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Agglolac

Parlamente versenken Agglolac

Die Stadträte von Biel und Nidau haben dem geplanten Seequartier eine Abfuhr erteilt. Nun ist es an der Projektgesellschaft, noch einmal über die Bücher zu gehen.

Das Expo-Areal bleibt vorerst eine Brache. copyright:matthiaskäser/bielertagblatt

Carmen Stalder, Nidau
Wiederholt wurde an der gestrigen Stadtratssitzung in Nidau dazu aufgerufen, Mut zu zeigen – Mut, um Ja zu sagen zu einem visionären Projekt wie Agglolac eines sei. Stadtratspräsident Markus Baumann (SVP), an diesem Abend zum ersten Mal in seinem Amt, nahm sich diese Forderung zu Herzen. Allerdings nicht im Sinne derjenigen, die sie davor geäussert haben.
Rund zwei Stunden nach Sitzungsbeginn steht die erste Abstimmung an: Das Parlament entscheidet über die Gründung und das Organisationsreglement des Gemeindeverbands «Seeufer Nidau-Biel/Bienne» sowie den Beitritt des Stedtli in diesen Verband. Im Vorfeld wurde bereits mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Gegnern und Befürwortern von Agglolac gerechnet. Und so kommt es, wie es kommen muss: 15 Stadträtinnen und Stadträte stimmen dem ersten Traktandum zu, die anderen 15 lehnen es ab.
In einer solchen Pattsituation liegt es beim Stadtratspräsidenten, den Stichentscheid zu fällen. Und dieser fällt wenig überraschend ablehnend aus: Baumann ist als Vorstandsmitglied im Verein Stop Agglolac ein bekennender Projekt-Gegner. Das erste Geschäft ist damit gescheitert – und damit vorerst auch Agglolac an sich. Denn das Projekt wäre nur in dem Fall der Bevölkerung von Biel und Nidau zur Abstimmung vorgelegt worden, wenn es von beiden Parlamenten in allen Punkten genehmigt worden wäre.
Ein «Jahrhundertprojekt»
«Nach diesem Abend kann es nur noch leichter werden», meinte Baumann im Vorfeld der Sitzung. Der Parlamentarier erlebte tatsächlich einen steilen Einstieg ins neue Amt. So fiel im Verlauf der Debatte mehrmals der Begriff des «Jahrhundertprojekts». So etwa bei der Fraktionserklärung von Susanne Schneiter Marti (FDP): «Die bürgerliche Fraktion wird alles in ihrer Macht stehende tun, um dieses Jahrhundertprojekt zur Volksabstimmung zu führen.» Ihre Fraktion empfinde es als sehr stossend, dass andere Parteien das Vorhaben eigenmächtig versenken wollten.
Ob die Zeit als höchster Nidauer für Baumann nun wirklich leichter wird, ist offen. Mit seinem Stichentscheid wird er sich den Groll der Hälfte seiner Stadtratskolleginnen und -kollegen zugezogen haben. So warf denn auch Stadträtin und FDP-Präsidentin Amélie Evard noch vor der eigentlichen Debatte eine Frage in die Runde, die sich auf genau diese Entscheidungsmöglichkeit bezog: «Hat es noch mit Demokratie zu tun, wenn ein Vorstandsmitglied von Stop Agglolac bei einem Jahrhundertentscheid das letzte Wort hat?»
Das Beste, das zu haben ist
Geprägt ist die Debatte vor dem gewichtigen Nein einerseits von den Befürworterinnen und Befürwortern, die Agglolac der Runde möglichst schmackhaft machen wollen. «Ich sage nicht, dass im vorliegenden Projekt alles perfekt ist. Aber es ist das Beste, das hier und heute zu haben ist, insbesondere wenn man so viele Akteure unter einen Hut bringen muss», sagt Stadtpräsidentin Sandra Hess (FDP).
Andererseits kommen Gegner wie SP-Stadtrat Nils Kallen zu Wort, dieser meint: «Spätestens seit der Umfrage ist klar, dass Agglolac an der Bevölkerung vorbeigeplant ist, eine Volksabstimmung hätte entsprechend kaum Chancen.» Die Diskussionen verlaufen gesittet, ganz so, wie man es sich im Nidauer Stadtrat grundsätzlich gewohnt ist.
Nach der ersten Abstimmung folgt bald der nächste Entscheid über die Übertragung von Grundstücken an den Gemeindeverband. Auch dort fällt das Resultat extrem knapp aus: 14 Rätinnen und Räte sagen Ja, 15 sagen Nein, Esther Kast (Grüne) enthält sich – und fungiert folglich dieses Mal als Zünglein an der Waage.
Nun droht die Stimmung doch noch zu kippen. Die Verliererinnen und Verlierer können ihren Frust kaum mehr verbergen. SP-Fraktionspräsident Tobias Egger stimmt zwar besänftigende Worte an. Jetzt sei Zusammenarbeit gefragt. «Agglolac wird heute Abend nicht sterben, weder in Nidau noch in Biel. Unsere Kritik ist konstruktiv zu verstehen.» FDP-Stadtrat Thomas Spycher kann dem wenig abgewinnen. Er habe kein Problem damit, wenn man Nein sage zum Projekt. Doch: «Ich bin nicht zuversichtlich für einen Dialogprozess, den man einberuft, weil man ein schlechtes Gewissen hat, etwas kaputtgemacht zu haben.»
Skurrile Fortsetzung
Kurz vor 22 Uhr wird die Debatte pausiert: Man will den Entscheid über den von der Bieler GLP gestellten Rückweisungsantrag abwarten. Nach der dortigen Ablehnung (siehe Text rechts) geht es auch in Nidau weiter. Baumann mahnt, dass es nun nicht darum gehe, über eine Überarbeitung des Projekts zu diskutieren, sondern über die vorliegenden Themen.
Und das klappt dann tatsächlich. Überraschend emotionslos werden die verbleibenden Themen – darunter das Teilbaureglement, gemeinnütziger Wohnungsbau oder das Mobilitätskonzept, abgehakt. Es mutet jedoch schon etwas skurril an, wenn es jetzt plötzlich heisst: «Wir hätten diesem Punkt eigentlich zugestimmt.» Man will die Sitzung zu Ende bringen. Doch Agglolac ist zu diesem Zeitpunkt nur noch eine in die Ferne gerückte Vision.



Lino Schaeren, Biel
Nach dem Unterbruch am Mittwochabend kurz nach 23 Uhr hat der Bieler Stadtrat die Agglolac-Debatte gestern wieder aufgenommen. Wäre es nach dem deutschsprachigen Freisinn gegangen, hätte sie allerdings nur kurz gedauert. Es war ein Paukenschlag: Die FDP-Fraktion forderte die Verschiebung des Geschäfts auf die April-Sitzung, weil die Geschäftsprüfungskommission (GPK) ihre Arbeit nicht ordentlich gemacht habe. Der Vorwurf: Die Empfehlung der GPK-Mehrheit an den Stadtrat, Agglolac abzulehnen, sei politisch motiviert und basiere nicht auf Fakten.
Vizepräsidentin Anna Tanner (SP) hatte am Mittwoch für die linke GPK-Mehrheit erklärt, dass  das finanzielle Risiko für die Gemeinden nicht abschätzbar sei. Sie verwies vor allem auf den geplanten Gemeindeverband, der die öffentliche Infrastruktur erstellen soll. Das Budget für Betrieb und Unterhalt, so Tanner, sei nicht nachvollziehbar, es drohe ein strukturelles Defizit von ein bis zwei Millionen Franken pro Jahr. Finanzdirektorin Silvia Steidle (PRR) zeigte sich überrumpelt: Sie wisse nicht, wie die GPK auf diese Zahlen komme. Steidle glaubte nicht, dass wirklich das finanzielle Risiko zur ablehnenden Haltung der GPK-Mehrheit geführt habe, sie vermutete «andere Gründe» dafür. Zumindest indirekt warf damit auch sie dem geschäftsprüfenden Organ vor, eine politisch motivierte Empfehlung abgegeben zu haben. Die FDP-Fraktion blieb mit ihrem Anliegen auf Verschiebung des Geschäfts allerdings chancenlos.
SVP spielt nicht mit
Stattdessen wurde über den Rückweisungsantrag der GLP debattiert. Die Grünliberalen forderten vom Gemeinderat, Agglolac zu überarbeiten und mit Varianten wieder zu kommen, die mehr Freiraum und einen höheren Anteil an gemeinnützigen Wohnungen vorsehen. Da die Rückweisung aus den Reihen der Agglolac-Befürwortenden kam, war die Absicht dahinter klar: Weil sich eine Mehrheit gegen das Geschäft abzeichnete, sollte eine komplette Ablehnung verhindert werden. Stadtpräsident Erich Fehr (SP) signalisierte, dass der Gemeinderat eine Rückweisung der Ablehnung vorziehen würde. Es gehe, so Fehr, vor allem auch um Treu und Glauben: Die Städte Biel und Nidau hätten in den letzten Jahren im Auftrag des Stadtrats mit Investorin Mobimo dieses Projekt entwickelt; und jetzt drohe dieses an eben jener börsenkotierten Investorin zu scheitern. Finanzdirektorin Silvia Steidle (PRR) wies zudem darauf hin, dass bei einem Ausstieg aus der «Vision Agglolac» für die Gemeinden Biel und Nidau insgesamt 7,1 Millionen Franken an Planungskosten flöten gehen würden.
Das Votum des Gemeinderats löste viel Bewegung in den Reihen der Agglolac-Befürwortenden aus. Die Freisinnigen versuchten, die SVP von der Rückweisung zu überzeugen. Auf diese wären FDP und GLP nämlich angewiesen gewesen. Man werde, sagte FDP-Fraktionspräsident Leonhard Cadetg, der Überarbeitung von Agglolac «gegen das Herz» zustimmen, um das Schlimmste abzuwenden. Die Fraktion SVP/Die Eidgenossen, in der Agglolac-Frage tief gespalten, stellte sich aber gegen die Rückweisung: Mit den offen formulierten Forderungen nach mehr Freiraum und gemeinnützigen Wohnungen, so Fraktionsvorsteherin Sandra Schneider, könne man sich nicht anfreunden.
Damit waren die Hoffnungen der Befürwortenden eigentlich begraben; denn dass der Antrag auch bei SP und Grünen gegen verschlossene Türen prallen würde, war zu erwarten. Zwar forderten auch sie mehr Freiraum und eine bessere gesellschaftliche Durchmischung; sie verlangten aber etwa auch ein autofreies Quartier. Und: Sie stemmten sich vor allem gegen Mobimo. «Mit einer Ablehnung schaffen wir die Voraussetzungen, die Gestaltung des Geländes neu zu denken», sagte SP/Juso-Fraktionsvorsteher Levin Koller.
Triumph für die Gegner
Als dann um kurz nach 21 Uhr auch noch die ersten Resultate aus dem Nidauer Stadtrat in Biel die Runde machten, wonach Agglolac in der Nachbargemeinde gescheitert ist, wurde der Frust in den Voten der Befürworter je länger je mehr spürbar; eine Volksabstimmung war damit schliesslich bereits vom Tisch. Auch Fehr zeigte sich zerknirscht: «Das ist ein schwieriger Moment für den Gemeinderat, ein Moment, in dem zehn Jahre intensiver Planung bachab gehen», sagte er. Er votierte aber weiter für eine Rückweisung, damit ein möglicher Weg vorgegeben werden könne.
Fehr forderte jene Parlamentsmitglieder, denen die GLP-Forderung zu wenig weit ging, deshalb auf, einen eigenen Rückweisungsantrag zu formulieren. In Richtung seines eigenen politischen Lagers im Saal betonte der SP-Stadtpräsident, dass es eine Illusion sei, Mobimo mit einer Ablehnung von Agglolac einfacher loszuwerden als mit einer Überarbeitung des Bestehenden. Denn Mobimo ist bei einem negativen Entscheid vertraglich eine zweite Chance zugesichert.
Ein neuerlicher Paukenschlag blieb aber aus. Der Stadtrat lehnte den GLP-Antrag mit 35 Nein- zu 21 Ja-Stimmen bei zwei Enthaltungen ab. Im Anschluss ging das Parlament ohne weitere Diskussion zur Schlussabstimmung über. Agglolac wurde schliesslich mit 35 Nein- zu 22 Ja-Stimmen bei einer Enthaltung abgelehnt.

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