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Polizei

62 Millionen Franken für mehr Sicherheit

Der Regierungsrat will in den nächsten zehn Jahren rund 360 zusätzliche Polizistinnen und Polizisten einstellen. Als Gründe nennt er etwa Gewalt im öffentlichen Raum und Cyberkriminalität.

Nachwuchs gesucht: Die Kantonspolizei ist darauf angewiesen, dass die internen Ausbildungslehrgänge auch künftig gut besucht sind. Bild: zvg

Philippe Müller

Auf den ersten Blick ist es ein Widerspruch: Die Zahl der angezeigten Delikte hat im Kanton Bern seit 2012 abgenommen. Verantwortlich dafür ist in erster Linie der starke Rückgang von Einbrüchen und Diebstählen. Dennoch will der Regierungsrat 360 zusätzliche Polizistinnen und Polizisten einstellen, dies bis ins Jahr 2030. Bei einem aktuellen Bestand von 1963 Polizisten entspricht dies einer Steigerung von 18 Prozent.

Polizeidirektor Philippe Müller (FDP) und Polizeikommandant Stefan Blättler sind trotz Abnahme der Delikte überzeugt, dass die Kriminalität im Kanton Bern insgesamt nicht zurückgegangen ist. Sie gehen jedoch davon aus, dass sich zahlreiche Straftaten in den Cyberraum verlagert haben. Dort würden sie statistisch nicht erfasst, weil bei Internetkriminalität meistens keine Anzeige erfolge. Zudem stelle man gerade bei Gewaltdelikten eine zunehmende Brutalität fest.

Neue Herausforderungen
«Es besteht Handlungsbedarf», sagte Blättler. «Wir müssen vor allem in den urbanen Gebieten und an den Brennpunkten des Kantons stärker präsent sein können.»

Neben der verschärften Bedrohungslage argumentieren der Regierungsrat und die Kapo-Führung auch mit der sogenannten Polizeidichte, die im Kanton Bern heute deutlich tiefer ist als in vergleichbaren Kantonen. Kommen im schweizweiten Durchschnitt auf einen Polizisten rund 454 Bewohnerinnen und Bewohner, so sind es in Bern derzeit 521 Personen (siehe Grafik). Der Regierungsrat rechnet damit, dass künftig weitere Herausforderungen auf die Polizei zukommen. Müller schloss mit Blick auf die Ausschreitungen vom vergangenen Wochenende beim Fussballspiel zwischen Sion und GC beispielsweise nicht mehr kategorisch aus, dass die Polizei künftig mit Einsatztrupps in den Stadien präsent sein werde. Kommandant Blättler bezeichnete dies jedoch als Ultima Ratio.

Der Kanton Bern sei im Fussball und im Eishockey zusammengezählt mit fünf Clubs in den höchsten Ligen vertreten. «Das schafft nicht mal Zürich», hielt Müller fest. Das bringe aber nicht nur sportlichen Erfolg mit sich, sondern eben auch Herausforderungen in der Polizeiarbeit.

Zuerst 170 Stellen, dann 190
Die Überprüfung des Personalbestands der Kantonspolizei geht auf eine Motion des damaligen Gross- und heutigen SP-Nationalrats Adrian Wüthrich (Huttwil) zurück. Er hatte auch im Hinblick auf das mittlerweile angenommene neue Polizeigesetz verlangt, dass die Regierung erfasst, ob der aktuelle Korpsbestand den gestiegenen Anforderungen noch genüge. Die 360 zusätzlichen Vollzeitstellen möchte die Regierung in zwei Etappen schaffen: die ersten 170 stufenweise bis 2025, die restlichen 190 bis 2030. Der vollständige Ausbau würde jährlich 62 Millionen Franken kosten.

Der letzte Stellenausbau bei der Kapo liegt noch nicht lange zurück: Zwischen 2012 und 2018 wurden aufgrund einer Überprüfung aus dem Jahr 2009 knapp 80 Stellen geschaffen. Ursprünglich waren 140 geplant gewesen, ein Teil fiel jedoch dem Sparprogramm ASP 2014 zum Opfer.

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Kritik kommt von den Grünen und der GLP
Für Adrian Wüthrich ist das Resultat der Analyse des Personalbestands bei der Berner Kantonspolizei keine Überraschung. Der SP-Nationalrat und Präsident des kantonalen Polizeiverbands hat 2016 den Vorstoss eingereicht, auf den die Analyse zurückgeht. Die nun von der Regierung vorgeschlagene Erhöhung um 360 Polizisten bis 2030 nennt Wüthrich jedoch ein «ambitioniertes Ziel». Notwendig ja, aber: «Die klammen Finanzen haben schon in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass Aufstockungen bei der Polizei auf die lange Bank geschoben wurden.» Der Grosse Rat werde auch jetzt abwägen, ob ihm die Sicherheit zusätzliche 62 Millionen Franken pro Jahr wert sei. Diese stehe mit anderen staatlichen Aufgaben in Konkurrenz. Schon lange diskutiert wird etwa eine Anpassung der Lehrerlöhne.

Ueli Egger, Co-Präsident der SP, will die Bereiche aber nicht gegeneinander ausspielen. «Dank der abgelehnten Senkung der Unternehmenssteuern und dem automatischen Informationsaustausch hat der Kanton momentan ein wenig Spielraum», sagt er. Oder anders ausgedrückt: Das Geld würde sowohl für mehr Personal bei der Polizei als auch eine Erhöhung der Lehrerlöhne reichen. «Die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit gehört zu den Aufgaben des Staates. Es ist wichtig, dass das benötigte Personal zur Verfügung steht», sagt Egger.

Ganz anders sehen das die Grünen: «62 Millionen Franken?», fragt Co-Präsidentin Natalie Imboden ungläubig. «Die stehen komplett quer in der politischen Landschaft.» Erst vor kurzem kündigte der Kanton an, in der Verwaltung 80 Stellen abzubauen. «Die jetzige Forderung ist dem diametral entgegengesetzt», sagt Imboden. Zudem gebe es diverse andere personalpolitische Baustellen, eben jene bei den Lehrerlöhnen. «Auch da ist der Bedarf ausgewiesen. Die Polizei hat sicher nicht per se Priorität.» Die Grünen würden bei diesem Geschäft jedenfalls sehr genau hinschauen.

Kritisch ist auch Franziska Schöni. «Die letzte Aufstockung der Kantonspolizei ist gerade erst erfolgt. Jetzt sollte man erst einmal schauen, ob damit der Bedarf nicht gedeckt ist», sagt die Fraktionschefin der GLP. In der Vergangenheit habe die Polizei zudem Probleme gehabt, die zusätzlich bewilligten Stellen auch tatsächlich besetzen zu können.

Die BDP hingegen begrüsst das Anliegen der Regierung. Und auch die anderen bürgerlichen Parteien stehen ihm grundsätzlich positiv gegenüber. Adrian Haas, Fraktionschef der FDP, sagt aber: «Eine Personalerhöhung ist gerechtfertigt. Die Frage ist aber, wie viel zusätzliche Polizisten es braucht.» Gleicher Meinung die SVP. «Die Polizei wächst deutlich stärker als die Bevölkerung.

Ob allein die neuen Aufgaben das rechtfertigen, ist fraglich», sagt Fraktionspräsidentin Madeleine Amstutz. Trotzdem ist die SVP für einmal nicht gegen mehr Stellen beim Staat. «Die Sicherheit ist immer stärker gefährdet, das zeigt schon nur das Beispiel Reitschule. Es braucht zusätzliche Polizisten.» Marius Aschwanden

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«Aufstockung ist wünschenswert»
Die Kantonspolizei Bern braucht zusätzliche Stellen für die Bekämpfung der Cyber-Kriminalität, für die Terrorabwehr, im Einsatz gegen häusliche Gewalt und für eine bessere Präsenz im öffentlichen Raum. Dieser Ansicht ist die Kantonsregierung. Biels Sicherheitsdirektor Beat Feurer (SVP) sagt, er sei grundsätzlich dankbar dafür, dass der Kanton die Ressourcen der Polizei aufstocken wolle, «das ist wünschenswert».

Gerade die Präsenz der Polizei im öffentlichen Raum hat die Stadt Biel seit dem Wechsel von der Stadt- zur Kantonspolizei immer wieder beschäftigt: Ende 2013 kündigte der Gemeinderat den Ressourcenvertrag mit der Kantonspolizei, weil diese die bezahlten Stunden nicht leiste und zu wenig Bürgernähe zeige. Biel kauft seither weniger Leistung bei der Kantonspolizei ein, hat mit dem eingesparten Geld aber eigene Spezialdienste wie die Einheit Sicherheit-Intervention-Prävention (SIP) ausgebaut.

Feurer hütet sich heute allerdings davor, die damalige Kritik am Kanton zu wiederholen, man könne nicht mehr von einem Mangel an Polizeipräsenz sprechen, sagt er. Und André Glauser, Leiter der städtischen Abteilung Sicherheit, sagt, dass es zwar gedauert habe, bis sich das mit der Einheitspolizei eingependelt hat, «seit ein paar Jahren ist die Präsenz im öffentlichen Raum aber auf befriedigendem Niveau». Trotzdem begrüsst auch er die Absicht des Regierungsrats, das Polizeikorps bis 2030 um 360 Stellen aufzustocken, und verweist auf den optimalen Zeitpunkt eines solchen Vorschlags: Die Umsetzung der kürzlich durch das Volk genehmigten Revision des kantonalen Polizeigesetzes steht bevor. Und Biel arbeitet derzeit an einem neuen Sicherheitskonzept – laut Glauser soll dieses noch vor den Sommerferien dem Gemeinderat vorgelegt werden. Sicherheitsdirektor Feurer verweist deshalb darauf, dass es derzeit völlig offen sei, ob der Gemeinderat bereit wäre, wieder mehr für die Polizeiarbeit in Biel auszugeben.

Glauser hält zudem fest, dass das subjektive Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung nicht nur mit Sichtbarkeit der Polizei verbessert werden könne. Es gebe etliche weitere wichtige Faktoren, etwa die Sauberkeit oder die Beleuchtung, aber auch die Qualität der öffentlichen Infrastruktur. lsg

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