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„Krawattenzwang“

Wer ist Gerne-im-Stau-Steher?

Im persönlichen Blog berichtet Bernhard Rentsch, publizistischer Leiter der Gesamtredaktion und Chefredaktor „Bieler Tagblatt“ wöchentlich über Erlebnisse im privaten wie im beruflichen/gesellschaftlichen Leben – dies immer mit einem Augenzwinkern. Heute: Wer ist Gerne-im-Stau-Steher?

Krawattenzwang: Bernhard Rentsch
  • Dossier

Ferienzeit – Stauzeit. Eigentlich komisch, diese Kombination. Denn Ferien bedeutet doch Erholung, Herunterfahren, Musse. Und sicher nicht Stress, Gedränge, unausstehliches Reagieren. Und doch nehmen wir momentan fast täglich, ganz sicher jedoch Wochenende für Wochenende die Meldungen von kilometerlangen Blechlawinen und stundenlangen Wartezeiten zur Kenntnis.

Selber ein kaum geübter Stausteher und mit mässig ausgebildetem Verlangen, in dieser Hinsicht mehr Erfahrungen zu sammeln, frage ich mich immer wieder, was der Reiz an diesem Phänomen ist. Das Anstehen auf „nur“ zwei Kilometern und ein Zeitverlust von rund einer halben Stunde haben mir vor einigen Wochen zur Kenntnis gereicht, dass dies eher etwas für andere ist. Aber für wen? Ich möchte wirklich wissen, was die Motivation ist für Gerne-im-Stau-Steher – sofern es diese überhaupt gibt (was der Fall sein muss, denn eine Überraschung ist die Verstopfung der Nord-Süd-Achse ja während den Juli-Wochenenden in der Tat nicht).

Die Suche nach Antworten im Internet ergibt keine befriedigenden Lösungen. Unter dem Hashtag #stausteher finden sich Tipps, wie man sich im Stau verhalten soll. Aber keine Gründe, warum oder mit welchen positiven Gedanken verbunden. Auch auf direkte Fragen in einer kleinen, nicht repräsentativen Umfrage, sind keine Antworten zu finden, die der Suche nach diesem Phänomen sachdienlich sein könnten. Mit Argumenten, dass man sich doch wieder einmal in Ruhe unterhalten könne oder dass man endlich längst vermisste Musikstücke anhöre, wirken eher als Ausreden oder Entschuldigungen. Also: Warum?

Ein Nutzen, den ich persönlich beim Miterleben von Stausituationen ziehe, ist es, die verschiedenen Charaktere der Mitmenschen mitzuerleben und in einzelne Kategorien einzuteilen. Was es da an Emotionen und dem gegenseitigen Austausch von Nettigkeiten zu erkennen gibt, ist faszinierend. Vier Stunden im Stau – und sich dann von einem rechtsüberholenden Drängler um eine Position nach hinten versetzen zu lassen: Das ist für einige zu viel und der Blutdruck steigt. Wer sich das seelenruhig zu Gemüte führen kann, wird wenigstens auf der Unterhaltungsebene perfekt bedient.

Ihre Erfahrungen?


brentsch@bielertagblatt.ch

Twitter: @BernhardRentsch

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