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Biel

Was sie machen ist fragil und doch so kraftvoll

Kontrabass, Trompete und Gesang: Das ist keine alltägliche Jazz-Formation. Doch Tie Drei brauchen nicht mehr. Sie machen morgen den Auftakt des Festivals Suisse Diagonales Jazz im Le Singe.

Johanna Pärli, Sonja Ott und Hannah Müller (von links) zählen zum vielversprechenden Schweizer Jazznachwuchs.  zvg
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Es beginnt mit einem langen Atemzug. Der Atemzug einer Taucherin. Langsam, ruhig, tief. Das ist Trompete, aber auch Stimme, beide nicht so, wie man sie kennt. Mit wenig Klang, dafür mit viel Kraft. Klang bringt der Kontrabass, ziemlich wild, nicht begleitend, sondern ganz präsent. Es folgt Melodie. Zuerst vom Gesang, von einer Soulstimme, die sich viel traut. Dann von der Trompete, die leise und laut gleich stark sein kann.
 
Das ist Jazz, glaubt man. Doch so ganz wissen kann man das ja nie. Das, was Tie Drei produzieren, funktioniert nur, wenn man richtig hin hört. Es ist keine Hintergrundmusik, die ein Glas Bier und ein Gespräch ummantelt. Sie ist das Bier. Oder viel mehr noch das Gespräch. «Wir sind drei Menschen, die mit ihren Instrumenten reden. Und wir erzählen Geschichten», sagt Trompeterin Sonja Ott. Diese Geschichten sind nicht immer leicht zu verstehen. Das muss man auch nicht. Es gehe um Emotionen, sagt Kontrabassistin Johanna Pärli.
 
Junge Jazzerinnen und Jazzer fördern
Alles klar also. Oder auch nicht. Das ist wohl Jazz: Gefühl. Und dieses Gefühl dominiert diese Woche das Le Singe in Biel. Tie Drei machen den Auftakt in Biel des Suisse Diagonales Jazz, einem Festival, das junge und oder zumindest nicht alte Schweizer Jazz-Gruppen fördert. Diese dürfen nämlich durch die Schweiz touren, von einer Bar zur anderen. Das Ganze findet alle zwei Jahre statt, es wäre für letztes Jahr geplant gewesen, aber eben.
 
Die drei Frauen von Tie Drei sind in der Tat jung, besonders in der Jazzwelt: 25, 26, 32. Tie Drei gibt es seit rund sechs Jahren, Sängerin Hannah Müller ist aber erst seit einem Jahr dabei. Vorher sang Leoni Altherr. «Wir haben uns musikalisch auseinandergelebt», sagt Ott. Die Formation aufzugeben sei aber keine Option gewesen. Ott und Pärli suchten Stimme und fanden Müller, via Instagram. Die Jazzwelt in der Schweiz sei überschaubar, so Pärli. Sie kannte Müllers Musik bereits, und sie kannte einen, der mal mit Müller spielte, und noch einen anderen. Pärli zeigte Ott ein Video von Müller. «Und ich sagte: Die brauchen wir», so Pärli. Auch für Müller waren Ott und Pärli keine Unbekannten. «Mir waren die beiden ohnehin bereits sympathisch. Weshalb also nicht gemeinsam jammen?», sagt Müller. Sie telefonierte mit Pärli. Und da Müller nicht gerne telefoniert, kam es rasch zu einem Treffen. Müller befürchtete zwar, eine Lücke füllen zu müssen, jemanden zu ersetzen. Doch es war anders. «Dadurch, dass wir von Anfang an zusammen Neues entwickelt haben, verflog dieses Gefühl rasch», so Müller.
 
Gesang, Trompete, Kontrabass. Keine alltägliche Jazz-Formation. Ott und Pärli spielten anfangs nur zu zweit, eigentlich, um Jazzstandards zu üben. Die beiden lernten sich im Musikstudium kennen. Bald wünschten sie sich eine Stimme dazu. «Es war eigentlich mehr ein Ausprobieren, ein sich Herantasten an das, was mit dieser Formation möglich ist», sagt Ott. Wohin das Ganze führt, wussten die drei damals nicht. «Wir mussten erst einmal unseren Sound finden», sagt Pärli.
 
Und sie haben ihn gefunden. Ott gefiel das sehr. Jedes Geräusch, jeder Ton, den sie mit ihrer Trompete machte, wurde in all seinen Facetten wahrgenommen, erhielt Raum, anders als in all den Big-Bands, in denen Ott bis dahin gespielt hatte. «Bei uns erhält jede Stimme extrem viel Platz», sagt sie. Auch dann, wenn die Stimme ausschliesslich wie der Atem einer Taucherin klingt.
 
Sie forschen auf der Bühne
Geforscht wird bei Tie Drei auch noch auf der Bühne. Wie viel? «Das sehen wir dann», sagt Pärli. Festgelegt sei jeweils etwa ein Drittel. Improvisation gehört also dazu. «Je nach Publikum, nach Stimmung, nach Raum zieht es uns in eine andere Richtung», sagt Ott.
 
Was den Text anbelangt improvisiert Müller auf der Bühne nicht. Sie baut ihn jedoch jeweils frei ein, macht ein Stück daraus, wiederholt es, schafft ein neues, das ähnlich und anders ist. Sie kommt aber auch gut ohne Worte zurecht. Manchmal reichen Vokale, oder Konsonanten, oder Vokale mit ein paar Konsonanten. «Je nach Stimmung», sagt sie.
 
Doch wie kommen drei junge Frauen überhaupt zu Jazz? Bei Ott war es wohl die Mutter, Jazzsaxofonistin. Sie nahm ihre Tochter mit an Workshops. Das Offene begeisterte sie, das Freie. Bei Müller war es der Vater, E-Bassist, aber auch lange Zeit Geiger. Müller zog es zuerst ebenfalls in die Klassik, zur Geige. Das Starre bereitete ihr jedoch zunehmend Bauchweh. Irgendwann dachte sie sich: Weshalb nicht singen? Sie nahm ein paar Stunden, machte die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Künste in Zürich und wurde aufgenommen.
 
Kontrabassistin Pärli fand den Zugang zu Jazz erst spät, wie sie sagt. Und auch zum Kontrabass. «Ich war lange Zeit suchend, nach Klängen, nach Musik.» Angefangen hat auch sie in einem klassischen Orchester. Doch dann landete sie in einer Jazz-Band, ging mit ihr auf Tour, «im semi-professionellen Bereich». «Und so hat es mich reingezogen. Jazz ist viel lustiger als klassische Musik», sagt Pärli. Damit meint sie wohl offener, gelassener, vielseitiger. Pärli und Ott unterrichten gemeinsam an der Berner Musikschule «Musik im Dach». Müller hingegen studiert noch.
 
Ein Album gibt es von den dreien bisher nicht. Man fange ja auch nicht direkt mit einem Album an, sagt Müller. In ihrem ersten Programm steht die Zeit im Fokus, inspiriert von der Pandemie. «Die Monate im Lockdown habe ich als sehr lange wahrgenommen. Und trotzdem fühlt es sich an, als würde diese Zeit nun fehlen, als wäre sie aus meinem Leben herausgeschnitten worden», sagt Ott. Es geht also ums Ausharren, ums Weitergehen, ums Mitgehen, ums Beobachten. Und dabei wird hinterfragt. Ob aus der Sicht des Mondes oder des Blauwals. Anders, als man es kennt. In der Hoffnung, Dinge zu sehen, die einem sonst nicht auffallen.
 
Am Dienstag haben die drei in Zürich ihren ersten Auftritt im Rahmen des Suisse Jazz Diagonales. Danach geht es Schlag auf Schlag: Luzern, Biel, Vevey, Frauenfeld, Siders. Dabei zu sein ehrt sie. «Es fühlt sich ein bisschen bizarr an, dass wir so etwas in dieser Zeit machen dürfen», sagt Pärli. Aber sie freuen sich. Auch weil sie so manchen Künstler auf dem Programm bewundern. Doch im Line-Up müssen sich Tie Drei keineswegs verstecken, im Gegenteil.   Hannah Frei
 
Info: Tie Drei, morgen, 20.30 Uhr, Le Singe, Untergasse 21, Biel. Weitere Infos unter www.kartellculturel.ch
 
 

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