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Biel

Mutter vergiftet, aber nicht versucht zu töten

Ein heute 34-Jähriger hat seiner Mutter Fentanyl verabreicht, um sich an ihr zu rächen: Zu diesem Schluss kommt das Gericht. Die Dosis des starken Medikaments reiche aber nicht aus für eine Verurteilung wegen versuchter Tötung.

Die erste Instanz sieht den Tatbestand der versuchten Tötung nicht erfüllt: Der Mann, der seine Mutter vergiftete, muss nicht ins Gefängnis. tp/a

Lino Schaeren

«Er musste damit rechnen, dass sie aus der Flasche trinkt und hat das auch gewollt.» Das Regionalgericht Berner Jura-Seeland sieht es als erwiesen, dass ein heute 34-jähriger Mann vor zwei Jahren bewusst Fentanyl in eine mit Wasser gefüllte Pet-Flasche gemischt hat, damit seine Mutter später davon trinken würde.

Er habe nach einem Streit mit der Mutter mit Vorsatz und hinterhältig gehandelt, hält Gerichtspräsidentin Sonja Koch bei der Urteilseröffnung am Mittwoch fest, «das Gift war weder sicht- noch spürbar, das ist wie bei einer Vergewaltigungs-Droge». Auch sei der Beschuldigte später, nachdem seine Mutter das Fentanyl konsumiert hatte und er dies bemerkte, davon ausgegangen, dass sie nun sterben würde. Das, so Koch, zeige die Aufzeichnung des Notrufs, den der nun in Panik geratene Beschuldigte absetzte: «Schnell, sie wird sterben», ist da von ihm zu hören.

Obwohl das Dreiergericht davon ausgeht, dass der Sohn der Mutter das Medikament vorsätzlich verabreichte sowie mit ihrem Tod rechnete – und damit im Grundsatz der Darstellung der Anklage folgt – kommt es zu einem anderen Schluss als die Staatsanwaltschaft: Es sieht den Tatbestand der versuchten vorsätzlichen Tötung nicht als erfüllt. Statt der von der Anklage beantragten Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt das Gericht den Mann deshalb wegen einfacher Körperverletzung mit Gift «nur» zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten.

Das Urteil begründet Gerichtspräsidentin Koch mit der Analyse des Wasser/Fentanyl-Gemischs: Das Gericht gehe davon aus, dass die Dosis weder potenziell tödlich noch lebensgefährlich gewesen sei. Deshalb könne man, obwohl der Beschuldigte selber mit dem Todeseintritt gerechnet habe, nicht von einem vollendeten Tötungsversuch ausgehen.

 

«Wollte Denkzettel verpassen»
Am Dienstag hatte der Gutachter vor Gericht gesagt: «Die Dosis könnte tödlich sein, sie könnte es aber auch nicht.» Er wollte sich also nicht festlegen, verwies auf die grosse Spannweite bei der möglichen Blutkonzentration des Fentanyls. Das Gericht verneint deshalb «die Tauglichkeit zum Töten»; auch, weil nicht mit Sicherheit festgestellt werden könne, wie viel des Gemischs die Mutter überhaupt getrunken habe.

«Der Beschuldigte wollte seiner Mutter einen Denkzettel verpassen, und zwar einen richtigen», sagt Koch. Das, weil sie ohne das Wissen und der Zustimmung des Sohns die Polizei alarmiert hatte, nachdem er ihr seine Selbstmordabsicht erklärt hatte. «Als seine Mutter wegging, um die Einsatzkräfte zu rufen, ging er davon aus, dass sie mit ihrem Weggang seinen Suizid billigen würde.»

Aus Wut und Enttäuschung habe er ihr dann die im Darknet beschaffte Droge verabreichen wollen. Seine Mutter müsse «bezahlen», sagte er noch am Tatabend zur Polizeipatrouille, die als erste vor Ort eintraf. Und das sollte sie offenbar mit dem ahnungslosen Konsum von Fentanyl, einem Opioid, das rund 100-mal stärker ist als Morphium. Zwei Milligramm intravenös verabreicht reichen, um zum fast sicheren Tod zu führen; das starke Medikament kostete alleine im Jahr 2016 in den USA 20 000 Süchtigen das Leben.

 

«Wusste um Gefährlichkeit»
Kein Glauben schenkt das Gericht der Darstellung der Geschehnisse durch die Verteidigung. Rechtsanwalt Thomas Weder sprach von einem tragischen Unfall, von seinem Klienten als einem selbstmordgefährdeten Mann, der das Fentanyl für sich selber hergerichtet, im Drogenrausch aber stehen gelassen und vergessen habe. «Als er die Flasche holen wollte, war es zu spät.» Das Gericht schliesst die Version, dass sich der Beschuldigte mit dem Gemisch selber hat umbringen wollen, aber aus.

Zwar anerkenne das Gericht, dass der Sohn seit Längerem Suizidabsichten gehabt habe, «doch wer Suizid begehen will, lässt nicht die vorbereitete Flasche einfach offen rumstehen». Anders als die Verteidigung geht das Gericht nicht davon aus, dass der Beschuldigte selber auch von der Flasche getrunken habe. «Er selber konsumierte Fentanyl mit einem Nasenspray.» Vielmehr habe er die Wasserflasche erst nach dem Streit mit der Mutter bewusst für diese präpariert.

Auch lässt das Gericht die Argumentation, der Beschuldigte habe nicht um die genaue Wirkung des Opioids gewusst, nicht gelten. «Er hat sich genau über die Wirkung informiert», sagt Koch. Dies sowohl im Internet als auch durch Nachfragen bei einem Arzt. «Er hat gewusst, wie gefährlich das Mittel ist.» Eben genau deshalb sei er auch davon ausgegangen, dass seine Mutter sterben würde, als er ihre Symptome erkannte, so Koch. Auch er habe zu diesem Zeitpunkt nicht um die tatsächliche Dosis im von ihm mit dem Medikament versetzten Wasser wissen können, «er war sich bewusst, dass man Fentanyl-Pulver nicht sicher dosieren kann». Angegeben hatte er in einer Befragung, dem Wasser «zwei, drei Messerspitzen» von dem Medikament beigefügt zu haben.

Im ganzen Gerichtsprozess hat sich der Beschuldigte dann nur mit einem verlesenen Statement zu Wort gemeldet. Auch die Mutter, die als Zeugin auftrat und im Untersuchungsverfahren jeweils die Absicht des Sohns, sie zu schädigen, verneinte, verweigerte ihre Aussage.

Dass er um eine Gefängnisstrafe herumkommt, nimmt der 34-Jährige ohne grosse Regung entgegen. Das Gericht ordnet allerdings eine ambulante Massnahme an, wie dies auch im psychiatrischen Gutachten empfohlen wird. «Er hat dringend eine Behandlung nötig», sagt Koch abschliessend.

Das erstinstanzliche Urteil kann ans Obergericht weitergezogen werden.

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