rentner Willi Zysset in seinem juristischen Kampf gegen die Behörden. Stellte ihm einen Anwalt aus den eigenen Reihen zur Seite. Begründung: Das orange Haus bringe Farbe in die graue Stadt. Für die Stadt hingegen hat der Eigentümer das Haus in einem zu stark reflektierenden Orange gestrichen. Die Farbwahl beeinträchtige die Umgebung, heisst es. Eine Baubewilligung hatte er nicht eingeholt.

«Das ist Geschmackssache»

«Was zu bunt ist oder gerade noch geht, ist ausschliesslich Geschmackssache», begründet Dillier seine Forderung. Einverstanden sein mit der neuen Farbe müsste statt der Stadt dann nur noch die Nachbarschaft. Falls diese an der Farbwahl nichts auszusetzen hat, «soll jeder Hauseigentümer die Freiheit und das Recht haben, sein Haus in einer gewählten Farbe zu streichen». Bürgerfreundlich, nennt das Dillier. Er ist der Erstunterzeichner der Motion «Bunte Farben der Freiheit», die die Fraktion SVP/Die Eidgenossen kürzlich im Bieler Stadtrat eingereicht hat.

Eine Ausnahme sieht der Stadtrat, der bis vor Kurzem SVP-Präsident war, einzig in der Altstadt und im Stadtzentrum: Hier sieht er ein, dass die freie Farbwahl den Charakter des Ortsbildes zu stark verändern könnte. Doch was die Aussenquartiere angeht, sagt er: «Es ist doch erfreulich, wenn Hausbesitzer ihre Liegenschaften unterhalten.» Die Stadt dürfe deshalb keine unnötigen Auflagen machen.

Die Motion war angekündigt

Die Fraktion SVP/Die Eidgenossen hatte die Motion bereits angekündigt: Falls die Stadt nicht einlenke, und das Haus an der Mettstrasse nicht orange bleiben dürfe, werde man weitere Massnahmen ergreifen. Nun wollen die beiden Parteien die städtische Bauordnung ändern. «Alles, was weitergeht als die kantonalen Auflagen, soll überflüssig werden», sagt Dillier.

Und dabei geht es ihnen nicht nur um die Farbwahl eines Gebäudes: Hausbesitzer sollen künftig auch frei über die Gestaltung der Aussenräume und über die Gebäudeform entscheiden können. «Es geht nicht, dass der Staat über Privatbesitz entscheidet», so Dillier. Entscheidend soll dafür sein, was die Nachbarn sagen: Sind sie mit der Farbwahl einverstanden? Funktionieren würde das laut Dillier mit einem unabhängigen Bürgerschiedsgericht, das zuvor gemachte Umfragen in der Nachbarschaft beurteilen würde.

Wie die Rechtslage aussieht

Der Bieler Gemeinderat hat den Vorstoss noch nicht behandelt. Stadtplanerin Florence Schmoll erklärt aber die Rechtslage: Die Bauordnung der Stadt gehe bezüglich der Farbwahl bei Gebäuden nicht weiter als die kantonale Gesetzgebung, sagt sie. «Sie konkretisiert nur die kantonalen Bestimmungen.» Das öffentliche Baurecht ist zwingendes Recht. Was die Farbwahl eines Hauses angehe, sei diese im Rahmen des übergeordneten Rechts schon heute grundsätzlich frei. Aber – und das wurde dem orangen Haus zum Verhängnis – Bauten dürfen Ortbilder nicht durch eine störende Farb- oder Materialwahl beeinträchtigen. «Ob eine Beeinträchtigung vorliegt oder nicht, ist Sache der Behörden und nicht der Nachbarschaft.»

Neben der Farbwahl sind also auch die Gestaltung der Aussenräume, die Gebäudeformen und die Gliederung der Bauten und Anlagen durch das kantonale Recht geregelt. Auch hier gilt: Landschaften, Orts- und Strassenbilder dürfen nicht beeinträchtigt werden. Das ist vorgeschrieben. «Eine Abschwächung der Bestimmungen zum Ortsbildschutz/Eingliederung wäre wegen des übergeordneten Rechts gar nicht möglich. Eine Streichung des Artikels in der Bieler Bauverordnung brächte mutmasslich keine Veränderung im Sinne des Vorstosses», ergänzt Schmoll.

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Chronologie eines Farbstreits

• Willi Zysset lässt 2014 die verwitterte, beige-braune Fassade seines zweistöckigen Hauses an der Mettstrasse für rund 27'000 Franken neu streichen. Eine Baubewilligung hatte er nicht eingeholt.
• Das Orange ist der Stadt Biel zu bunt, und sie forderte den Rentner auf, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen.
• Später weist der Kanton die Beschwerde des Ehepaars gegen die Verfügung der Stadt Biel ab. Er schliesst sich der Beurteilung des Bieler Hochbauamtes an, wonach die gewählte Farbe nicht ins Quartier passt.
• Über 4000 Menschen bekunden Solidarität mit Zysset: Sie unterschrieben eine von der SVP lancierte Petition.
• Das bernische Verwaltungsgericht befasst sich derzeit mit dem Haus, da der «Überstreichungsbefehl» der Stadt angefochten wurde. bal

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Ein ähnlicher Fall: das goldene Haus

Wird das orange Haus in Biel am Ende so bekannt wie das goldene Haus in Olten? In Olten lief in den letzten Jahren ein vergleichbarer Streit um ein Haus mit goldenem Dach, das von Weitem zu sehen ist. Für die einen ist es das Wahrzeichen von Olten. Für die anderen glänzt es viel zu stark. Die Behörden und der Bauherr lieferten sich einen Streit, wer im Recht ist. Der Besitzer (ein Architekt) ging bis vor Bundesgericht. Die Lausanner Richter entschieden vor bald zwei Jahren, dass das goldene Dach und die grossen Lukarnen gegen das Baurecht der Stadt verstossen. Auch in Olten hiess es: Eine gewisse Einheitlichkeit in den Quartieren muss garantiert sein. Das goldene Dach in Olten darf also nicht mehr glänzen. Wie es mit dem orangen Haus weitergeht, ist offen. bal

Stichwörter: Oranges Haus, Mettstrasse, SVP

Kommentare

heidy70

Hat es nicht an der Zollstrasse ein Pink farbiges Haus zwischen allen anderen grauen Häusern. Dann müsste ja dieses Mehrfamilienhaus auch umgestrichen werden. Gleiche Rechte für alle. Und gerade jetzt im Winter wo Biel unter einer grauen Nebeldecke liegt, ist so ein Farbtupfer wie die Sonne.


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