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Sozialpolitik

Sozialhilfe: Die Quote in Biel sinkt vorerst weiter

Die Bieler Sozialhilfequote ist 2019 weiter gesunken, erstmals seit 2010 unter elf Prozent. Ein positiver Trend, mit dem es aufgrund der Coronakrise spätestens 2021 vorbei sein dürfte.

Symbolbild: Keystone

von Lino Schaeren

Es sind Zahlen der Bestätigung für die Stadt Biel. Die Sozialhilfequote ist 2019 zum dritten Mal infolge gesunken; von 11 auf 10,7 Prozent. Das geht aus den gestern publizierten Kennzahlen der Städteinitiative Sozialpolitik hervor. 2016 lag die Quote noch bei 11,8 Prozent. Nach der erneut positiven Entwicklung kann definitiv von einem Trend gesprochen werden, nachdem der stetige Anstieg der Sozialhilfequote 2013 zumindest vorerst stabilisiert werden konnte. Ein positiver Trend, der wohl noch 2020 anhalten wird. Dann aber dürften die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auch auf die städtische Sozialhilfe durchschlagen. So werden die eigentlich positiven Zahlen des letzten Jahres durch Gegenwarts- und Zukunftssorgen getrübt.

Noch steigt die Zahl der Dossiers auf dem Bieler Sozialamt nicht. Im Gegenteil. Laut Sozialdirektor Beat Feurer (SVP) habe die Fallzahl im Vergleich zum Vorjahr 2020 in jedem Monat weiter abgenommen. Es ist deshalb gut möglich, dass die Sozialhilfequote in Biel auch 2020 trotz Coronakrise noch einmal sinken wird. Grund dafür ist die Bundespolitik: Der Bundesrat hatte im März in seiner Notverordnung festgelegt, dass in der Krise niemand den Anspruch auf Arbeitslosengelder verlieren soll. Diese Regelung wurde nach der Annahme des Covid-19-Gesetzes durch das eidgenössische Parlament bis Ende Jahr verlängert. Konkret heisst das, dass der Bund seit April niemanden mehr ausgesteuert hat – was die Neueingänge an Dossiers auf den Sozialämtern reduziert. «Der Bund schützt die Arbeitslosen derzeit und das ist gut so, sonst wären wir schnell einmal massiv überlastet», sagt Thomas Michel, Abteilungsleiter Soziales der Stadt Biel.

Erschwerte Integration
Es wäre ein Trugschluss, dass dem Sozialamt die Arbeit ausgehen könnte, jetzt, wo nur wenige neue Dossiers eröffnet werden. Derzeit ist nämlich die Integration der bestehenden Sozialhilfebeziehenden, die eigentliche Hauptaufgabe der Sozialarbeiter, massiv erschwert. Die Strategie der Stadt ist seit der Reorganisation der Abteilung Soziales 2016 eigentlich darauf ausgelegt, vor allem die neuen Dossiers intensiv zu behandeln, da Personen, die noch nicht lange Sozialhilfe beziehen, erwiesenermassen schneller wieder eine Stelle finden. Stattdessen muss sich das Sozialamt jetzt auf ältere Fälle konzentrieren. Diese sind in der Krise noch schwieriger vermittelbar, da in den letzten Monaten tendenziell niedrig- und nicht hoch qualifizierte Arbeitsplätze verloren gingen. Biel werde 2020 also nicht nur weniger Dossier eröffnet, sondern auch deutlich weniger abgeschlossen haben als in den Jahren zuvor, sagt Michel.

Das wiederum dürfte sich negativ auf die Falldauer auswirken, die in Biel wie die Sozialhilfequote bereits hoch ist. Der Median für den Sozialhilfebezug lag in Biel 2019 bei 40 Monaten (siehe auch Grafik links). Die Hälfte aller Beziehenden war also bereits länger von Sozialhilfe abhängig. Durch die Krise dürfte die hohe Falldauer tendenziell noch einmal zunehmen und mit ihr auch die Kosten. Dass Biel bei der Falldauer wie auch bei der Quote im Städtevergleich obenausschwingt, hat in erster Linie strukturelle Gründe. Biel lag 2019 beim Bevölkerungsanteil der Alleinerziehenden (4,1 Prozent), der Geflüchteten (4 Prozent) und der Arbeitslosen (3,6 Prozent) deutlich über dem Wert praktisch aller anderen 13 Vergleichsstädte; und auch beim Bevölkerungsanteil ohne Ausbildung ist Biel ganz vorne mit dabei. Für all diese Gruppen besteht statistisch belegt ein klar erhöhtes Sozialhilferisiko – und in Biel summieren sie sich.

Nur Lausanne entwickelt sich besser
Wenn der Bund beschliessen wird, wieder Arbeitslose auszusteuern, kommen die neuen Dossiers dazu, die sich seit April «stauen». Jene Nicht-Selbstständige, die in der Coronakrise ihre Stelle verloren haben, werden hingegen erst in zwei Jahren in der Fürsorge landen, sollten sie bis dahin keine neue Anstellung gefunden haben. Thomas Michel geht deshalb davon aus, dass die eigentliche «Welle» neuer Dossiers das Bieler Sozialamt erst Ende 2022 oder Anfang 2023 erreichen wird. «Ich sehe dunkle Wolken aufziehen über Biel», sagt der Leiter des Sozialdiensts, «zumindest, wenn die neue Last nicht durch zusätzliche Investitionen aufgefangen wird.»

Zurück zu den effektiven Zahlen des Jahres 2019. Sozialdirektor Beat Feurer nimmt diese zum Anlass, seinen Mitarbeitenden auf der Abteilung Soziales ein Kränzchen zu winden, da sie die Anstrengungen der letzten Jahre bestätigten. Zwar bewegt sich Biel was die Sozialhilfequote betrifft nach wie vor mit grossem Abstand an der Spitze aller Vergleichsstädte (siehe auch untere Grafik links). Wobei die zuletzt positive Entwicklung in Lausanne aufgrund der zusätzlichen Leistungen im Kanton Waadt wie Brückenrenten, Stipendien statt Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen für Familien etwas verzerrt wird. Feurer verweist denn auch darauf, dass Biel mit Ausnahme von Lausanne jene Vergleichsstadt sei, welche die Sozialhilfequote seit 2016 am deutlichsten habe senken können. Auch wenn die Zahlen nun wieder steigen sollten, dürfte es der Anspruch Biels sein, zumindest in der Entwicklung besser abzuschneiden als die meisten anderen.

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