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Biel

Platz für Menschen statt für Autos

Mehr Raum für Fussgänger und Velofahrer, weniger Parkplätze und eine Mini-S-Bahn: Ein gestern publiziertes Strategiepapier zeigt, wie sich die Gesamtmobilität in der Stadt Biel bis 2040 entwickeln soll.

Stadtpräsident Erich Fehr sagt: «Die Gesamtmobilitätsstrategie ist kein Plädoyer für oder gegen den Westast.» Bild: lsg
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Lino Schaeren

Biel denkt die Mobilität langfristig neu: Stadtpräsident Erich Fehr (SP) hat gestern eine Strategie zur Gesamtmobilität der Stadt Biel bis ins Jahr 2040 präsentiert. Auch wenn das Papier als Leitlinie dient, höchst theoretischer Natur ist und deshalb noch keine Verkehrsmassnahmen aufzeigt, ist die Richtung, in die es gehen soll, doch klar ersichtlich: Der öffentliche Verkehr (öV) soll gestärkt, die Verbindungen für Velofahrer und Fussgänger verbessert und der Autoverkehr noch konsequenter aus Innenstadt und Wohnquartieren ferngehalten werden. Das ist nur konsequent, schliesslich geht das Strategiepapier auf die sogenannte Städteinitiative zurück. Diese sieht vor, das Verkehrswachstum in Biel durch andere Verkehrsträger als das Auto aufzufangen. Der Stadtrat hatte die Initiative Ende 2014 mit einem Reglement umgesetzt.

Die Bieler Mobilitätsstrategie zeigt vier Handlungsfelder auf. Das Mobilitätsverhalten soll beeinflusst werden: Es findet eine Lastenverlagerung vom motorisierten Individualverkehr (MIV) auf den Langsamverkehr und den öV statt. Es werden Netzkonzepte entwickelt: Der öV wird durch einen höheren Takt, mehr Geschwindigkeit und bessere Pünktlichkeit attraktiver, das Wegnetz für Fussgänger und Velofahrer wird ausgebaut. Ein neues Parksystem wird entwickelt: Parkplätze werden in Parkhäusern konzentriert, um den öffentlichen Strassenraum zugunsten des Langsamverkehrs freizugeben. Und die Verkehrsinfrastruktur soll harmonischer ins Stadtbild integriert werden: Die Gestaltung des öffentlichen Raums erlaubt es der Bevölkerung, sich bequem zu Fuss in der Stadt fortzubewegen. «Letztlich soll mehr Platz für die Menschen entstehen und dadurch die Lebensqualität verbessert werden», sagt Fehr.

Strassenraum auf Auto ausgerichtet
Platz, der heute zu weiten Teilen noch vom motorisierten Verkehr beansprucht wird. Der Strassenraum sei in Biel, wie in vielen Städten, noch sehr autoorientiert gestaltet, sagt Verkehrsplaner Benoît Ziegler, der die Strategie mit dem Verkehrsplanungs- und Raumentwicklungsbüro MRS Partner erarbeitet hat. Ein Umstand, der derzeit vielerorts überdacht werde.

Den MIV möglichst noch mehr aus den Quartieren fernhalten, weitere Oberflächenparkplätze aufheben: Trotzdem betont der Stadtpräsident, dass mit der Gesamtstrategie das Auto nicht verteufelt werden soll. Der MIV solle die städtischen Gebiete künftig aber noch stärker über die Autobahn und die Hauptverkehrsachsen erreichen und damit das lokale Strassennetz entlasten – «umfahren statt durchqueren» lautet die Zauberformel. Zudem sollen die Autos in Parkhäusern in der Nähe von öV-Haltestellen abgestellt werden und dadurch die Innenstadt weniger belasten. Was auffällt: Zwar ist in der 40-seitigen Kursversion der Mobilitätsstrategie die Rede von der ringförmigen Autobahn, die derzeit sistierte A5-Westumfahrung Biels sowie die beiden umstrittenen Anschlüsse beim Hauptbahnhof und in der Seevorstadt werden aber mit keinem Wort erwähnt.

Anders sieht dies in der umfassenderen Langversion aus: Hier wird einleitend festgehalten, dass die Strategie die Pläne des offiziellen Westast-Ausführungsprojekts beinhalte. So werden im 100-seitigen Dokument, das vom 22. Oktober 2018 und damit zwei Monate vor der Lancierung des derzeit laufenden Westast-Dialogprozesses datiert, denn auch die Auswirkungen aufgezeigt, welche die Stadtautobahn mit sich bringen soll. Darauf angesprochen, sagt Fehr, dass das Strategiepapier «kein Plädoyer für oder gegen den Westast» sei, weshalb man das Thema in der Zusammenfassung auch ausgeklammert habe. Denn: Die Formel «umfahren statt durchqueren» wolle man unabhängig davon umsetzen, ob der Westast dereinst wie geplant gebaut wird. Dem pflichtet Stadtplanerin Florence Schmoll bei: Das Prinzip sei auch ohne Autobahn umsetzbar – müsse aber natürlich anders ausgestaltet werden.

Sinnvoll oder bequem?
Sowieso wird die Mobilität in der Strategie als ganzheitliches System betrachtet. Es gibt also nicht einfach den Fussgänger, den Velofahrer oder denjenigen hinter dem Autosteuer. Das Grundlagenpapier geht von einer sogenannten multimodalen Erschliessung aus: Diese ermöglicht es, ein Ziel mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Die Verkehrsteilnehmer sollen individuell die sinnvollste Fortbewegung nutzen. Wobei Fehr darauf verweist, dass die sinnvollste nicht immer die bequemste Methode sei (und damit nicht unbedingt das Auto in der Garage). Die Strategie sieht aber auch das intermodale Zusammenspiel vor: In Biel soll vermehrt funktionieren, was in Grossstädten dieser Welt längst an der Tagesordnung ist: Die Menschen nutzen unterschiedliche Verkehrsmittel, um an ihr Ziel zu gelangen. Etwa so: mit dem Velo zur Busstation, mit dem Bus zum Bahnhof und mit dem Zug zum Zielort. Um dies zu fördern, sollen die verschiedenen Verkehrsnetze aufeinander abgestimmt werden.

Fehr geht davon aus, dass ein Grossteil der Strategie ohne riesige Investitionen umgesetzt werden kann. So existieren etwa die öffentlichen Parkhäuser bereits, die Auslastung lässt aber zu wünschen übrig. Um die gesetzten Fernziele zu erreichen, sind vor allem Priorisierungen von Verkehrsteilnehmern und damit Verkehrsmassnahmen nötig. Laut dem Stadtpräsidenten gibt es nun eine klare Priorisierung bei der Umsetzung: zuerst das Velo. Dann der öV. Und dann die Fussgänger. Aber irgendwie hängt eben alles auch zusammen.

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Gebündelte Buslinien und die Vision der S-Bahn
Die Mobilitätsstrategie 2040 der Stadt Biel sieht vor, das Wegnetz für Fussgänger und Velofahrer zu vervollständigen. Dabei stehen auch neue Unter- und Überführungen im Raum, etwa eine Passage über den Güterbahnhof, der die Stadt mit seiner Länge von fast anderthalb Kilometern in zwei teilt. Dabei sollen künftig für die Velofahrer «schnelle» und komfortable Routen zur Verfügung stehen: Die einen für Pendler, die anderen für Freizeitaktivitäten. Zudem soll der öffentliche Verkehr gestärkt werden. Dies aber nicht mit einem Ausbau des heutigen Busliniennetzes. Viel mehr dürfte das Bieler Busnetz in Zukunft aus weniger Linien bestehen als heute. Ziel ist, den Takt auf den Hauptachsen zu erhöhen, so, dass etwa alle vier statt zehn Minuten ein Bus fährt. Erreicht würde dies mit der Bündelung von Linien, die heute parallel zueinander auf unterschiedlichen Strassen verkehren.

Die Strategie enthält auch die Vision einer Bieler «Mini-S-Bahn». Heute ist der Bieler Hauptbahnhof für viele Regionallinien Endstation, was für Pendler, die etwa ins Bözingenfeld müssen, wegen der Notwendigkeit, umsteigen zu müssen, unattraktiv ist. Die Situation könnte mit Durchmesserlinien verbessert werden: Wenn etwa der Regionalzug aus Neuenburg weiterfahren würde bis Soloturn oder jener aus La Chaux de Fonds bis Lyss. Zudem könnten dereinst nebst dem Hauptbahnhof, Biel Mett und Biel Bözingenfeld auf der Linie in den Jura neue Bahnstationen zum Thema werden – etwa ein Bahnhof Altstadt oberhalb der Talstation der Leubringenbahn. Und auch das Regiotram ist «nur» sistiert und nicht endgültig begraben. Bei all dem handelt es sich aber lediglich um Szenarien und keinesfalls um konkrete Absichtserklärungen. lsg

 

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