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Wochenkommentar

Smartvote sorgt für mehr Transparenz

Von ihm ist vor allem ein Bonmot in Erinnerung geblieben, das auch jene kennen, die nicht wissen, dass er die Weltgeschichte verändert hat: «Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben», sagte Michail Gorbatschow im Oktober 1989 an der Feier zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR.

Peter Staub, Ressortleiter Region

Das war kurz bevor die Mauer an der innerdeutschen Grenze die ersten Löcher bekam. Der letzte Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion war ein paar Jahre zuvor angetreten, um den verkalkten Einparteien-Staat zu sanieren. Seine Stichworte: Glasnost und Perestroika, Transparenz und Umbau. Der Versuch, die Sowjetunion zu retten, missriet. Aber der Begriff Glasnost prägte die politische Diskussion über Jahre. Die antikommunistische Linke, also Sozialdemokraten und Grüne, nahm die Forderung nach grösstmöglicher Transparenz auf und adaptierte sie auf hiesige Verhältnisse. Zum Beispiel, wenn es um die Verwaltungsratsmandate von Politikern ging. Noch immer versucht die Linke, bei der Parteienfinanzierung in der Schweiz Glasnost herzustellen. Und nun will ausgerechnet die Bieler Linke verhindern, dass vor den städtischen Wahlen in Biel Glasnost herrscht, indem sie sich weigert, bei Smartvote mitzumachen.

Niemand hat in den letzten Jahren bei der politischen Haltung von Kandidaten und Kandidatinnen für grössere Parlamente für mehr Transparenz gesorgt als der nicht gewinnorientierte Verein Politools. Dieser Verein betreibt die Online-Wahlhilfe Smartvote. Mithilfe der Website von Smartvote können sich Wählerinnen und Wähler sehr genau informieren, welche Kandidatinnen und Kandidaten ihre politischen Ansichten teilen. Voraussetzung dafür ist, dass die Kandidierenden einen ziemlich umfassenden Fragenkatalog beantworten. Dasselbe können die Wähler machen. Smartvote listet dann mathematisch und gänzlich unideologisch auf, welche Kandidierenden die Ansichten des Wählers, der Wählerin am besten widerspiegeln. Mehr Glasnost im Wahlverfahren gibt es bisher nicht. Und Smartvote wird gut genutzt. Bei den letzten eidgenössischen Wahlen wurden via Smartvote über 1,3 Millionen Wahlempfehlungen ausgestellt. 18 Prozent der Stimmenden gaben an, Smartvote genutzt zu haben.

Bei den Berner Grossratswahlen vor rund zweieinhalb Jahren hatten 154 der 160 schliesslich gewählten Grossratsmitglieder vor der Wahl den Fragebogen von Smartvote ausgefüllt. Auch ich hatte mich eingeloggt, um zu sehen, wer meine politischen Ansichten am ehesten teilt. Natürlich ging das nicht einfach Eins zu Eins. Aber immerhin wurden 60 Fragen und Antworten miteinander verglichen. Selbstverständlich hat meine Liste am Ende anders ausgesehen als die Smartvote-Liste. Denn bei einer Wahl spielen auch die Wahlchancen eine Rolle, schliesslich will niemand seine Stimme verschenken. Aber eine wichtige Wahlhilfe war Smartvote allemal.

Die Online-Wahlhilfe dient nicht bloss den Wählern. Die Antworten der Kandidierenden bieten auch den Medien Stoff, um die Ansichten der Parteien zu vergleichen oder zu analysieren, wie gross die Bandbreite der politischen Ansichten innerhalb einer Partei ist. Glasnost pur. Weil es keine vernünftigen Argumente gegen die von Smartvote hergestellte Transparenz gibt, ist es befremdlich, dass sich die Bieler Linke – und in ihrem Schlepptau nun auch der bürgerliche PRR – erneut zu schön ist, sich bei Smartvote zu beteiligen. Transparenz sieht anders aus. Es ist Zeit, dass sich die Bieler Linke auf Glasnost besinnt und sich auf Smartvote ihren potenziellen Wählern stellt. Sonst muss sie sich nicht wundern, wenn sie bei den Wahlen im September mit einem weiteren Wählerverlust bestraft wird.

Die Fragebögen zu den Bieler Wahlen können übrigens seit gestern auf smartvote.ch beantwortet werden.

E-Mail: pstaub@bielertagblatt.ch

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