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Bern/Biel

«Korrupte Behörden»: Kneubühl verweigert Aussage vor Obergericht

Gestern ist die Verwahrung von Peter Hans Kneubühl am Obergericht verhandelt worden. Nicht dabei war der Bieler Rentner – er protestiert einmal mehr gegen die angebliche Verschwörung gegen ihn.

Symbolbild: Keystone
  • Dossier

Lino Schaeren

Das Berner Obergericht entscheidet heute, ob Peter Hans Kneubühl verwahrt werden soll und damit über die Zukunft jenes Mannes, der vor gut zehn Jahren in Biel auf Polizisten schoss. Kneubühl wehrt sich gegen die Massnahme – allerdings aus der Distanz. Er weigerte sich gestern, vor dem Gericht zu erscheinen, wie er es auch bereits vor dem Regionalgericht in Biel im März 2020 getan hatte.

Der Grund: Er halte auch die Beschwerdekammer für nicht unabhängig, schreibt er in einem Brief, der gestern Morgen bei Obergericht eingegangen ist. Seine Abwesenheit, schreibt er, sei als Streik zu verstehen. Als Protest «gegen die korrupten Berner Behörden». Aufgrund der vorgeladenen Parteien – Staatsanwaltschaft, Bewährungs- und Vollzugsdienste sowie seine amtliche Verteidigung – könne es sich nur um «eine Hinrichtung nach einer Schwarzen Liste, nicht um eine unabhängige Untersuchung» handeln. Die Beschwerdekammer entschied 
daraufhin, die Verhandlung in Abwesenheit von Kneubühl zu führen. Seine Position, so die Argumentation, sei ja aus den vielen schriftlichen Eingaben bei Gericht bestens bekannt.

Peter Hans Kneubühl ist ein Name, der nicht nur in der Region Biel den meisten Menschen ein Begriff ist. Er, der sich 2010 im Bieler Lindenquartier in seinem Haus verschanzte, um sich gegen die Zwangsräumung zu wehren: Das Haus sollte nach einem erbitterten Erbschaftsstreit mit seiner Schwester zwangsversteigert werden. Der zur Waffe griff, acht Schüsse auf Elitepolizisten abgab und einen von ihnen schwer am Kopf verletzte. Der flüchtete, in der Nacht darauf an den Mon-Désirweg zurückkehrte und die Polizei abermals schlecht aussehen liess, indem er erneut entkam. Der eine ganze Region in Atem hielt und erst nach tagelanger Flucht von einem Polizeihund gestellt wurde. Und der später vor Gericht aussagte, er habe niemanden angegriffen. Sondern sich im Gegenteil in einer Kriegssituation nur verteidigt.

 

Dreimal im Hungerstreik

Der Fall des Rentners Peter Hans Kneubühl ist ebenso spektakulär wie tragisch: Dem heute 77-Jährigen wurde in allen psychiatrischen Gutachten eine wahnhafte Störung attestiert. Kneubühl wurde 2013 und 2014 durch alle Instanzen und gegen seinen Willen für schuldunfähig befunden. Statt Gefängnis wurde deshalb eine stationäre Therapie angeordnet. Nutze er diese Chance nicht, drohe die Verwahrung, warnten die Gerichte bereits damals. Angetreten hat Kneubühl die stationäre Massnahme nie. Er betrachtet sich selber als psychisch gesund – was von den Fachpersonen als Teil seines Krankheitsbildes gesehen wird.

Stattdessen glaubt Kneubühl weiterhin an eine einzige grosse Verschwörung aus Kreisen von Justiz, Polizei, Politik, Psychiatrie und Familie, die ihn vernichten wolle. Mit dem «Angriff» der Behörden rechnete er lange vor den tragischen Vorfällen im September 2010: In seinem Tagebuch wiederholte er während fast zwei Jahren praktisch täglich denselben Satz, insgesamt 420 Mal: «Die Schweine sind den ganzen Tag nicht gekommen, ich durfte einen Tag länger leben.»

Nach der Anordnung der stationären Massnahme verweigerte Kneubühl jegliche therapeutische und medikamentöse Behandlung. Als ihn die Vollzugsdienste 2017 in den ordentlichen Strafvollzug auf den Thorberg überführen wollten, reagierte Peter Hans Kneubühl mit drei Hungerstreiks in Folge. Und war damit erfolgreich: Er konnte in seiner Untersuchungshaftzelle im Regionalgefängnis Thun bleiben.

Was dem ausdrücklichen Wunsch von Kneubühl entspricht, ist eigentlich völlig unverhältnismässig. Der Rentner bewegt sich seit rund zehn Jahren faktisch in U-Haft-Bedingungen: 23 Stunden alleine in der Zelle, eine Stunde auf dem Gefängnishof. Dabei handelt es sich um die strengsten Haftbedingungen überhaupt in der Schweiz. Diese sollten eigentlich nur über kurze Dauer zur Anwendung kommen – während der laufenden Strafuntersuchung. Kneubühl aber will es so. Weil die U-Haft-Zelle für ihn bedeutet, dass sein Fall noch nicht abgeschlossen ist. Er fordert, dass die Geschehnisse im Jahr 2010 im Lindenquartier noch einmal neu aufgerollt werden, verlangt in seinem Fall die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission.

 

Zweifel am Gutachten

Dass es gestern «nur» um seine Verwahrung ging und nicht um das Geschehen vom 8. bis 17. September 2010, war denn laut Pflichtverteidiger Sascha Schürch auch der Hauptgrund, wieso Peter Hans Kneubühl gestern nicht vor Obergericht erschienen ist. Schürch bedauert das. Er hätte gute Chancen für seinen Klienten gesehen, eine Verwahrung zu umgehen, wenn dieser vor Obergericht auch nur minime Zugeständnisse gemacht hätte, wie Schürch gegenüber dem BT erklärte. Wenn Kneubühl zum Beispiel einer engmaschigen Begleitung durch Fachpersonen bei einer Vollzugslockerung zugestimmt hätte. Oder den Behörden endlich verraten hätte, wo er auf seiner Flucht im September sein Gewehr versteckt hat. So aber, das ist sich auch der Verteidiger bewusst, dürfte es schwierig werden für seinen Mandanten, jemals wieder auf freien Fuss zu kommen.

Dennoch beantragte Schürch gestern, dass Kneubühl aus der Haft zu entlassen sei. Er zweifelte die vom Gutachter festgestellte hohe Rückfallgefahr an. Bemängelte, dass der psychiatrische Gutachter nur auf Akten abstelle, ohne jemals mit Kneubühl persönlich gesprochen zu haben. Tatsächlich hatte Peter Hans Kneubühl dem Psychiatrieprofessor beim Versuch der Kontaktaufnahme schriftlich mitgeteilt, dass dieser «sich zum Teufel scheren» solle, wie Staatsanwalt Manus Widmer ausführte. Schürch kritisierte aber, dass es andere Möglichkeiten gegeben hätte, etwa einen schriftlichen Fragebogen oder eine Vermittlungsperson. Mit dem Aktengutachten sei der Psychiater «den Weg des geringsten Widerstands» gegangen: Dem Expertenbericht hafte der Makel einer «akademischen Trockenübung» an.

Staatsanwalt Widmer seinerseits verteidigte Gutachter und Gutachten: Es sei Teil von Kneubühls Wahn, dass er dem gesamten Psychiatriewesen extrem feindlich gegenüberstehe. «Er glaubt, dass die Psychiatrie die absolute Macht über die Justiz übernommen hat, das geht aus seiner Antwort an den Gutachter noch einmal klar hervor.» Dieser hatte bei seiner Aussage am Regionalgericht festgehalten, dass es im Leben von Kneubühl keine Zufälle mehr gebe, alles hänge für ihn mit dem Grundkonflikt mit seiner Schwester zusammen. Der Gutachter attestierte dem heute 77-Jährigen eine hohe Rückfallgefahr. Das Risiko sei gross, dass sich Kneubühl in Freiheit durch seinen Verfolgungswahn innert kürzester Zeit wieder in einer Notwehrlage wähne.

Gestützt auf die Angaben es Gutachters verlangen Staatsanwaltschaft und Vollzugsdienste denn auch vor Obergericht, dass Kneubühl ordentlich verwahrt werden soll. Die Beschwerdekammer gibt ihren Beschluss heute bekannt.

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