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Cannabisanbau

Auch die Polizei hört das Gras wachsen

Innert drei Jahren sind im Kanton Bern zehn grössere Hanfplantagen entdeckt und geräumt worden. Wer steckt hinter diesen Anlagen, und wie funktioniert das Geschäft?

Symbolbild: Keystone

Adrian Hopf-Sulc

Bei der Wahl der Mietobjekte sind die Betreiber nicht wählerisch: Ein grosser Kellerraum in Eriswil, ein früheres Käselager in Lützelflüh, eine alte Maschinenfabrik in Wiler bei Utzenstorf. Hauptsache, es handelt sich um einen fensterlosen Raum, wo Strom und Wasser vorhanden sind. Und wo man in Ruhe gelassen wird.

Letzteres klappt jedoch nicht immer. Sei es wegen des charakteristischen Geruchs der Cannabispflanzen oder weil in den vermeintlichen Lagerräumen verdächtig viele Männer ein und aus gehen: Oft sind es Hinweise aus der Bevölkerung, welche die Polizei zu den versteckten Hanfplantagen führen, manchmal auch Zufallstreffer aus Verkehrskontrollen oder andere Anhaltspunkte.

Insgesamt zehnmal hat die Berner Kantonspolizei in den vergangenen drei Jahren mitgeteilt, dass sie eine grössere ­Indoor-Hanfplantage geräumt habe. Wenn die Beamten einen erhärteten Verdacht haben, muss es schnell gehen: Bei der zuständigen Staatsanwaltschaft wird die Genehmigung für eine Hausdurchsuchung eingeholt. Dann rücken die Polizisten aus, brechen Türen auf, halten allenfalls Anwesende fest, testen Pflanzen auf den THC-Gehalt.

Bestätigt ein solcher Schnelltest, dass es sich um verbotenen Drogenhanf handelt, beginnt die grosse Arbeit: Die Polizisten zählen Pflanze für Pflanze, unterscheiden nach sogenannten Mutterpflanzen, Stecklingen und ausgewachsenen Stauden. Sie wägen allenfalls bereits geerntete Hanfblüten, suchen nach Rechnungen und Notizzetteln und transportieren dann die gesamte Anlage ab. Das dauert manchmal bis in die frühen Morgenstunden. Mitunter wird auch die lokale Feuerwehr aufgeboten, damit diese die stickigen Räume belüftet.

 

Milde Strafen, 
hohe Kosten

So spektakulär die einzelnen Polizeimeldungen klingen, so rasch verschwinden sie wieder vom Radar der Öffentlichkeit. Weshalb? Eine Auswertung der besagten zehn Fälle liefert einige Antworten. In fünf Fällen ist es bereits zu Urteilen oder Straf­befehlen gekommen. Die Täter – ausschliesslich Männer – wurden allesamt verurteilt, wobei ­einige Urteile noch nicht rechtsgültig sind.

Es sind keine spektakulären Gerichtsprozesse: Die Sachlage ist meist ziemlich klar, und die Strafen sind, verglichen mit ­solchen für den Handel mit harten Drogen, eher mild. In den meisten Fällen haben die Täter bedingte Geld- oder Freiheitsstrafen erhalten.

So etwa der Mann, der 2019 in der früheren Metzgerei Meinen im Berner Mattenhofquartier eine Hanfplantage betrieb. 3381 Cannabispflanzen fand die Polizei bei der Durchsuchung der von ihm gemieteten Räume. Der Immobilienverwaltung hatte er gesagt, er wolle dort ein Töpferatelier, ein Fotolabor und ein Air-Brush-Studio einrichten.

Der gebürtige Schweizer ­wurde diesen Sommer zu einer bedingten Geldstrafe von 7500 Franken verurteilt, zudem muss er eine Busse von 3500 Franken und Verfahrenskosten von 57 000 Franken bezahlen. Die Kosten sind so hoch ausgefallen, weil die Infrastruktur der Hanfplantage nicht wie üblich vernichtet wurde. Stattdessen wurde sie teuer eingelagert, um sie nach dem Urteil an einen Hersteller von Hanf mit dem legalen Wirkstoff CBD weiterzuverkaufen.

 

Das Klonen 
im Internet gelernt

Die Cannabispflanze ist zwar vergleichsweise pflegeleicht. Doch um maximale Erträge herauszuholen, investieren die Betreiber oft fünfstellige Beträge in Töpfe, Erde, Beleuchtung, Bewässerungs- und Belüftungssystem samt Filter. Saatgut ist kaum nötig, obwohl die Hanfpflanze nach der Ernte der Blüten entsorgt wird. Stattdessen wird in den Indoor-Plantagen geklont: Wer über einige gut gepflegte Mutterpflanzen verfügt, kann von diesen laufend Seitentriebe abschneiden – Stecklinge – und diese zu neuen Pflanzen heranwachsen lassen.

Woher die Plantagenbetreiber wissen, wie das alles funktioniert? «Aus dem Internet», sagte einer der Angeklagten im Fall der Plantage Wiler vor Gericht. Tatsächlich finden sich etwa auf Youtube diverse Videos, in denen über alle Aspekte der Cannabiszucht gefachsimpelt wird. Dass die Betreiber etwas von ihrem Metier verstehen, fällt auch der Kantonspolizei auf: «Wir stellen fest, dass die grossen Anlagen zunehmend professioneller und mit qualitativ besseren Gerätschaften betrieben werden.»

Unter idealen Bedingungen könne eine Pflanze nach zwei Monaten geerntet werden und werfe 12 Gramm Marihuana ab, sagte Staatsanwalt Sandro Righetti bei einem der Fälle vor Gericht. Eine Anlage mit beispielsweise 2000 Stauden käme so auf einen Jahresertrag von 144 Kilogramm. Bei einem Zwischenhandels-Marktpreis von 5000 Franken pro Kilogramm ergäbe das Einnahmen von über 700 000 Franken – und eine berauschende Gewinnmarge.

Doch wer sind die Männer, die erwischt wurden? Beim grossen Fall in der früheren Maschinenfabrik Buser in Wiler bei Utzenstorf betrieben mehrere kleine Gruppen ihre Indoor-Anlagen. Einige der 20- bis 40-jährigen Beteiligten haben Vorstrafen wegen Verkehrs- oder Drogendelikten, ein unstetes Berufsleben und Schulden. Andere sind gut integriert und halfen einem Freund oder einem Cousin bei der Pflege der Plantage. Die Kantonspolizei erhebe die Fälle entdeckter Hanfplantagen nicht separat, weshalb keine Statistiken zu den Tätern bestünden, sagt Polizeisprecher Christoph Gnägi. «Es fällt jedoch auf, dass oft Leute aus dem Balkan beteiligt sind.»

Polizei und Staatsanwaltschaft fanden in den fünf Fällen, in denen ein Urteil vorliegt, zumindest keine nachweisbare Zugehörigkeit zur organisierten Kriminalität. In Eriswil wurde eine Pistole beschlagnahmt, ansonsten tauchten keine Waffen auf.

Bleibt die grosse Frage, wer die Abnehmer der Cannabispflanzen sind. Hier hören die Erkenntnisse der Ermittler auf. Dies auch, weil sie ihre Ressourcen für die Aufdeckung des Handels mit harten Drogen einsetzen. Entdecke man eine Hanfplantage, lasse man sie rasch räumen, sagt Staatsanwalt Sandro Righetti. So wird sichergestellt, dass das Cannabis nicht in den Handel gelangt. Aber die Razzien verhindern auch, dass man die Netzwerke beobachten und aufdecken kann.

 

Bern raucht 
4,5 bis 6,5 Tonnen Gras

Klar scheint, dass der im Inland angebaute Drogenhanf an Kundinnen und Kunden im Inland verkauft wird. Eine Studie der Universität Lausanne von Sucht Schweiz und dem Zentrum Unisanté zum Hanfmarkt kam letztes Jahr zum Schluss, dass der inländische Anbau aber nur etwa die halbe Schweizer Nachfrage nach Marihuana (getrocknete Blüten) und Haschisch (Cannabisharz) deckt.

Die Studie berechnete mittels Abwasseranalysen sowie Expertenbefragung auch die jährlich im Kanton Waadt konsumierte Menge an Cannabis. Rechnet man diese auf die Bevölkerung des Kantons Bern hoch, ergibt das für Bern eine konsumierte Menge von 4,5 bis 6,5 Tonnen und einen Jahresumsatz von 40 bis 60 Millionen Franken.

Das heisst: Das obige Beispiel einer Indoor-Anlage mit 2000 Pflanzen liefert etwa 2,5 Prozent des bernischen Jahresbedarfs an Cannabis. Wenn die Kantonspolizei jedes Jahr mehrere solcher Anlagen räumt, ist das also mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein. Zudem teilt die Polizei auf Anfrage mit, dass sie aus ermittlungstaktischen Gründen nicht sämtliche Razzien öffentlich mitteilt.

Aber: Wie viele Plantagen jedes Jahr irgendwo in einem unterirdischen Lagerraum neu aufgebaut werden, weiss niemand. Und dann gibt es noch die privaten Kleinanlagen mit einem oder einem halben Dutzend Pflanzen, in denen Cannabis zu Eigenbedarf oder für den Freundeskreis angebaut wird. Professionelle Verkäufer von Hanfzucht-Anlagen verkaufen sogenannte Growboxen: Zelte im Format eines Kleiderschranks, Aktivkohlefilter inklusive. Sie lassen sich auch in Privaträumen unauffällig unterbringen.

Gemäss der Lausanner Studie bauen die Schweizerinnen und Schweizer rund 10 Prozent des total konsumierten Cannabis in den eigenen vier Wänden an. Auch die Polizei bestätigt, dass sie vermehrt auch auf solche Anlagen stösst.

 

Die Legalisierung 
kommt – irgendwann

Heute ist grundsätzlich schon der Besitz einer einzigen THC-haltigen Hanfstaude illegal. Das könnte sich dereinst ändern: Der Berner Nationalrat Heinz Siegenthaler fordert mittels parlamentarischer Initiative die «Regulierung des Cannabismarktes für einen besseren Jugend- und Konsumentenschutz». Siegenthaler vermeidet zwar das Wort Legalisierung, doch de facto geht es um eine – streng regulierte – Cannabislegalisierung.

Mitte-Politiker Siegenthaler stützt sich in seinem Vorstoss auf die Haltung der früheren Eidgenössischen Kommission für Suchtfragen, gemäss der «Cannabis wenig körperliche oder psychische Schäden verursacht». Risikoreich sei jedoch «der Konsum in der Kindheit und frühen Jugend sowie der lang dauernde Konsum». Die Gesundheitskommissionen von National- und Ständerat haben der Initiative bereits zugestimmt.

Doch die Parlamentarier wollen nichts überstürzen – und die Ergebnisse der unter anderem an der Universität Bern anlaufenden Pilotversuche zum Cannabiskonsum abwarten. Bis zu einer effektiven Legalisierung dürfte das Jahrzehnt also schon fast vorbei sein. Und so werden auch die Berner Kantonspolizei und Justiz noch einige Jahre ­damit beschäftigt sein, Hanfplantagen zu räumen und ihre Betreiber zu verurteilen.

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