Sie sind hier

Abo

Buch

Als es im Jura noch krachte

Journalist Christian Moser rollt den Jurakonflikt am Beispiel von Marcel Boillat auf. Ist der im Exil verstorbene alte Aktivist dafür die richtige Figur?

Bild: Keystone
  • Dossier

Stefan von Bergen

Das Leben eines Helden stellt man sich anders vor. Die Laufbahn des jurassischen Weinhändlers und Freiheitskämpfers Marcel Boillat beginnt zwar 1962 spektakulär. Er erregt national Aufsehen mit Brandstiftungen und Sprengstoffanschlägen gegen den Kanton Bern und Berntreue, bei denen nur mit Glück niemand zu Tode kommt. Aber schon 1964 wird Boillats bloss dreiköpfiger radikaler «Front de Liberation Jurassien» (FLJ) ausgehoben, er selber verhaftet und zu acht Jahren Gefängnis verurteilt.

1967 gelingt ihm der Ausbruch aus dem Gefängnis und die Flucht nach Spanien, wo er bis zu seiner Pension für einen Lebensmittelgrosshändler arbeitet. Nachdem seine Taten verjährt sind, hat er an Separatistenfesten im Jura noch einzelne Auftritte als alte Legende. Im April dieses Jahres ist Boillat in Spanien gestorben.

 

Boillats kurze und
wilde Laufbahn

Das Leben dieses Mannes ist der rote Faden durch das eben erschienene Buch, das der pensionierte Berner Journalist Christian Moser (69) über den Jurakonflikt geschrieben hat. Vorab für die «Berner Zeitung» und später für das SRF-«Regionaljournal» berichtete er jahrelang über die Ereignisse. Er hat Boillat persönlich gekannt und auch im spanischen Exil besucht.

Es ist eine starke Idee, den komplexen Jurakonflikt am konkreten Fall einer einstigen Galionsfigur aufzurollen. Weil der später als «terroriste suisse» geadelte Boillat schnell auf dem harten Boden der Realität landete, läuft Moser auch nicht Gefahr, die separatistische Unabhängigkeitsbewegung und ihre Verfechter allzu sehr zu überhöhen.

Weniger durch eigene Analyse als durch die Charakterisierungen damaliger Richter stellt Moser den Freiheitskämpfer als Heisssporn und energischen Tatmenschen dar, aber auch als Schwadronneur, der knapp überlebende Opfer seiner Brandstiftungen verhöhnte. Im Exil zeigte er sich laut Moser enttäuscht, dass seine Taten in den Geschichtsbüchern fehlen. Wie in Boillats Lebensgeschichte waren auch in beiden Lagern des Jurakonflikts grosse Emotionen und Empathielosigkeit, Traum und Desillusionierung oft nah beieinander.

Ist Marcel Boillat zur Personalisierung des Jurakonflikts der Richtige? Seine Wirkung verblasste schnell. Der separatistischen Bewegung trug der FLJ-Kämpfer den Ruf der Gewalttätigkeit und Kompromisslosigkeit ein. Die Jugendgruppe der Béliers distanzierte sich mit der Zeit denn auch von ihm und seinen Methoden. Um den ganzen Jurakonflikt zu erfassen, wie das Moser in seinem Buchtitel suggeriert, hätte es wohl exemplarischere und epochalere Figuren gegeben.

Zu nennen ist etwa der separatistische Mastermind Roland Béguelin, jahrelanger Kopf des Rassemblement jurassien, das den Kanton Jura erkämpfte. Oder die tragische Figur Christophe Bader, der sich 1993 an seinem 21. Geburtstag in der Berner Altstadt beim Hantieren mit Sprengstoff selber tötete.

Bader, der wie Boillat einer klandestinen Kampfgruppe angehörte, hatte eine ungleich grössere Wirkung als sein Vorgänger. Allerdings eine andere, als er beabsichtigte. Sein geplanter Anschlag auf das Berner Rathaus und sein Tod waren der Wendepunkt, der zur Gründung der «Interjurassischen Versammlung» unter der Ägide des Bundes und zu ihrer Versöhnungsarbeit führte. Sie machte im Kanton Jura und im Berner Jura Energien für eine konstruktive Zusammenarbeit frei. Die wilden und heissen Jahre des Jurakonflikts lässt Christian Moser plastisch wieder aufleben. Er führt einen zurück in eine Zeit, in der fortschrittlich gesinnte Kreise im Bernbiet mit den Separatisten sympathisierten, weil diese die oft verfehlte Politik der arroganten Berner Machtelite enttarnten.

 

Ein schweizerischer
Ausnahmekonflikt

Wenn Moser detailliert all die Aktionen von Boillats FLJ und der Béliers nacherzählt, verliert er sich aber bisweilen im Anekdotischen. Die Beschreibung der Juraereignisse als «Räuber und Poli»-Spiel dürfte zwar beim Lesepublikum ankommen. Sie wird aber diesem Ausnahmekonflikt in der Schweizer Geschichte nicht gerecht. In mehreren historischen Kapiteln legt der Autor kenntnisreich dar, wie der Konflikt zwischen den Jurassiern und ihren Berner Herren ab 1815 entstand und sich zuspitzte. Er zeigt, dass die Berner Regierungen viele Weichen falsch stellten, was den Zwist anheizte.

Dass sich aber auch die jurassische Seite – auf ihrer verständlichen Suche nach einer eigenen Identität in der Eidgenossenschaft – ideologisch verhärtete und die vielfältigen kulturellen Einflüsse in der Juraregion ignoriert, das findet bei Moser zu wenig Beachtung. Ebenso der spätere Wandel im Jura.

Der Kanton Bern und die Region haben sich seit den heissen 1960er- und 1970er-Jahren verändert. Nachdem im Finanzskandal schwarze Zahlungen an berntreue Juragruppierungen aufgeflogen waren, musste Bern kompromissbereiter werden. Es half, die neuerliche Juraabstimmung von 2013 aufzugleisen, in der sich der konsolidierte Südjura klar zu Bern bekannte.

Diese Realität anerkennen mittlerweile auch die jurassischen Behörden. Ihren Kanton positionieren sie neu als Region, die sich Basel und dem nahen Frankreich öffnet, statt nur den nostalgischen Traum eines vereinigten Jura zu forcieren.

 

Warum der Konflikt
weitergärt

Die bisweilen gewalttätigen Aktionen aus der Ära von Marcel Boillat sind längst vorbei. Der Jurakonflikt aber gärt weiter. Er ist, wie das Christian Moser im Untertitel seines Buchs formuliert, «eine offene Wunde der Schweizer Politik». Warum das immer noch oder von neuem so ist, liest man in seinem Buch nicht. Im wieder gespaltenen Städtchen Moutier stehen sich erneut zwei verfeindete Lager gegenüber, die die Lage aus ihren je unvereinbaren Schwarzweissperspektiven betrachten. Die Wunde wird erst heilen, wenn das erlittene Leid aus den Boillat-Jahren aufgearbeitet und die Versöhnung fortgesetzt wird.

Info: Christian Moser: Der Jurakonflikt – eine offene Wunde der Schweizer Geschichte, 220 Seiten, NZZ-Libro.

Stichwörter: Jura, Kanton Bern, Buch

Nachrichten zu Kanton Bern »