Sie sind hier

Abo

Nidau

Wie viel Betreuung kann sich Nidau leisten?

Eine verbindliche Zusicherung für mehr Betreuungsplätze: Das möchte Stadtrat Tobias Egger (SP) durch die Kita-Initiative erreichen. Susanne Schneiter Marti (FDP) dagegen will mit dem Gegenvorschlag verhindern, dass die Kosten ausufern.

Tobias Egger und Susanne Schneiter Marti wollen beide die Kinderbetreuung in Nidau verbessern – aber auf unterschiedliche Weise. Raphael Schaefer

Interview: Carmen Stalder

Tobias Egger, die Gegner der Kita-Initiative befürchten, dass ein uneingeschränktes Angebot an Betreuungsplätzen die finanziellen Möglichkeiten der Stadt übersteigt. Der Gemeinderat rechnet mit zusätzlichen Ausgaben von rund 140000 Franken im Jahr. Kann sich Nidau die Initiative überhaupt leisten?
Tobias Egger: Nidau kann und muss es sich leisten. Die Stadt will wachsen, dafür müssen wir auch die entsprechenden Einrichtungen zur Verfügung stellen. Das Angebot wäre auch mit der Initiative nicht uneingeschränkt, weil nur diejenigen Leute Betreuungsgutscheine erhalten, welche die Anforderungen erfüllen. Zudem werden jetzt nicht eigens wegen der Initiative besonders viele Leute nach Nidau ziehen, so viele freie Wohnungen haben wir gar nicht. Deshalb mache ich mir da keine Sorgen.

Susanne Schneiter Marti, die FDP Nidau wirbt damit, sich für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einzusetzen. Warum sind Sie dann nicht für die Kita-Initiative, die sich für eben dieses Anliegen starkmacht?
Susanne Schneiter Marti: Da muss man differenzieren: Das Anliegen der Initiative an sich findet die FDP absolut gerechtfertigt. Für uns ist klar, dass es eine externe Kinderbetreuung braucht, wenn beide Eltern arbeiten. Die damalige FDP-Stadträtin Susanne Knecht hat sich schon 2004 für die Tagesschule starkgemacht. Was jetzt noch fehlt, ist die Ferienbetreuung. Die meisten Eltern müssen mit vier oder fünf Wochen Ferien im Jahr zurechtkommen. Was macht man also in der Zeit, in der die Kinder keine Schule haben? Das ist eines der Hauptanliegen der Initiative und das ist auch für die FDP sehr wichtig.

Trotzdem hat die FDP vom Gemeinderat einen Gegenvorschlag ausarbeiten lassen. Warum?
Schneiter Marti: Die FDP findet, dass das Anliegen nicht in die Stadtordnung gehört. Wir haben das Geschäft zurück an den Gemeinderat gewiesen und gesagt, nehmt bitte das Anliegen der Initianten wahr, aber reglementiert es so, dass der Gemeinderat eine Handhabe hat. Es ist ein Anliegen der FDP, dass die Kosten nicht aus dem Ruder laufen. Niemand weiss heute, wie gross die Nachfrage wirklich sein wird.

Egger: Die Befürworter des Gegenvorschlags möchten, dass die Initiative nicht zu verbindlich ist. Dabei ist genau diese Verbindlichkeit wichtig. Wenn eine Familie nach Nidau zieht, will sie sich auf das Betreuungsangebot verlassen können. Sie will nicht, dass der Gemeinderat von Jahr zu Jahr eine andere Begrenzung festlegt und dass vielleicht sogar der Stadtrat beim Budget noch einmal darüber streitet, ob man jetzt 50 oder 100 Plätze finanziert.

Schneiter Marti: Genau aus diesem Grund habe ich eingebracht, dass im Reglement festgeschrieben wird, dass es während acht Wochen im Jahr eine Ferienbetreuung gibt. Das hat der Gemeinderat nicht so vorgeschlagen. Ich finde, dass man hier eine Zahl haben muss.

Im Reglement steht, dass der Gemeinderat die Abgabe von Betreuungsgutscheinen beschränken kann. Was heisst denn das genau?
Schneiter Marti: Es ist ein Anliegen der FDP, dass der Gemeinderat einen Steuermechanismus zur Verfügung hat. Ob es diesen dann braucht oder nicht, werden wir sehen. Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass man mit seinen Finanzen haushalten und nicht mehr ausgeben soll, als man hat. Damit man das kann, braucht es eine Handhabe. Und diese hat man nicht, wenn es in der Stadtordnung verankert ist (jede Änderung der Stadtordnung bedarf einer Volksabstimmung, Anm. d. Red.).

Egger: Ich finde das Finanzargument sehr schwierig. Leute, die ihre Kinder in eine Kita schicken, sind auch Leute, die Steuern bezahlen. Es kommt also etwas zurück. Es geht darum, Familien zu subventionieren, die sich die Kinderbetreuung nicht selbst leisten können. Davon betroffen sind etwa alleinerziehende Elternteile, die oft nahe an der Armutsgrenze und von der Sozialhilfe leben. Die könnten dank einer Subvention arbeiten gehen. Zudem beginnt die Ferienbetreuung erst mit der Schule. Bis dahin, das heisst wenn die Kinder am meisten betreut werden müssen, vergehen fünf bis sechs Jahre. So viele Jahre ausserhalb des Berufs können karriereschädigend sein. Die Initiative ist eine kurzfristige finanzielle Investition, die sich dafür langfristig lohnt.

Schneiter Marti: Um noch einmal darauf zurückzukommen: Die FDP ist überhaupt nicht gegen die Anliegen der Initiative, gegen familienergänzende Kinderbetreuung oder gegen Kitas. Es ist einfach eine Frage der Stufe, auf der man es verankern will. Ich denke auch volkswirtschaftlich: Zum Beispiel bei den Ärztinnen steigen 32 Prozent aus dem Beruf aus. Das ist Wahnsinn, weil das Ärztestudium eines der teuersten überhaupt ist. Jede Frau muss die Möglichkeit haben, auch mit Kind ihren Beruf weiter auszuüben, wenn sie das möchte.

Es gab ja einige Stadträte, die meinten, dass es sich einige Familien mit der Betreuung zu bequem machen, indem sie ihre Kinder in die Kita schicken.
Schneiter Marti: Ich möchte betonen, dass diese Voten nicht von der FDP kamen. Man kann die FDP als Wirtschaftspartei schimpfen, aber unsere Wirtschaft lebt auch von den Frauen. Die Hälfte der Gymnasiasten sind Frauen, ungefähr die Hälfte der Studenten sind Frauen. Wenn man diese alle absägt und heimschickt, haben wir volkswirtschaftlich einen völligen Blödsinn gemacht. Das ist der Grundgedanke, warum die FDP eine familienergänzende Betreuung unbedingt sinnvoll findet.

Egger: Das Problem ist, dass der Tatbeweis fehlt. Ihr sagt, dass euch etwas wichtig ist, wollt euch aber nicht wirklich verpflichten. Das Reglement ist nur eine Absichtserklärung: Dort steht, dass Nidau zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen will. Es geht also um eine Zielsetzung, um etwas, das schön wäre. Dabei kann man eine Wirtschaftspartei sein und der Initiative trotzdem zustimmen. Die Stadt Zürich ist das Wirtschaftszentrum der Schweiz und hat ziemlich genau den gleichen Artikel in ihrer Stadtordnung – wir haben ihn nämlich von dort.

Schneiter Marti: Angesichts unserer Finanzen will die FDP Nidau mit dem Reglement einfach eine Notbremse haben.
Besteht dabei nicht die Gefahr, dass die aktuelle Situation aus Spargründen unverändert weiter besteht?
Schneiter Marti: Neu werden ja Betreuungsgutscheine eingeführt. Das System ändert also sowieso. Den Betreuungsgutschein kann man dort einlösen, wo es für einen Sinn macht. Es muss nicht unbedingt eine gemeindeeigene Kita sein, es kann auch am Arbeitsort oder in einer privaten Kita sein. Wegen dieser Entwicklung vertrauen wir umso mehr darauf, dass es genügend Kitaplätze geben wird, auch mit dem Reglement.

Egger: Die Betreuungsgutscheine sind einfach ein neues Abrechnungssystem. Es ist eine Liberalisierung, die wohl alle begrüssen. Aber die Gutscheine allein sichern noch nicht, dass das Angebot gross genug ist. Es ist immer noch den Gemeinden überlassen, wie viele dieser Gutscheine sie anbieten wollen. Ich sehe nicht genau, inwiefern es die Situation verbessern soll, abgesehen davon, dass der Zugang zu privaten Kitas vereinfacht wird.

Wäre denn das Reglement nicht besser als gar keine Veränderung?
Egger: Man sollte das Reglement nicht annehmen, weil es eine Art Nebelgranate ist. Damit kann man zeigen, dass man etwas gemacht hat, das nach viel aussieht. In der Realität schiebt man einen Riegel, in Zukunft etwas Verbindliches festzuschreiben. Das Reglement bringt von mir aus gesehen nichts, ausser dass es den Status Quo zementiert und erklärt, dass man mehr für die Kinderbetreuung machen möchte.

Schneiter Marti: Wenn auch das Reglement abgelehnt wird, hätten alle verloren. Dann haben wir den Status Quo und keine Garantie für eine Ferienbetreuung.

Egger: In dieser Hinsicht muss ich dir Recht geben. Das würde sich sicher verbessern. Ich finde es auch super von dir, dass du das unterstützt. Mich wurmt es einfach, dass der Ausbau der Ferienbetreuung vor einigen Jahren nicht durchgekommen ist, weil er gerade auch von bürgerlicher Seite bekämpft wurde. Und jetzt kommt sie mit dem Reglement. Das ist auch ein Grund, weshalb wir gegenüber dem Reglement nicht so positiv eingestellt sind.

Was möchten Sie den Wählern in Nidau noch mitteilen?
Schneiter Marti: Ich plädiere an die Stimmbürger und -bürgerinnen, dass sie das Reglement annehmen. Dass sie dem Gemeinderat eine Handhabe geben, die Betreuungssituation in Nidau zu verbessern und trotzdem die Finanzen unter Kontrolle zu behalten.

Egger: Ich appelliere an die Stimmbevölkerung, dass man die Initiative als verbindliche Investition in die Zukunft sieht und damit eine Grundlage schafft, dass Nidau für Familien nachhaltig attraktiver wird.

* * * * *

Kita-Initiative / Reglement

- Die Kita-Initiative fordert ein der Nachfrage angepasstes und durchgehendes Angebot an familienergänzenden Betreuungsangeboten für die Nidauer Bevölkerung. Lange Wartelisten sowie Betreuungslücken während der Schulferien sollen der Vergangenheit angehören. Bei Annahme der Initiative würde die Stadtordnung mit einem entsprechenden Artikel ergänzt.
- Anders als bei einer Festsetzung der Betreuungsangebote in der Stadtordnung ermöglicht das Reglement dem Gemeinderat, die Abgabe der Betreuungsgutschriften unter Berücksichtigung der finanziellen Mittel der Stadt zu beschränken. Ausserdem kann der Gemeinderat eine Höchstzahl von Ferienbetreuungsplätzen festlegen.

* * * * *

Die Parolen der Nidauer Parteien


  Initiative    Reglement
BDP    k.A.    k.A.
EVP    Nein    Ja
FDP    Nein    Ja
Grüne    Ja    Nein
PRR    Nein    Ja
SP    Ja    Nein
SVP    Nein    Ja

Nachrichten zu Biel »