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Westast

Plötzlich kommt der Widerstand von innen

Nächste Woche will der Vorstand von «Westast – so nicht» das 2000 Mitglieder starke Komitee auflösen. Dagegen formiert sich Widerstand: Längst nicht alle wollen den gewonnenen politischen Einfluss einfach so aufgeben.

Symbolbild: bt/a
  • Dossier

Lino Schaeren

Die Schlacht ist geschlagen, der Sieg historisch. Die Gegner des Bieler A5-Westasts haben mit ihrem erfolgreichen Kampf geschafft, was zuvor noch keiner Bürgerbewegung in der Schweiz gelungen ist: Sie haben eine baureife Autobahn verhindert. Der Triumph der Westast-Gegnerinnen wurde im Januar besiegelt, als Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga (SP) das Ausführungsprojekt zurückgezogen hat. Der Bürgerprotest gegen die Verkehrsplanung hatte viele Gesichter und brachte etliche Organisationen hervor. Im Zentrum stand aber stets das Komitee «Westast – so nicht» mit zuletzt mehr als 2000 Mitgliedern. Es war die grosse Bürgerbewegung, welche die Behörden letztlich an den Verhandlungstisch zwang.

Nach verrichteter Arbeit soll das Komitee jetzt aufgelöst werden. So will es zumindest der Vorstand, der den Hauptzweck des Vereins mit der Verhinderung des geplanten Westasts als erfüllt ansieht. Dagegen formiert sich jedoch Widerstand aus den eigenen Reihen. Die Kritik von der Basis: Der Vorstand wolle ausgerechnet jetzt, wo die Weichen für künftige Planungen gestellt werden, den erlangten politischen Einfluss leichtfertig wieder preisgeben. Ein Umstand, den der ehemalige Raumplaner Kurt Rohner in einem Leserbrief im BT kurzerhand als «bireweich» bezeichnet hat. Für die Mitgliederversammlung vom kommenden Dienstag haben Rohner und sechs weitere Mitglieder deshalb Anträge eingereicht, die einen Fortbestand von «Westast – so nicht» fordern.

 

Mit am Tisch sitzen

Darunter ist auch Gabriela Neuhaus. Sie mobilisiert seit Wochen in den Sozialen Medien gegen die vorgesehene Vereinsauflösung. Neuhaus findet: Die Stimme von «Westast – so nicht» darf nicht verstummen, nur weil die Autobahn nicht wie geplant gebaut wird. Wenn über die künftige Verkehrs- und Raumplanung diskutiert wird, müsse das Komitee weiterhin mit am Tisch sitzen. Sie spricht damit auf die Projektorganisation «Espace Biel/Bienne Nidau» an, welche die Empfehlungen aus dem Ende 2020 abgeschlossenen Dialogprozess weiterverfolgen soll. Für den Einbezug von Bürgerinnenkomitees und Fachverbänden ist dabei eine Reflexionsgruppe vorgesehen. Beim ersten Treffen war auch «Westast – so nicht» dabei, sollte sich der Verein auflösen, zum ersten und letzten Mal. «Die Auto- und Wirtschaftslobby würde nie freiwillig auf einen Platz in dieser Gruppe verzichten», sagt Neuhaus. «Es wäre deshalb fatal, wenn ein Komitee mit dem Gewicht von ‹Westast – so nicht› genau das täte.»

Statt den Verein aufzulösen, wollen sie und ihre Mitstreitenden den Zweck in den Statuten und den Namen des Komitees soweit nötig anpassen sowie einen neuen Vorstand wählen. Die Chancen, dass «Westast – so nicht» doch nicht aufgelöst wird, scheinen intakt: Für die Liquidation ist an der ausserordentlichen Mitgliederversammlung kommende Woche eine Zweidrittelmehrheit nötig. Eine hohe Hürde, wenn den Gegnerinnen des Vorhabens die Mobilisierung einigermassen gelingt.

Stellt sich die Frage, für was das Komitee bei einem Fortbestehen künftig stehen sollte. Was die Mitglieder schliesslich bisher einte, war die gemeinsame Abneigung gegen den Westast. Mit der Botschaft «so nicht!» liess sich eine breite Bevölkerung ansprechen. Die Gründe für die Ablehnung der Autobahn mit zwei Stadtanschlüssen dürften unter den gut 2000 Mitgliedern aber ebenso vielseitig gewesen sein wie die Meinungen darüber, wie es nach der Beerdigung des «Autobahnmonsters» weitergehen soll.

Ginge es beispielsweise alleine nach Gabriela Neuhaus, würde aus «Westast – so nicht» wohl ein Komitee, das sich radikal gegen jeglichen Ausbau von Nationalstrassen stellt. Schliesslich hat Neuhaus mit ihrer Interessengemeinschaft «Häb Sorg zur Stadt» die Unterschrift unter dem Schlussbericht des Dialogprozesses verweigert, weil sich dieser zur Schliessung der Lücke im Nationalstrassennetz und zum Porttunnel bekennt. Trotzdem sei es nicht ihr Ziel, dass «Westast – so nicht» in diesem Sinne radikal «umgemodelt» wird, sagt Neuhaus.

Wichtig sei aber, dass in den kommenden Diskussionen zur Verkehrsplanung die im Dialogprozess verabschiedeten kurz- und mittelfristigen Empfehlungen im Zentrum stünden. Das Komitee soll also am Ball bleiben und aufmerksam verfolgen, ob die gemachten Empfehlungen zur Verbesserung der Verkehrssituation auch umgesetzt werden – und wenn nicht, den Druck von der Strasse in die entsprechenden Gremien tragen. Bisher haben die Behörden weder eine Priorisierung noch einen Zeitplan zur Umsetzung der Empfehlungen präsentiert. «Erst, wenn die kurz- und mittelfristigen Massnahmen realisiert und deren Wirkung dokumentiert ist, sollte darüber verhandelt werden, ob und was für eine Nationalstrassenlösung es braucht», so Neuhaus.

Spricht man mit Kritikerinnen und Kritikern der geplanten Vereinsauflösung, landet man früher oder später immer wieder bei denselben Ängsten: Räumt die grösste westastkritische Bürgerbewegung das Feld, steht die Neuplanung der Autobahn allzu schnell wieder im Zentrum der Debatte, so die Befürchtung. Urs Scheuss, «Westast – so nicht»-Vorstandsmitglied, sieht das freilich etwas anders: «Wenn wir weiterhin nur darüber reden, eine Autobahn verhindern zu wollen, erreichen wir in erster Linie das Gegenteil. Nämlich dass der Fokus auf der Autobahn bleibt.»

 

Neugründung angeregt

Scheuss vertritt die Meinung der Vorstandsmehrheit, wonach der Verein seinen Zweck mit der Abschreibung des Westast-Ausführungsprojekts erfüllt habe und deshalb aufgelöst werden kann. Einen langwierigen Prozess für eine Statutenänderung und eine neue Namensgebung, nur, um mit bestehender Mitgliederliste weitermachen zu können, sieht Scheuss als wenig sinnvoll an.

Er regt stattdessen eine Neugründung an: «Mit einem neuen Verein wäre es einfacher, einen anderen Zweck zu definieren», sagt er. Der Vorstand stellte für einen solchen Fall in Aussicht, den bisherigen Komitee-Mitgliedern die Kontaktdaten jener zu übermitteln, die einen Nachfolgeverein gründen wollen. Dass es am Dienstag zum komiteeinternen Showdown kommt, bedauert Scheuss: «Statt dass wir den gemeinsamen Erfolg feiern, wird es jetzt Gewinnerinnen und Verlierer geben.»

Stichwörter: Westast, Verkehr, Biel, Umfahrung, Autos

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