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Pflegepersonal

«Applaudieren kann man Künstlern»

Eine Gewerkschaftsumfrage beim Berner Pflegepersonal zeigt: Die Mehrheit ist unzufrieden mit dem Lohn und den Arbeitsbedingungen. Und jetzt kommt die zweite Coronawelle.

Schichtübergabe in der Notaufnahme des Inselspitals: Das Pflegepersonal muss in der Coronakrise Höchstleistungen erbringen. Bild: Adrian Moser

Marius Aschwanden

Über 220 Personen werden momentan in den Berner Spitälern wegen Corona behandelt. Bald werden es doppelt so viele sein wie auf dem Höchststand der ersten Welle im April. Erneut müssen die Ärzte und insbesondere das Pflegepersonal Bestleistungen erbringen. Und niemand weiss, was in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten noch auf sie zukommt.

Die Dankbarkeit in der Bevölkerung für diesen Effort war im Frühling zwar gross. Doch mehr als Applaus gab es für das Pflegepersonal dann doch nicht. Mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen? Fehlanzeige. Das zeigte kürzlich eine Umfrage bei Schweizer Spitälern. Und jetzt also die zweite Coronawelle.

 

Grosser Unmut,
dringender Nachholbedarf

In den Kliniken ist der Unmut mittlerweile gross. «Applaudieren kann man Künstlern. Wir können davon nicht leben», sagt etwa eine Pflegefachfrau, die in einem Berner Spital arbeitet und anonym bleiben möchte. Der Lohn sei aber nur das eine. Was es wirklich bräuchte, wäre schlicht und einfach mehr Personal. «Was bringt mir mehr Geld, wenn ich ständig mehr Arbeiten in der gleichen Zeit erledigen muss?», fragt sie.

Um auf die Situation des Pflegepersonals aufmerksam zu machen, lancierten Gewerkschaften und der Berufsverband der Pflegefachleute am Montag eine Aktionswoche für mehr Anerkennung und bessere Arbeitsbedingungen. Unter dem Titel «Applaus! Und was wäre echt gerecht» führte die Gewerkschaft VPOD auch eine Umfrage unter Berner Pflegefachkräften durch. Rund 900 Personen mehrheitlich aus Spitälern und psychiatrischen Kliniken haben daran teilgenommen. Die Resultate liegen dieser Zeitung vor – und sie zeigen ein Bild einer Branche, in der dringend Nachholbedarf besteht.

Wenig überraschend ist eine Mehrheit (77 Prozent) mit ihrem aktuellen Lohn nicht zufrieden. 57 Prozent gaben an, dass sie mehr Geld benötigen würden, um ihr Leben zu finanzieren, und dass sich ihr ausbezahlter Lohn in den letzten fünf Jahren nicht verändert habe. Bei 6 Prozent hat er sich sogar verkleinert. Nachholbedarf gibt es gemäss den Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmern auch bei den Wochenend- und Nachtzulagen. Zudem sind 80 Prozent von ihnen der Meinung, dass ein Pensum von 80 Prozent ausreichen müsste.

 

Frühere Pensionierung, schlechte Noten

Auch für die Pflegefachfrau im Berner Spital ist dieser Punkt zentral. Der Weg zu mehr Personal führe über bessere Arbeitsbedingungen. «Wenn eine Pflegefachperson 100 Prozent arbeitet, bleibt neben all den Früh-, Spät- und Nachtdiensten kaum mehr genügend Zeit für die Erholung», sagt sie. Gleichzeitig könnten es sich viele aber aufgrund der schlechten Entlöhnung nicht leisten, Teilzeit zu arbeiten. Deshalb müsse hier dringend nachgebessert werden. «Wir müssen jeden Tag Höchstleistungen erbringen unabhängig von der Coronapandemie. Wir betreuen Menschen und keine Dinge, die wir einfach aufschieben können», sagt sie.

In die gleiche Richtung geht eine weitere Erkenntnis: Zwei Drittel wünschen sich eine frühere Pensionierung. Sie würden es begrüssen, wenn auch in der Pflege analog zum Bau Rentenalter 60 gelten würde. Allerdings glauben nur 7 Prozent, dass sie ihren Lebensstandard mit ihrer Rente halten können.

Keine guten Noten stellen die Umfrageteilnehmerinnen ihren Chefs zur Arbeitszeit in der ersten Coronawelle aus. Während in manchen Abteilungen geschuftet wurde bis zum Umfallen, mussten andere den Betrieb praktisch einstellen, da nicht dringliche Behandlungen verschoben werden mussten. 43 Prozent finden nun, dass ihre Arbeitgeber schlecht mit den dadurch verbundenen Minusstunden oder der Überzeit umgehen. Immerhin hat die Mehrheit jetzt genügend Schutzmaterial zur Verfügung. Im Frühling war das noch nicht gewährleistet gewesen.

Für VPOD-Gewerkschaftssekretärin Meret Schindler ist aufgrund der Umfrage klar: «Gerade die Covid-19-Krise zeigt, wie wichtig ein gutes öffentliches Gesundheitswesen ist. Dafür braucht es endlich bessere Löhne und Arbeitsbedingungen.» Sie hätte insbesondere nicht erwartet, dass die Spitalmitarbeiterinnen und -mitarbeiter bei der Abgeltung der Pikettdienste einen derart grossen Nachholbedarf sehen. «Die Mehrheit will eine echte Anerkennung in Franken und auch eine Zeitgutschrift, damit sie eine gewisse Sicherheit haben», sagt Schindler.

Auch wenn es die Gewerkschaftssekretärin nicht selber sagt, dürfte somit klar sein, dass der VPOD bei den anstehenden Lohnverhandlungen den Fokus auf diese Zulagen legen wird.

Die Protestwoche schliesslich endet am Samstag mit einer symbolischen Aktion auf dem Berner Bundesplatz – selbstverständlich unter Einhaltung der Schutzkonzepte.

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