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Biel

Zeitzeuge wird geopfert

Die Stiftung Charles Neuhaus ist in Geldnot und muss einen Teil ihres Tafelsilbers veräussern. Jetzt buhlen Interessenten um das historisch bedeutende Fabrikhäuschen beim Neuen Museum. In ihm wohnte einst eine ganz besondere Bieler Magd.

Ein Zeitzeuge der Bieler Geschichte wird verkauft: Das einstige Fabrikhäuschen an der Karl-Neuhaus-Strasse 3. copyright:tanja lander/bieler tagblatt

von Patrick Furrer

Unweit der Schüsspromenade, hinter dem Museum Neuhaus, idyllisch eingebettet in eine grüne Umgebung steht ein kleines Häuschen. Kräftige Kalksteinwände erheben sich neben einer gewaltigen Buche. Ein kleiner Ziergarten trennt das Kleinod von der Seevorstadt.

Es handelt sich um das alte Fabrikhäuschen der einstigen Indienne-Manufaktur der bedeutenden liberalen Bieler Industriellenfamilie Neuhaus-Verdan und ist eine der letzten urtümlichen Wurzeln in deren Vergangenheit. 1799 wurde es gebaut, 1846 zum Wohnhaus mit Atelier umgebaut. Ein Bijou, mitten im Herzen Biels. Ein denkmalgeschütztes Gebäude, wie es sie nur äusserst selten zu kaufen gibt. Ein ganz besonderes Zuhause.

Ein «schmerzlicher» Verkauf

Das kleine Gebäude gehört zu dem Gesamtkomplex, in dem das Neue Museum Biel NMB zuhause ist (siehe Box unten). Es wurde allerdings nie für Ausstellungszwecke genutzt, sondern war stets vermietet. Seit 2001 gehört es der Stiftung Charles Neuhaus, die auch die restlichen Gebäude besitzt. Zuvor wohnte darin Lina Beck. Beck war die Magd der letzten Neuhaus-Nachkommin Dora Neuhaus. Beck schenkte das Haus der Stiftung, als sie 2001 ins Altersheim zog. Über die besondere Geschichte der zwei ungleichen Frauen wurde damals ein Buch geschrieben (siehe Infobox).

Die Stiftung ist heute in Geldnot. Über einen Verkauf wurde schon länger nachgedacht. «Es schmerzt. Aber wir sind gezwungen zu verkaufen», sagt Stiftungsratspräsident Martin Bösiger. «Wir haben festgestellt, dass sich auf der Nord- und Westseite der Boden senkt. Eine Sanierung aus Stiftungsmitteln zu finanzieren, würde unsere Möglichkeiten jedoch überschreiten.» Deshalb soll ein Käufer die Aufwertung des Hauses übernehmen. Ein erster Preis lag bei 450 000 Franken. Nach der Ausschreibung meldeten sich fast 30 Interessenten, sagt Max Münger von der beauftragten Immobilienfirma Helbling. Gegenwärtig sind die Interessenten gefordert, ihr Angebot und ihre Projektidee einzugeben.

Projektidee deshalb, weil das Haus nur unter Auflagen verkauft wird, wie Münger ausführt. Bösiger sagt: «Wir werden nicht einfach nur an den Meistbietenden verkaufen.» Es sei wichtig, was mit dem Haus geschieht. Und es müsse zum Gesamtensemble des Museums passen.
Selbst Kulturdirektor Cédric Némitz (PSR) schaltete sich ein, nachdem er von der Verkaufsabsicht gehört hatte. Die Subventionen für das Museum lasten immerhin zu 70 Prozent auf der Stadt. Gemäss Bösiger ist das ehemalige Fabrikhäuschen aber kein Teil der Leistungsvereinbarung mit der Stadt. Némitz bestätigt dem «Bieler Tagblatt» auf Nachfrage, dass sich seine Sorgen nach einem  kurzen Informationsaustausch mit der Stiftung zerschlagen haben.

Vorbehalt aus den eigenen Reihen

Das Haus ist nicht nur historisch mit der Stadt verbunden. Es hat auch eine gute Lage. Bauforscher Urs Bertschinger war der letzte Mieter, bevor er Ende Januar aus beruflichen Gründen nach Solothurn gezogen ist. Das Thema Verkauf sei immer mal gefallen, sagt Bertschinger. Es sei tatsächlich so, dass «das Haus in den letzten Jahren an den Punkt gekommen ist, wo der Handlungsbedarf immer offensichtlicher und dringlicher wurde». Dennoch schwärmt auch er. Es sei eine einmalige Chance, dieses Haus erwerben zu können. «Es steht an einer der schönsten Lagen in Biel». Das sei regelrecht «gewaltig», sagt Bertschinger.

Dass das Fabrikhäuschen veräusserst wird, hat aber nicht nur bei Gemeinderat Némitz für Verunsicherung gesorgt. Auch im elfköpfigen Stiftungsrat selber habe es «intensive Diskussionen» gegeben, sagt Bösiger. Dennoch sei der Beschluss, den Verkauf zu prüfen, einstimmig gefallen, nachdem man entschieden hatte, diesen an Bedingungen zu knüpfen. Sorgen machten sich ausserdem die Nachbarn, dass das Gebäude Opfer von Spekulanten werden könnte. Bösiger stellt aber klar, dass diese Bedenken unangebracht seien. «Ein Vorkaufsrecht setzen wir voraus. Aufgrund dessen wird es nicht möglich sein, mit dem Objekt zu spekulieren.»

Zudem steht die Liegenschaft in der Zone für öffentliche Nutzung und ist denkmalgeschützt. Wer aus- oder umbauen will, ist eingeschränkt. Das äussere Erscheinungsbild darf nicht stark verändert werden. Das Einrichten von Büros ist verboten. «Die Stiftung will die Zukunft des Hauses nicht dem Zufall überlassen», beteuert Immobilienfachmann Münger. Und trotz dieser Einschränkungen seien die – allesamt privaten – potenziellen Käufer alle weiterhin interessiert.
Die Stiftung will nun im Herbst entscheiden, wem sie das Haus verkauft.  

Versiert quersubventioniert
Wer den Zuschlag erhält, wird wohl noch einmal mehrere Hunderttausend Franken für die Sanierung und die statische Sanierung des Untergrundes mittels Unterpfählung investieren müssen, sagt Münger. Doch das ist nicht alles: Ähnliche Probleme mit dem Gebäudeuntergrund hat man auch nebenan in den Hauptgebäuden an der Schüsspromenade, sagt Bösiger. Auch dort muss in den kommenden Jahren das Fundament verstärkt werden. Das heisst: Die Stiftung muss ohnehin bald viel Geld in die Hand nehmen. Der Verkauf des «Tafelsilbers» sei ein notwendiges Übel, Mittel für diese Sanierung der Hauptgebäude zu schaffen.

Offen muss bleiben, was Dora Neuhaus und ihre geliebte Lina Beck zum Verkauf gesagt hätten. Neuhaus hatte immer aus den Einkünften ihrer Liegenschaften und ihrem Vermögen gelebt. So steht es auch im Buch: Ihren Besitz verschenkte sie nur im Vertrauen darauf, dass die Stiftung dazu Sorge trägt. Magd Lina Beck hatte als Mädchen vom Lande in Biel bei der «Privatière» nach anfänglichen Schwierigkeiten eine Lebensstelle und eine Freundschaft gefunden. Und vor allem: ein ganz besonderes Zuhause.

 

Die Familie Neuhaus

• Dora Neuhaus, die letzte Nachfahrin der Bieler Familie und letzte Bewohnerin der Gebäude, starb 1975 mit 84 Jahren. Sie vermachte die Hauptgebäude dem Museum Neuhaus.
• Nicht in der Schenkung beinhaltet war das Fabrikhäuschen. Das überliess Dora Neuhaus ihrer Magd Lina Beck aus Täuffelen. Dieser trotz Standesunterschieden besonderen Beziehung ist das Buch «Die Magd und ihr Fräulein» von Ingrid Ehrensperger (2000) gewidmet.
• Die heutigen Museen gehören der Stiftung Charles Neuhaus. Sie wurde nach dem Urgrossvater Dora Neuhaus’ benannt, einer Schlüsselfigur des Liberalismus und Vorkämpfer der Regeneration im Kanton Bern. Er galt um 1840 sogar als einflussreichstes Regierungsmitglied im Kanton.
• Charles Neuhaus arbeitete politisch eng mit den Brüdern Blösch aus Biel zusammen. Auch als Industrieller mit der Indiennefabrik Biel für Textildruck, dem Drahtzugwerk Bözingen und der Baumwollspinnerei Biel machte er sich einen Namen.   
 fup

Aus mehreren eins gemacht

• Das Neue Museum Biel ist 2012 aus der Fusion der Museen Schwab und Neuhaus unter Einbezug der Stiftung Sammlung Robert entstanden.
• Trägerschaft ist die Stiftung Charles Neuhaus. Deren Zweck: «Betrieb eines vielseitigen Museums für Geschichte und Kunst im 19. und frühen 20. Jahrhundert».
• Das Erscheinungsbild der Hauptgebäude an der Schüsspromenade darf gemäss Stiftungszweck nicht verändert werden.   
 fup

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