Sie sind hier

Abo

Gerichtsfall

Keine Chance auf Flucht in die Verjährung

Nach einer Operation erwacht ein Mann querschnittgelähmt: Zwei Ärzte sollten sich gestern wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung vor dem Regionalgericht Biel verantworten. Doch sie sind gar nicht erst zum Termin erschienen.

Das Regionalgericht Berner Jura-Seeland hat den Fall nur formell beurteilt und den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft als rechtskräftig erklärt. Symbolbild: Adrian Streun/ a

Deborah Balmer

Ein Mann klagt über ständige Rückenschmerzen, hat einschiessende Schmerzen auf Höhe der linken Niere und Bluthochdruck. Sein Hausarzt schickt ihn für urologische Abklärungen zu einem Spezialisten. Die Diagnose lautet Schrumpfniere. Das heisst, die linke Niere des Patienten wird immer kleiner, das Nierengewebe ist daran zu vernarben.

Die Mediziner empfehlen dem Mann, sich die nicht mehr funktionierende Niere entfernen zu lassen. Die Operation soll laparoskopisch vorgenommen werden, eine Operationsmethode, bei der nur minimal eingegriffen wird – bekannt auch als Schlüssellochmethode. Doch leider verläuft der Eingriff alles andere als harmlos: Seit der Operation im Februar 2012 ist der Mann querschnittgelähmt, und er wird dies mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Leben lang bleiben.

Den beiden Ärzten, die damals im Spitalzentrum Biel die Operation vorgenommen haben, wird fahrlässige schwere Körperverletzung vorgeworfen. Sie hätten gestern deswegen vor dem Regionalgericht Berner Jura-Seeland erscheinen sollen. Hätten die Möglichkeit gehabt, Stellung zu nehmen. Doch sie sind nicht vor Gericht erschienen.

Nach zwei Stunden wird klar, dass der Eingriff so nicht möglich ist
Bei der OP durchtrennten die Ärzte tragischerweise die Aorta statt die Nierenvene, was verhängnisvolle Folgen hatte. Was war genau geschehen? Der erfahrenere Arzt der beiden übernimmt damals zuerst die Rolle des Operateurs, der jüngere assistiert und betätigt beim laparoskopischen Eingriff die Kamera und bedient den sogenannten Stapler zur Durchtrennung der Vene. Zuerst versuchen die Mediziner, von hinten an die Gefässe heranzukommen. Nach zwei Stunden wird klar, dass der Eingriff von hinten nicht möglich ist: Um an die Gefässe heranzukommen, muss entweder der Bauchraum eröffnet werden, oder man muss auf einem Umweg (nicht auf klassische Weise) an die Gefässe gelangen.

Nun macht der jüngere Arzt dem älteren den Vorschlag, selber als Operateur weiterzufahren, weil er davon ausgeht, dass er aufgrund seiner Routine und Geschicklichkeit bei minimalinvasiven Operationen geübter ist als sein Kollege. Man tauscht Kamera und Instrumente. Millimeterweise kommen die Ärzte weiter, befreien die Niere aus ihrem narbigen Umfeld, durchtrennen den Harnleiter. Dann sichten sie ein Gefäss, das gross ist und präparieren auch dieses. Sie diskutieren darüber, ob es sich dabei um die Nierenvene oder die Nierenarterie handelt. Die Mediziner kommen zum Schluss, dass es die Nierenvene ist und durchtrennen das Gefäss. Obwohl sie aufgrund des viel zu grossen Durchmessers und des Verlaufs des Gefässes hätten erkennen sollen, dass es die Aorta war.

Nach der Operation klagt der Patient im Aufwachraum über fehlende Sensibilität in den Beinen.

In diesen Tagen verjährt der Fall nach sieben Jahren
Seither stand der Vorwurf der Verletzung der Sorgfaltspflicht im Raum. Und den Ärzten wird von der Staatsanwaltschaft Berner Jura-Seeland fahrlässige schwere Körperverletzung vorgeworfen. Und auch das Regionalgericht sieht dies so, wie sich gestern zeigte.

Pikant an der Sache ist, dass der Fall der fahrlässigen schweren Körperverletzung in diesen Tagen verjährt, also genau sieben Jahren nach der Operation vom 13. Februar 2012. Die Mediziner, respektive die Verteidiger, haben, so scheint es, auf verschiedenen Wege versucht, die Verhandlung zu vertagen und sich so in die Verjährung zu retten. Liegt wie in diesem Fall ein Strafbefehl der Staatsanwaltschaft vor, kommt es normalerweise zu keiner Gerichtsverhandlung. Weil die Ärzte Einsprache gegen den Strafbefehl erhoben hatten, wurde die Hauptverhandlung überhaupt angesetzt. Umso unverständlicher, dass sie nicht erschienen. Staatsanwalt Peter Schmid ärgerte das Nichterscheinen der Beschuldigten: «Es geht mit nicht um eine Vorverurteilung, aber die Ärzte hätten hinstehen und zu ihren Verfehlungen stehen können», sagt er.

Das Urteil lautet so, wie es Staatsanwaltschaft verlangte
So einfach liess sich das Regionalgericht nicht austricksen: Obwohl es zu keiner Gerichtsverhandlung kam, hat Gerichtspräsidentin Denise Weingart gestern ein formelles Urteil gefällt. Wer wie der ältere Mediziner einer Gerichtsverhandlung unentschuldigt fern bleibt, bei dem wird nämlich der Strafbefehl rechtskräftig, wie Weingart sagte. Sprich, das Urteil lautet so, wie es die Staatsanwaltschaft verlangt. Im Falle dieses Arztes heisst das: schuldig wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung. Gebüsst wird dies mit 48 600 Franken, bedingt auf eine Probezeit von zwei Jahren. Hinzu kommt die Hälfte der Verfahrenskosten von 12 688 Franken.

Der jüngere Arzt hatte sich gestern mittels Arztzeugnis entschuldigt. Doch die Gerichtspräsidentin machte klar: «Arbeitsunfähigkeit ist nicht mit Verhandlungsunfähigkeit gleichzustellen. Der Beschuldigte hätte vor Gericht erscheinen können.» Auch bei ihm wird der Strafbefehl rechtskräftig. Das heisst schuldig wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung. Eine Busse von 37 800 Franken wurde bedingt auf eine Probezeit von zwei Jahren ausgesprochen. Ebenso trägt er die Hälfte der Verfahrenskosten.

Die Ärzte haben die Möglichkeit, beim Obergericht Beschwerde gegen dieses Urteil einzureichen.

Nachrichten zu Biel »