Sie sind hier

Abo

Twann

Einzigartig durchs Nichtstun

Mitten in Twann gibt es ein bedeutendes Pfahlbaumuseum. Eines wie sonst keines, weil immer noch eingerichtet wie vor bald 80 Jahren. Morgen öffnet Besitzerin Annelise Zwez mal wieder die Türen für alle.

Annelise Zwez in ihrem Pfahlbaumuseum in Twann: «Das sind von den schönsten Schaukästen, die ich als Kunstfachfrau je gesehen habe.»  copyright: peter samuel jaggi/bieler tagblatt

Janosch Szabo


Ein hoher kühler Raum, an den Wänden dutzende Vitrinen und in ihnen unzählige jahrtausendealte Scherben, Pfeile, Beile, Schaber, Hämmer jener Menschen, die in der Jungsteinzeit am Bielersee siedelten. Das Pfahlbaumuseum Dr. h.c Carl Irlet im Fraubrunnenhaus mitten in Twann verblüfft zunächst durch die schiere Anzahl ausgestellter Objekte. Dann fällt deren dekorative Präsentation auf. In den Vitrinen erkennt der Besucher Gesichter, darüber und dazwischen sind Spinnwirtel und grössere Werkzeuge aus Horn ornamental arrangiert. Der ganze Raum ein Kunstwerk. Und vor allem: Es ist alles wie damals, als 1938 ein gewisser Carl Irlet dieses Privatmuseum einrichtete.
Heute gehört das Museum seiner Enkelin Annelise Zwez, ihreszeichens Kunstkritikerin. Sie ist zwar keine Fachfrau auf dem Gebiet der Pfahlbauer, weiss aber um die Bedeutung ihres Erbes: «Gerade durch das Nichtsmachen ist etwas Besonderes entstanden, ein Museum im Museum, das vielmehr auf die Geschichte der Pfahlbaufunde verweist, und die Art und Weise wie man diese Schätze früher präsentierte, als auf das Leben der Menschen am See vor 5000 Jahren.»

Keule von Bedeutung
Erklärenden Schautafeln gibt es hier nicht. Welche Fundstücke von Bedeutung sind, weiss selbst Zwez nur durch Fachleute, die immer wieder bei ihr um Einlass bitten und von deren Wissen sie vieles aufgesogen hat. Sie deutet in eine Vitrine: Diese Holzkeule hier sei kürzlich von einer grossen Ausstellung in Deutschland zurückgekommen. «Es ist ein Stück von europäischer Bedeutung, es gibt nur 20 bis 30 so gut erhaltene davon.»
Das Glück der Keule war dabei, dass sie erst 1952 gefunden wurde, zu einer Zeit, als man endlich eine Methode gefunden hatte, um Holz langfristig zu konservieren. Andere früher geborgene Holzobjekte, die im Seeboden tausende Jahre überlebt hatten, sind aufgrund falscher Konservierung unterdessen kläglich geschrumpft. Auch deren gibt es im Museum in Twann. Annelise Zwez nennt den Schaukasten, in dem sie gleich neben der gut erhaltenen Keule liegen, «die Vitrine des Scheiterns».
Solche Anekdoten kennt die heutige Museumsbesitzerin mittlerweile einige, nicht zuletzt seit der Anerkennung der Pfahlbauten rund um die Alpen zum Unesco-Welterbe. Im Rahmen der Kandidatur nämlich, so Zwez, habe auch ihr Geschichte erzählendes Museum eine Rolle gespielt, der Bielersee wegen seiner vielen Fundorte sowieso. Sie sei in regem Kontakt gestanden mit dem Archäologischen Dienst des Kantons Bern.

Funde vom anderen Ufer
Und das Interesse der Experten hält an. Heute zum Beispiel empfängt Annelise Zwez 100 Personen der Archäologischen Gesellschaft Schweiz. Aber auch schon zu Grossvaters Zeiten fand das Pfahlbaumuseum, obwohl damals wie heute privat und ohne Öffnungszeiten, regen Zulauf. In einem Text von 1953 steht dazu: «Zahlreich erhielt Dr. Irlet in seinem Heimatmuseum Besuche aus dem Auslande. Aber nicht nur Gelehrte füllten die Räume der Sammlung, sondern Schulen aller Stufen fanden hier anschauliche Belehrung.»
Apropos: Als Kind habe sie das Museum wie die Pest gehasst, so Zwez: «Ich musste an Herbstsonntagen, wenn es jeweils geöffnet war, für jeden eintretenden Besucher ein Strichli machen.»
Längst habe sie aber dessen Wert erkannt und erzähle gern über die Entstehung der Sammlung ihres Grossvaters, der übrigens einen Grossteil aller Objekte selbst gefunden habe, vornehmlich am anderen flacheren Ufer des Sees, also in Sutz, Gerolfingen und Lüscherz, wo die Absenkung des Seespiegels durch die Juragewässerkorrektion 1870 einen Streifen Land zum Vorschein gebracht hatte. «Er grub nie, aber sein geübtes Auge erlaubte ihm, die Steine oder Gegenstände zu finden, die nach grösster Wahrscheinlichkeit aus der Pfahlbauzeit stammten», sagte Zwez einst in einem Interview.

Neues frech eingeflochten
Zwei Vitrinen mit Fundstücken stammen gar von Urgrossvater Karl Irlet, der im heutigen Museumsraum noch eine Tuchhandlung betrieb, aber auch schon nebenberuflich vom Pfahlbauvirus infisziert war. Weitere Objekte, darunter die eingangs erwähnte Keule, entstammen der Sammlung von Erwin Dubler, welche Carl Irlet anno dazumal zum Preis eines Traktors zu Teilen aufkaufte.
Und dann sind da doch noch ein paar Ausstellungsgegenstände neueren Datums, unaufdringlich in einer Ecke, frech dazugestellt oder kühn im Schaufenster präsentiert. Annelise Zwez hat es sich als Kunstliebhaberin nicht nehmen lassen, subversiv, wie sie sagt, ein paar Zeichen ihrer Generation einzubringen, zeitgenössische Kunst aus Strandgut zum Beispiel oder sonst wie mit einem Bezug oder einer Assoziation zu den Pfahlbauern. «Das macht mir Spass», sagt sie und freut sich nun auf morgen. Es ist das erste Mal seit zehn Jahren, dass sie das Museum wieder einen ganzen Tag lang öffnet: «Eine Geste von mir gegenüber der Gemeinde und der Öffentlichkeit.»

 

Tag des offenen Museums
- Pfahlbaumuseum Dr. h.c. Carl Irlet im Fraubrunnenhaus in Twann, Dorfgasse 28.
- Morgen von 11 bis 17 Uhr geöffnet, Eintritt gratis.
- Immer zur vollen Stunde gibt es eine Einführung durch die heutige Museumsbesitzerin.
- Besuch des Museums ansonsten nur auf Anfrage.
- Einsicht von der Dorfgasse her neuerdings jederzeit durch Schaufenster. Die geschlosssenen Läden wurden entfernt und die hohen Fenster mit Sicherheits- respektive UV-Schutz-Folien ausgestattet. jsz
 

Stichwörter: Twann, Seeland, Pfahlbauer, Museum

Nachrichten zu Seeland »