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«Wir hängen im luftleeren Raum»

Kindertagesstätten in der Corona-Krise: Kitas müssen weiterhin offenbleiben. Das stellt Kita-Leiterinnen wie Petra Vozza von der «Nestwärme» in Studen vor Herausforderungen.

Kita-Leitering Petra Vozza bastelt wie jedes Jahr vor Ostern mit den Kindern - Hier Alena und Jan - und bemalt Eier. Die Produkte werden den Senioren aber nicht wie sonst übergebent. Bild: Peter Samuel Jaggi

Deborah Balmer

Offizielle Kinderbetreuung in Zeiten von Corona heisst auch, dass diese je nach Kanton ganz anders aussieht: Im Kanton Bern sind die Kindertagesstätten noch immer geöffnet – und das nicht nur für Kinder von Eltern in sogenannt systemrelevanten Berufen. Andere Kantone, etwa Basel-Stadt, haben die Kitas ganz geschlossen – entgegen den Vorgaben des Bundesrates.

Für Petra Vozza, die in Studen die Kita Nestwärme mit 28 Plätzen und 15 Angestellten leitet, sind es harte Zeiten. Zwar sind nur noch etwa die Hälfte aller Kinder da. Doch wie sollen Vozza und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die geltenden Regeln in der Kita einhalten? Kleinkinder im Alter zwischen drei Monaten und fünf Jahren verstehen natürlich noch nichts von Social Distancing: Einen Abstand von zwei Metern einnehmen, in den Ellbogen niesen oder husten, das kann die Kita-Leiterin von den Kleinen nicht verlangen. «Kinder brauchen zudem Körperkontakt», sagt sie. «Wir müssen die Babys wickeln, die Grösseren springen auf uns zu, manchmal lösen wir Konflikte oder wir müssen nach einem Sturz verarzten – das geht nicht ohne Berührungen, auch wenn wir beim Pflästerli kleben natürlich Handschuhe tragen», so die Kita-Leiterin.

Setzen sich einem Risiko aus

Weil der Kontakt mit den Kindern eng ist, müssen Kita-Angestellte, die zu einer Risikogruppe zählen, daheim bleiben.

Die verbleibenden sechs Kita-Mitarbeiterinnen setzen sich jeden Tag einem Risiko aus. Natürlich achte man nun noch stärker auf die Hygiene als zuvor, sagt Vozza: Man desinfiziert nun noch öfter alle Tischplatten, Türklinken, WC-Türen und die WC-Ringe. «Es ist derzeit geradezu steril bei uns», sagt sie.

Kita ist halb leer

Längst sind viel weniger Kinder in der Kita «Nestwärme» als sonst: Pro Tag werden im Schnitt noch etwa zehn Kinder betreut. Vorher waren es doppelt so viele. Es sind Kinder von Eltern, die in systemrelevanten Berufen tätig sind: im Verkauf oder in der Pflege beispielsweise. Aber nicht nur: Es gibt auch Eltern, die im Homeoffice beschäftigt und froh sind, wenn sie ihren Nachwuchs weiterhin in die Kita bringen können.

Vereinzelt gibt es in den Kitas nun «Notfallkinder»: Kinder, die sonst nirgends betreut werden, müssen nach Möglichkeit von den Kitas aufgenommen werden. So ist derzeit ein knapp zwei Jahre altes Kind in der «Nestwärme», weil die Grosseltern nun nicht mehr zu ihm schauen können, da sie beide zur Risikogruppe gehören. Die alleinerziehende Mutter, die im Verkauf arbeitet, ist froh um den Betreuungsplatz.

Vom Bund allein gelassen

Dass es Kitas je nach Kanton anders handhaben, gefällt nicht allen. Petra Vozza von der Kita «Nestwärme» Studen fühlt sich vom Bundesrat und dem Kanton Bern im Stich gelassen. So hätten der Bund und der Kanton bisher keine finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt. Dies, obwohl man gerade merkt, wie systemrelevant Kinderbetreuung doch eigentlich sei. Doch gerade brechen die Einnahmen der Kitas schweizweit weg: Auch, weil viele Eltern die Verträge nun auf das nächstmögliche Datum kündigen.

Auch sind widersprüchliche Angaben vonseiten des Bundes und des Kantons Bern gemacht worden. So wurden die Eltern der Kita-Kinder in einem Brief darüber informiert, dass sie, wenn immer möglich, ihre Kinder während des Notstandes doch privat betreuen sollen. Gleichzeitig müssen Kitas im Kanton Bern wie erwähnt aber weiterhin offenbleiben.

Auch die Eltern sind also verunsichert: Denn wer sein Kind nicht mehr in die Kindertagesstätte schickt, muss trotzdem weiterhin die Beiträge bezahlen. Vozza hat deshalb auch schon Anrufe von Müttern erhalten, die wissen wollten, ob das wirklich stimmt: «Müssen wir Elternbeiträge bezahlen, obwohl wir unser Kind derzeit daheim betreuen, damit der Platz frei bleibt?» Einige Eltern sind nun selber von Kurzarbeit betroffen und können deshalb die Beiträge nicht mehr so leicht bezahlen.

«Wir fühlen uns im luftleeren Raum und wünschen uns wenigstens eine einheitliche Regelung für alle Kitas in der Schweiz, das würde schon mal etwas mehr Klarheit bringen», sagt Petra Vozza.

Eier färben für Senioren

Derweil geht der Alltag in der Kita, so gut es geht, weiter: Wie jedes Jahr vor Ostern bastelten die Kinder in diesen Tagen Osternestli und färbten 60 Eier. Diese werden dann den Bewohnerinnen und Bewohnern des Alterspflegeheims Senevita übergeben. Es hat Tradition, dass die Kita-Kinder mit den Senioren zusammenkommen: Man turnt einmal in der Woche gemeinsam, spielt und singt. Jetzt in Zeiten von Corona fällt das natürlich alles weg. «Wir überbringen die Eier und die Bastelarbeiten nun aber mit einem Sicherheitsabstand und einer Grussbotschaft von den Kindern», sagt Vozza.

Köchin kocht nun daheim

Es braucht etwas Fantasie, um den Alltag am Laufen halten: Aus einem sicheren Abstand wird derzeit in der Kita «Nestwärme» auch das Mittagessen übergeben. Weil die Kitaköchin zur Risikogruppe gehört, kocht sie zurzeit daheim und bringt das Essen dann zur Kita, wo es über den Zaun hinweg in Empfang genommen wird.

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Kitas können auf Unterstützung hoffen

Es ist eine unbefriedigende Situation: Der Bund und die Kantone haben die Eltern aufgefordert, ihre Kinder wenn immer möglich zuhause zu betreuen. Gleichzeitig müssen sie die Kita-Beiträge weiterhin bezahlen, auch wenn die Leistung gar nicht mehr in Anspruch genommen wird. Die Folge: Ärger bei den Eltern und finanzielle Unsicherheit bei den Kita-Betreibern.
Abhilfe schaffen sollte ein Hilfspaket des Bundes. Dieses ist Ende letzter Woche aber gescheitert. Die Kinderkrippen seien primär Sache der Kantone und Gemeinden, verkündete SP-Bundesrat Alain Berset contrecoeur. Die Kantone ihrerseits lassen sich Zeit mit Lösungen.

Deshalb erhöhen nun die SP und die Gewerkschaft VPOD in Bern den Druck auf die Gesundheitsdirektion von Pierre Alain Schnegg (SVP). So erwarten die Sozialdemokraten, dass der Regierungsrat rasch eine Lösung bietet, um Kitas und Tagesfamilien finanziell zu entlasten.

Die Co-Präsidentin der SP Kanton Bern, Mirjam Veglio, wird in einer Medienmitteilung so zitiert: «Die Kitas und Tagesfamilien sind eine unverzichtbare Stütze für Gesellschaft und Wirtschaft. Der Kanton Bern muss ihre Sorgen und Herausforderungen endlich wahrnehmen.» Die Partei fordert gar, dass die Betreuungsangebote künftig als Service public behandelt werden und wie die Volksschule durch Steuermittel finanziert werden sollten.

Der VPOD zeigt sich insbesondere darüber besorgt, wie lange die Eltern noch bereit sind, Geld für Kitaplätze zu bezahlen, die sie gar nicht beanspruchen. «Wenn in absehbarer Zeit keine Lösung in Aussicht steht, wird deren guter Wille auf eine harte Probe gestellt, gerade wenn sie selbst Einkommenseinbussen hinnehmen müssen», schreibt die Gewerkschaft. Wenn der Kanton jetzt nicht Gegensteuer gebe, riskiere er den Konkurs und die Schliessung von Kitas.

Regierungsrat Pierre Alain Schnegg ist sich des Problems bewusst, wie er schon mehrfach gesagt hat. Er wollte aber zuerst abwarten, was auf Bundesebene geschieht, hatte er den Eltern bereits am 20. März mitgeteilt. Da jetzt klar ist, dass primär die Kantone und Gemeinden gefragt sind, stellt sich die Frage aber umso dringlicher, was die Regierung zu tun gedenkt.
Diese lässt sich momentan nicht in die Karten blicken. Immerhin kündigt Gundekar Giebel, Kommunikationschef in Schneggs Direktion, an: «Die Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion beendet soeben die Arbeiten für eine Verordnung zur Finanzierung der Kitas und der Tagesfamilien.» Der Regierungsrat könne anschliessend die nötigen Entscheide fällen. Wann dies sein wird und was der Inhalt der Verordnung ist, lässt Giebel allerdings offen.

Einen möglichen Weg hat Anfang Woche der Kanton Solothurn präsentiert. Die dortige Regierung hat eine halbe Million Franken als Soforthilfe gesprochen. Gleichzeitig appelliert sie an die Gemeinden. Auch sie müssten einen Beitrag für den Erhalt der Betreuungsstrukturen leisten und ihre Subventionen weiterhin ungekürzt ausrichten. Mit der Geldspritze soll sichergestellt werden, dass die Kitas möglichst wenig Schaden erleiden. Marius Aschwanden

Stichwörter: Kita, Ostern, Kinder

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