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Kappelen/Biel

"Was weit dir de wüsse?"

Jrene und Kurt Hiltbrunner sind seit einem halben Jahrhundert verheiratet. Dabei war eine Ehe gar nicht geplant. Warum haben sie es trotzdem gemacht? Und wie hält dieLiebe? Kurz nach dem Valentinstag Zeit für einige Antworten.

Jrene und Kurt Hiltbrunner in ihrer Wohnung in der Residenz au Lac

Raphael Amstutz

«Was weit dir de wüsse?» fragt Jrene Hiltbrunner beim Besuch in ihrer Alterswohnung in der Residenz au Lac in Biel.
Im Vorgespräch war angekündigt worden, dass es, im Zusammenhang mit dem Valentinstag, um die Liebe gehe und darum, wie es gelinge, 50 Jahre verheiratet zu sein.
«Was weit dir de wüsse?» Die Liebe scheint eine Selbstverständlichkeit zu sein für Jrene und ihren Mann Kurt, die vor sieben Jahren aus Kappelen nach Biel gezogen sind.


Wie alles begann
Begonnen hat sie an einem Taxistand am Berner Bahnhof vor über einem halben Jahrhundert; an einem Tag im Jahre 1968. Jrene hatte länger gearbeitet in der Liegenschaftsverwaltung und wollte rasch nach Hause, Kurt war damals als Taxichauffeur tätig, nachdem er sieben Jahre auf See gewesen war. Die See war der Anfang. Die beiden kamen nämlich ins Gespräch und sie erzählte ihm, dass ihr Bruder ein Smutje, ein Schiffskoch, sei. Man könne sich am nächsten Sonntag ja einmal treffen zu dritt.
Zwei Jahre später waren Jrene und Kurt ein Ehepaar. Dabei hatten die beiden gar nicht im Sinn, zu heiraten. «Als wir aber einander kennengelernt haben, hat sich das geändert», sagt Kurt. «Wir sind beide auf der gleichen Linie», ergänzt Jrene.


Auf der gleichen Linie heisst für sie: Die grosse Freude am Reisen, die kleine Freude an Familientreffen. Aber auch: Die Hauptmahlzeit gibt es abends. «Für viele Paare und Familien war es ja so: Am Mittag kocht die Frau, es gibt eine warme Mahlzeit und alle sitzen am Tisch. Das war bei uns nie so. Wir sind abends zusammengesessen», erklärt Jrene. Wer denn jeweils koche? Kurt blickt zu Jrene und lächelt: «Es ist viel besser, wenn sie es macht.»


«Die Menschen haben das Gefühl, dass es im Alter mehr freie und leere Stunden gibt», sagt Jrene. Das stimme aber nicht. Zwar gäbe es weniger Termine, aber ob einkaufen, waschen oder kochen – alles brauche mehr Zeit. Auch Entscheidungen. «Früher waren wir spontaner», sagt Kurt. So hätten sie ihre Reisen oft kurzfristig gebucht. «Heute kann es vorkommen, dass wir drei Monate über etwas reden, bevor wir es machen», sagt er und schmunzelt.


Es sei «relativ gut gegangen» sagt Jrene über die Anfänge ihrer Ehe und hinter der Ironie ist eine verschmitzte Zuneigung zu spüren. Nach einem Jahr habe sie aber trotzdem «den Pickel hinwerfen» wollen. Der Kurt sei einfach zu pingelig gewesen: Bitte die Senftube nicht in der Mitte drücken, bitte die Hosen genauer bügeln. Das habe zu Reibereien geführt. «Mir hei das aber immer uschääret», sagt sie. Was sie damit meint: Die beiden haben alles besprochen. Reden, reden, reden, das sei das Wichtigste, sagt Kurt. Heute sei es zudem anders: Jetzt sei seine Frau pingeliger.


«Jetz chasch mi de mau»
Und, auch da sind sich beide einig: Entscheidend seien gemeinsame Projekte: Bei ihnen war es der Hauskauf und ist es bis heute das Reisen. Die beiden haben einiges von der Welt gesehen in all den Jahren.
Bald fahren sie wieder los – diesmal für vier Wochen ins Tessin, weil die meisten Orte im Ausland aufgrund der Coronakrise nur schwierig oder gar nicht zu erreichen sind. Jrene und Kurt lassen sich aber davon nicht die Laune verderben. Es ist zu spüren, dass sie aus eigener Erfahrung wissen, wie es ist, wenn sich Vorstellungen nicht umsetzen, Wünsche nicht erfüllen lassen oder es gesundheitlich schwierig ist. An die grosse Glocke hängen sie das aber nicht. Der Optimismus überwiegt, die Freude am Leben.
Etwas Drittes ist ihnen wichtig: Nicht stur sein. Grundsätzlich, aber auch in der Beziehung. «Einander leben lassen», ergänzt Kurt. Wer nun meint, bei den Hiltbrunners herrsche ständig Harmonie, der liegt falsch. «Wir haben einander immer mal wieder gesagt, jetz chasch mi de mau», sagt Jrene. Sie seien aber nicht in der Wut und im Unverständnis verharrt, sondern hätten sich an einen Tisch gesetzt und einander zugehört.

Eine Karte mit einem Satz
Den runden Hochzeitstag im vergangenen Dezember konnten die beiden gerade noch im «Palace» feiern, bevor die Restaurantschliessungen kamen. Sie waren zu zweit. Auch für Jrenes Geburtstag im gleichen Monat waren sie als Paar auswärts essen. Keine Familie (beide sind die Ältesten und haben mehrere Geschwister), keine Freunde, selbst wenn das möglich gewesen wäre. Hiltbrunners sind kinderlos geblieben und machen ihre Sachen gerne für sich. Sie nennen es so: «Wir sind nicht so familienorientiert.» So waren sie zum Beispiel früher über die Festtage oft in den Ferien, damit sie den Feierlichkeiten ausweichen konnten. Das war bereits bei der Hochzeit so. Eingeladen wurden nur gerade die Eltern und die Trauzeugen. «Die Freunde und Verwandten erhielten eine Karte mit dem Satz ‹Wir haben uns vermählt›», wie Jrene lachend anfügt. «Auch die Eltern haben wir nicht um ihre Erlaubnis gefragt», ergänzt Kurt. «Wir haben sie vor vollendete Tatsachen gestellt.» Wieder dieses herzliche Lachen.

Die Sache mit dem Glück
Ob sie etwas anders machen würden? «Nein», sagt Kurt. Klar habe es Enttäuschungen gegeben, aber die gebe es in jedem Leben und das sei auch nicht schlimm. Wichtig sei, dass man flexibel bleibe, offen, neugierig. Dann aber auch: «Wir haben einfach sehr viel Glück gehabt», sagt Jrene, «und viele gute Menschen getroffen.»
«Wir wollen beide gemeinsam 100 werden», sagen sie und blicken einander mit einem Lachen an. Es würde niemand verwundern, wenn es so kommen würde.

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