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So tickt der Energiemarkt

Wer sein Gebäude mit Gas beheizt, muss sich auf eine hohe Energierechnung gefasst machen. Martin Kamber, Vizedirektor des Energie Service Biel (ESB), erläutert, wie es zu diesem Preisanstieg kommen konnte.

Martin Kamber, Vizedirektor des Bieler Energieversorgers ESB, glaubt nicht, dass der Gaspreis auf dem aktuell hohen Niveau verharren wird. Foto: Matthias Käser
Interview: Parzival Meister
 
Martin Kamber, der ESB hebt den Preis für Erdgas per 1. Dezember um 3.35 Rappen pro Kilowattstunde an. Im Vergleich zur Vorjahresperiode ist das ein Anstieg von 65 Prozent …
Martin Kamber: … eine kleine Präzisierung dazu: Es stimmt, dass der Preis per 1. Dezember um diesen Betrag ansteigt. Wir haben den Preis aber bereits während des Jahres in drei Schritten kontinuierlich angehoben, der Anstieg um 65 Prozent erfolgt also nicht auf einen Schlag.
 
Trotzdem: Die Preiserhöhung ist massiv.
Ja, es handelt sich nicht um eine normale Preisschwankung, wie sie immer wieder vorkam, sondern geht weit darüber hinaus.
 
Das spürt der Endkunde in seinem Haushaltsbudget. Die jährlichen Heizkosten für eine Viereinhalb-Zimmerwohnung steigen um etwa 670 Franken. Von wie vielen betroffenen Kundinnen und Kunden reden wir hier überhaupt?
In Biel beträgt der Anteil derjenigen, die mit Gas heizen, rund 50 Prozent.
 
Ist das im Vergleich mit anderen Städten oder Regionen ein hoher Anteil?
Ja, das kann man so sagen. Wir haben in Biel eine  gute Erschliessung mit Gas. Der ESB hat in den letzten Jahrzehnten das Netz kontinuierlich entsprechend den Kundenbedürfnissen ausgebaut und viele Liegenschaften ans Netz angeschlossen.
 
Gas war also in den letzten Jahrzehnten der Energieträger, der am meisten zugelegt hat?
In Biel gibt es vorwiegend Öl- und Gasheizungen. Wo möglich wurde versucht, Kunden davon zu überzeugen, von Öl auf Gas umzustellen.
 
Jetzt kommt dieser Preisanstieg. Müssen sich Ihre Kundinnen und Kunden auf ein konstant höheres Preisniveau einstellen?
Es ist sehr schwierig, hier eine zuverlässige Prognose zu geben. Ich erinnere mich, als ich frisch in der Wärmebranche tätig war, da stieg der Ölpreis von 45 Franken für 100 Liter auf 160 Franken. Das war in den Jahren 2005/06. Ich habe mit einer Mitarbeiterin um eine gute Flasche Wein gewettet, dass der Preis nie mehr unter 50 Franken fallen würde. Ich habe mich geirrt. Vor drei, vier Jahren fiel der Preis wieder unter diese Marke. Es ist also schwierig abzuschätzen, was die Zukunft bringt. Heute zum Beispiel ist der Gaspreis schon wieder tiefer als vor zwei Wochen. Ich gehe davon aus, dass er mittelfristig wieder sinken und sich auf einem tieferen Niveau einpendeln wird. Denn es gibt keinen fundamentalen Grund, wieso er nachhaltig so hoch bleiben sollte. Der jetzige Anstieg ist kein Zeichen einer eigentlichen Energieknappheit, sondern kommt daher, dass zum aktuellen Zeitpunkt die Nachfrage grösser ist als das Angebot.
 
Die Preise auf dem Gasmarkt ändern sich ständig, Sie liefern Ihren Endkunden das Gas aber nicht jeden Tag zu einem anderen Preis. Wie funktioniert Ihre Preisgestaltung?
Wir haben einen gewissen Jahresbedarf an Gas. Um diesen zu decken, müssen wir Gas einkaufen, und das tun wir über zwei Wege: Einen Teil des Bedarfs an Gas kaufen wir im Voraus an der Börse. Dieser deckt den Grundbedarf an Gas, den wir sicher benötigen, selbst wenn der Verbrauch aufgrund der Witterung sehr tief sein würde. Der Preis für diese Menge ist fixiert, egal, wie hoch der Preis zum Zeitpunkt der effektiven Lieferung steht. Im Herbst und Winter, wenn es kälter wird und der Bedarf steigt, kaufen wir kurzfristig das zusätzlich benötigte Gas dazu, um den effektiven Bedarf zu decken. Dabei sind wir abhängig von den aktuellen Marktpreisen. Das gesamte Gas beziehen wir direkt über unseren Vorlieferanten, den Gasverbund Mittelland. 
 
Kommt das Gas immer direkt aus einer Pipeline, zum Beispiel aus Russland?
Das Gas wird aus den Lieferregionen wie Russland, Norwegen oder der Niederlande  durch Pipelines in das europäische Gasnetz eingespeist, wo es Speicher gibt. Diese werden im Sommer gefüllt und im Winter bei hohem Bedarf geleert.
 
Eigene Speicher haben Sie nicht?
Wir haben einzig die beiden Gaskugeln in Orpund. Das ist aber ein vergleichsweise kleiner Speicher. Damit könnten wir nicht einmal einen Tagesbedarf der Region abdecken. Der Speicher hilft uns aber, in Spitzenzeiten unser Netz zu stabilisieren.
 
Wenn der Gaspreis nun wieder sinkt: Wie lange dauert es, bis Sie das dem Endkunden weitergeben?
Unser Gaspreis könnte theoretisch schon im Februar wieder gesenkt werden. Das ist aber sehr wetterabhängig. Haben wir zum Beispiel einen sehr kalten Dezember, müssen wir mehr vom aktuell teuren Gas einkaufen. Bleibt der Winter mild und müssen wir weniger Zusatzkäufe tätigen, können wir unseren Preis auch schneller wieder senken.
 
Ihre Einkaufspolitik beeinflusst also direkt die Energierechnung der Kundinnen. Haben Sie sich in diesem Jahr schlicht verkalkuliert?
Im Gegenteil. Es gibt andere Versorger, die weit mehr aufschlagen müssen, als wir es nun tun.
 
Warum haben Sie denn nicht grössere Mengen Gas zu einem fixierten Preis bezogen?
Hätte jemand im Voraus gewusst, wie sich der Preis entwickeln würde, hätte er im Frühling Optionen gekauft und wäre nun reich. Der Preis hat sich vom Frühling bis in den Herbst verzwanzigfacht. Das wussten wir nicht, und die Entwicklung war nicht vorhersehbar. Zudem: Wir sind keine Spekulanten und richten unsere Einkäufe nicht danach aus, was kurzfristig passiert. Wir haben beim ESB eine genaue Beschaffungsstrategie definiert, die uns unabhängig von den Entwicklungen auf dem Weltmarkt eine gewisse Stabilität und Versorgungssicherheit garantiert. Das erreichen wir, indem wir im Voraus zu fixierten Preisen und während den Spitzenzeiten zu aktuellen Marktpreisen einkaufen. Klar, man könnte darauf spekulieren, das gesamte Gas zu einem bestimmten Zeitpunkt zu kaufen. Und damit könnte man grosse Gewinne erzielen. Aber wenn man sich verspekuliert, führt das zu grossen Verlusten. So ein Risiko gehen wir nicht ein.
 
Wer trägt denn nun Schuld an den aktuell hohen Preisen? Sind es die Russen? Die Chinesen? Oder ist das die Folge einer grünen Politik?
Es ist ein globaler komplexer Markt, da ist es schwierig zu sagen, wer ihn wie stark beeinflusst hat. Viele Faktoren spielen mit. Vereinfacht gesagt ist es eine Frage von Angebot und Nachfrage. Da waren zum Beispiel die Coronakrise und die Lockdowns. Weltweit wurde die Industrie heruntergefahren, und der Energieverbrauch ging massiv zurück. Die Preise für Kohle, Öl und Gas sind ins Bodenlose gefallen. Es gibt Kohleminen, die stillgelegt wurden. Es wurde weniger in die Suche nach neuen Gasvorkommen und die Erschliessung von Ölfeldern investiert, weil der Preis für diese Energieträger zu tief war. Dann hat sich die Wirtschaft viel schneller als gedacht erholt. Die Industrie hat zum Teil sogar ausgefallene Produktionen nachgeholt. So schnell der Energieverbrauch runter ging, so schnell stieg er auch wieder. Zudem hat die EU den Green Deal verabschiedet.
 
Ein Faktor ist also die Pandemie. Und wie spielt nun der Green Deal da mit?
Beim Green Deal geht es darum, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Um dies zu erreichen, sind in Europa die CO2-Zertifikatspreise gestiegen. Dadurch wurde es unattraktiv, Strom aus Kohle zu produzieren. Also wurde die Stromproduktion mit Gas erhöht. Und wieder ist der Gasverbrauch in Europa gestiegen.
 
Bedeutet das, dass grüne Anliegen zu schnell umgesetzt wurden? Dass noch nicht genügend nachhaltige Energie vorhanden ist, um den sogenannten «dreckigen» Strom zu kompensieren?
Nein, der Anteil Strom aus erneuerbaren Energien wurde europaweit erhöht. Aber wir hatten einen sehr kalten Winter. In der kalten Jahreszeit 20/21 wurde mehr Energie fürs Heizen verwendet als in der gleichen Vorjahresperiode. Unser Gesamtenergieverbrauch ist dermassen gestiegen, dass wir das mit erneuerbaren Energien alleine nicht auffangen konnten. 
 
Nicht nur Europa, auch China setzt vermehrt auf Gas statt Kohle in der Stromproduktion.
Richtig, das ist ein weiterer, wichtiger Faktor: Das Gas gelangt in der Regel über zwei Wege nach Europa. Durch Pipelines, etwa aus Russland, oder als Flüssiggas mittels Transportschiffen zum Beispiel aus Katar. Nun hat China massiv mehr Erdgas beordert, das über den Seeweg transportiert wird. Diese steigende Nachfrage aus China hat den Gaspreis zusätzlich in die Höhe schnellen lassen. 
 
Experten sagen, Russland hätte Europa problemlos mit mehr Gas versorgen können, als effektiv floss. Die Lieferungen seien bewusst gedrosselt worden, um Druck auf Europa auszuüben, die Inbetriebnahme der umstrittenen Pipeline Nord Stream 2 zu forcieren. Ist also auch ein politisches Machtspiel Schuld am hohen Gaspreis?
Es gibt auch Experten, die das anders beurteilen. Ihre Theorie besagt, dass Russland gerne mehr Gas geliefert hätte, aber technisch nicht dazu in der Lage war. Welche Version stimmt, werden wir wohl nie erfahren, da sich Russland bestimmt nicht in die Karten blicken lässt.
 
Der jetzige Preisanstieg zeigt auf, wie abhängig Sie davon sind, was auf dem Weltmarkt passiert. Könnte sich der ESB nicht von dieser Abhängigkeit lösen, in dem er mehr in eigene Energieproduktionen investiert?
Egal, woher wir unsere Energie beziehen, eine gewisse Abhängigkeit vom Weltmarkt bleibt immer bestehen. Denn es ist der Markt, der die Preise für Brennstoffe wie Gas bestimmt.
 
Beim Strom setzt der ESB aber stark auf Eigenproduktionen.
Ja, beim Strom stammt rund die Hälfte unseres Angebotes aus eigenen Anlagen wie zum Beispiel die Wasserkraftwerke in Hagneck, Brügg und Bözingen oder aus dem Pumpspeicherkraftwerk Argessa im Wallis, an dem wir beteiligt sind.
 
Wäre es bei der Wärmeproduktion nicht möglich, einen ähnlich hohen Eigendeckungsgrad zu erreichen?
Bei der Wärme ist unsere Strategie, mittels Wärmeverbünden die lokal vorhandenen, erneuerbaren Energiequellen zu nutzen. Das Potential für Wärmeverbünde ist aber beschränkt. Bis zirka 2030 haben wir das Ziel, rund 15 bis 20 Prozent des Energiebedarfs für das Heizen in Biel über diesen Weg abzudecken. 
 
Ein Vorzeigeprojekt für einen solchen Wärmeverbund ist der Energieverbund Bielersee. Mit der geplanten Anlage wollen Sie Wärme und Kälte aus dem See gewinnen und damit Teile von Biel und Nidau versorgen. Wie gross ist das Potenzial dieses Projekts?
Mit der Seewassernutzung werden wir jährlich rund 25 Gigawattstunden Heizenergie erzeugen können. Zum Vergleich: Unser Jahresbedarf an Gas beträgt 430 Gigawattstunden. Wir reden hier also von fünf bis sechs Prozent des Gasbedarfs, den wir damit kompensieren können. 
 
Wenn Sie sagen, dass der ESB mittelfristig höchstens 15 bis 20 Prozent des Energieverbrauchs fürs Heizen mit Eigenproduktionen wird abdecken können, heisst das im Umkehrschluss: Gas ist und bleibt als Energieträger sehr wichtig?
Das bedeutet nur, dass die 80 Prozent, die nicht an einem von uns betriebenen Wärmeverbund angeschlossen sind, andere Lösungen brauchen. Es gibt schon heute viele Hausbesitzer, die eigene Lösungen haben, wie zum Beispiel eine Wärmepumpe, Pellets-Heizungen oder Solaranlagen. 
 
Es ist davon auszugehen, dass Ölheizungen dereinst aus den Wohnhäusern der Schweiz verschwinden. Glauben Sie, auch Gasheizungen werden in Zukunft ausgedient haben?
Wenn die Schweiz bis 2050 klimaneutral sein will, dürfen wir auch kein Erdgas mehr verbrennen. Trotzdem wird Gas weiterhin eine Rolle auf dem Wärmemarkt einnehmen, nur halt in der ökologisierten Variante, also entweder Biogas oder synthetisch hergestelltes Gas. Bei uns beträgt der Anteil Biogas heute bereits 20 Prozent.
 
Könnte eine eigene Biogasproduktion für den ESB ein interessanter Markt sein?
Für die Herstellung von Biogas benötigt man Substrat, also zum Beispiel Landwirtschaftsabfälle wie Gülle, Grüngut oder Speisereste. Die grösste Quelle für Biogas in Biel ist die Abwasserreinigungsanlage. Die ARA in Biel bereitet das eigene Biogas neu auf und wir speisen dieses nun in unser Netz. Unsere Rolle sehen wir weniger darin, solche Anlagen selber aufzubauen und zu betreiben, sondern darin, diese zu erschliessen.
 
Würde es nicht bei der Abkoppelung vom Weltmarkt helfen, wenn es mehr solche regionale Produktionen gäbe?
Wir wären dann weniger vom grossen Markt abhängig, ja. Aber der Preis für das Gas wird trotzdem vom Weltmarkt bestimmt. Wenn Sie nun in der Taubenlochschlucht Gold finden würden, hätte dieses denselben Preis wie Gold, das Sie im Ausland kaufen. Ich muss hier festhalten, dass eine internationale Vernetzung auf dem Energiemarkt sowohl ökonomisch als auch ökologisch sinnvoll ist. In der Nordsee zum Beispiel produzieren die Deutschen zu Spitzenzeiten mit ihren Windparks mehr Strom, als sie nutzen können. Da macht es Sinn, dass auch wir von diesem Strom beziehen. Wenn der Wind nun nicht bläst, sind sie froh, den Strom aus den Schweizer Pumpspeicherwerken nutzen zu können. Die Einbindung der Schweiz an ein internationales System ist sinnvoll und nur so funktioniert dieses Netzwerk. Der Nachteil ist dann halt, dass wir von Marktpreisen abhängig sind, die wir nicht beeinflussen können.
 
Sie haben das Ziel der Schweiz angesprochen, bis 2050 klimaneutral zu sein. Führt diese Politik zwangsläufig zu höheren Energiepreisen?
(Überlegt). Das muss nicht sein, nein. Die Preise zum Beispiel, die wir für unsere aus dem Bielersee gewonnene Energie anbieten werden, sind vergleichbar mit den Preisen anderer Heizsysteme. Könnten wir das nicht gewährleisten, würden wir auch nicht genügend Abnehmer finden. Ich glaube nicht, dass eine nachhaltigere Welt für die Kunden teurer sein wird. Es ist schon möglich, dass der Energiepreis steigen wird, gleichzeitig werden wir aber auch effizientere Autos fahren und in besser isolierten Häusern wohnen, wodurch wir generell weniger Energie beziehen müssen. 
 
Laufen wir nicht Gefahr, dass Energie zum Luxusgut wird?
Nein, daran glaube ich nicht. Zum einen, weil wir durch effizientere Systeme unseren Energiebedarf werden senken können. Zum anderen muss man sagen, dass wir uns in der Schweiz in der glücklichen Lage befinden, dass wir uns auch höhere Energiepreise leisten können. In Nicaragua zum Beispiel gab es Aufstände, weil der Benzinpreis um zwölf Prozent gestiegen ist. Die Menschen dort konnten sich schlichtweg kein Benzin mehr leisten. Die Gegner des CO2-Gesetzes haben ja gesagt, wenn das Benzin in der Schweiz zwölf Rappen teurer würde, könnten sich nur noch Reiche das Autofahren leisten. Also stehe ich nun täglich im Stau mit lauter Reichen? In Wahrheit ist es so, dass das Gesetz zwar abgelehnt wurde, das Benzin seither aber trotzdem um mehr als zwölf Rappen teurer geworden ist. Und trotzdem fahren noch alle mit dem Auto herum.
 
Wenn Sie in die Zukunft blicken: Wie sieht der Energiemix aus, mit dem Sie Ihre Kunden in Biel versorgen?
Wir gehen davon aus, dass Strom eine wichtigere Rolle einnehmen wird. Wärmepumpen zum Beispiel werden mit Strom betrieben, der Automobilmarkt wird elektrifiziert. Zudem wird auch der Anteil Biogas wachsen.
 
Was ist mit Holz als Energieträger?
Bei Holz besteht noch grosses Potenzial. Holz wächst in unseren Wäldern nach, und für die Verbrennung verwenden wir ja nicht Stämme, die verbaut werden sollen, sondern die Abfälle, die bei der Holzverarbeitung entstehen und sonst nicht genutzt würden. Generell wächst der Waldbestand in der Schweiz. Wir könnten also definitiv mehr Energie aus dem Wald gewinnen.
 
Wie sieht die Situation in der Region aus?
Ich weiss, dass die Burgergemeinden Nidau und Biel genügend Holz haben, das sie zum Heizen zur Verfügung stellen wollen. Fest steht bereits, dass wir in der Seevorstadt einen Energieverbund mit Holzschnitzelheizung realisieren werden. Auch bei der Holzfachschule in Biel ist ein solches Projekt angedacht. Die Energieproduktion aus Holz wird also bei uns noch zunehmen.
 
Sie sagen, Strom wird zu einem immer wichtigeren Energieträger werden. Werden wir es schaffen, von Atomkraftwerken wegzukommen, ohne auf «dreckigen» Strom aus Kohlekraftwerken angewiesen zu sein?
(Überlegt). Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Und ich sage jetzt etwas, das man vielleicht nicht gerne hört. Um das zu schaffen, muss sich die Schweiz mit Europa vernetzen, denn autonom werden wir das nicht lösen können. Viele Versuche, alternative Energieträger aufzubauen, wie zum Beispiel Windparks, werden durch Einsprachen verunmöglicht. Es ist wohl unserem Wohlstand geschuldet, dass wir nicht bereit sind, gewisse Lasten für die Wende zu tragen. Deshalb müssen wir die Stromversorgung anders gewährleisten. Wir haben in der Schweiz Berge und Flüsse und dadurch steuerbare Stromproduktionen. Das sind wichtige Trümpfe, die wir in das europäische Netzwerk einbringen können. Im Gegenzug macht es Sinn, andere Ressourcen wie zum Beispiel Solarstrom aus südlichen Ländern zu importieren. Was ebenfalls wichtig sein wird, ist, unseren Stromverbrauch besser zu steuern, also den Strom dann zu nutzen, wenn er vorhanden ist. Die Ladung unseres Elektroautos sollte dann erfolgen, wenn erneuerbare Energien fliessen und nicht einfach zu dem Zeitpunkt, wenn wir nach Hause kommen. 
 
Glauben Sie, der Energiemarkt wird in den nächsten Jahren revolutioniert werden? Wird eine Technologie kommen, die alles auf den Kopf stellt?
Ja, an die Revolution glaube ich. Aber nicht in dem Sinne, dass eine Erfindung alles verändern wird. Wir befinden uns ja bereits im Zyklus der kompletten Veränderung. Heute produzieren Menschen auf ihren Hausdächern Strom, der dann in unser Netz eingespiesen wird. Der Stromfluss wird zeitweise quasi umgedreht, der Kunde beliefert den Versorger, vor 20 Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Batterien werden immer wirtschaftlicher, und es werden Quartiere entstehen, die sich untereinander mit Strom versorgen werden. 
 
Die Zukunft liegt also in dezentralen Stromproduktionen?
Ja, das ist ein wichtiger Trend. Wenn die Sonne scheint, lade ich damit mein Elektroauto. Geht die Sonne unter, fliesst der Strom des Autos in das Haus. Wir bewegen uns in diese Richtung, und es kommen noch etliche Innovationen auf uns zu.
 
Der Umstieg auf «saubere» Energie löst auch gewisse Ängste aus. Teile der Bevölkerung fragen sich, ob Windräder, Solaranlagen und Co. stets genügend Strom produzieren können, um unseren Bedarf zu decken. Besteht Ihrer Meinung nach die Gefahr, dass unser Stromnetz einen Kollaps erleiden könnte? 
Es gibt in Europa sehr viele Kraftwerke, die kurzfristig Strom produzieren können, wenn es zu Engpässen kommt. Um zu verhindern, dass das Netz in dieser Übergangsphase kollabiert, müssen wir in Kauf nehmen, dass für ein paar Stunden «dreckiger» Strom produziert wird. Entscheidend ist, dass wir den Anteil erneuerbarer Energien laufend erhöhen. Das ist kein Prozess, der von heute auf morgen passieren kann.
 
Der Bundesrat hat vor kurzem vor einer Stromknappheit gewarnt. Zu reden gibt auch das fehlende Stromabkommen der Schweiz mit der EU, was dazu führen könnte, dass die Schweiz zu Spitzenverbrauchszeiten nicht mehr prioritär von Europa mit Strom versorgt würde. Was würde das für uns bedeuten?
Dass die Schweiz flächendeckend nicht mehr mit Strom versorgt werden könnte, dazu würde es nicht kommen. Auf Szenarien einer Stromknappheit sind wir vorbereitet. Sie müssen sich das vorstellen wie eine Wasserknappheit in einem trockenen Sommer, wenn gesagt wird, die Menschen sollen ihre Pools nicht füllen oder darauf verzichten, die Autos zu waschen. Bei einer Stromknappheit dürfte man dann halt die Jaccusis nicht laufen lassen oder müsste die Klimaanlagen abstellen. In prekäreren Situationen müssten einzelne Gebiete kurzfristig vom Netz genommen werden, damit nicht das ganze Netz zusammenfallen würde. Solche Notfallpläne bestehen. Aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass dies aufgrund fehlender Abkommen mit der EU je passieren wird, Europa lässt uns nicht im Stich.

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