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Berner Oberland

Bergsportler fühlen sich gegängelt

Der Kanton will die Wildruhezonen grosszügig ausweiten. Das stösst auf zum Teil heftigen Widerstand bei Bergsportlerinnen und Bergsportlern. Sie wehren sich gegen die Einschränkungen.

Am Niesen soll bald auch im Sommer ein Weggebot gelten, Bild: Bruno Petroni

Claudius Jezella

«Unverhältnismässig» nennt René Michel das, was das Jagdinspektorat des Kantons Bern derzeit plant. Der langjährige Präsident und Gründer der SAC-Sektion Gantrisch bezieht sich auf die Ausweitung der Wildruhezonen, die zurzeit zur Mitwirkung aufliegt. Es handelt sich um die dritte Tranche von Anpassungen, die auch zahlreiche Gebiete im Berner Oberland betreffen, darunter das Kandertal, das Kiental oder das Gebiet Hohgant. Michel hat dabei besonders die neuen Wildruhezonen in den Gemeinden Erlenbach, Därstetten, Oberwil und Boltigen von der Simme bis hinauf zur Gantrischkette und den Grenzbergen zum Kanton Freiburg im Blick. Und die Berghänge von Reutigen und Stocken-Höfen, die mit drei grossflächigen Wildruhezonen (Längenberg, Schibe, Bäder) belegt werden sollen.

 

Weggebot auch für den Sommer

Hier sieht der Mitwirkungsentwurf des bernischen Jagdinspektorats eine Routenpflicht für Wanderer und Skitourengänger im Winter vor. Das Weggebot soll zudem auch im Sommer bis Ende Juli gelten, dazu Jagdbeschränkungen, Leinenzwang für Hunde, Flugverbote für Drohnen sowie ein Biwak- und Campingverbot. Weil diese Massnahmen den Bergsport erheblich einschränken würden, hat René Michel, der sich selbst als «aktiven Skitourengänger, Alpinist, Wanderer und Mountainbiker» bezeichnet, eine Petition gestartet.

Der Schwarzenburger fordert darin, dass der Kanton Bern auf die Errichtung der grossflächigen Wildruhezonen verzichtet. Diese seien «nicht nachvollziehbar». Mehr als 1600 Unterstützer hat Michel gefunden. Und auch in anderen Berggebieten ist die Stimmung ähnlich.

 

«Macht aus unserer Sicht keinen Sinn»

Franz Baumgartner, Bergführer aus Frutigen, sorgt sich beispielsweise um das Gebiet rund um den Niesen, wo die geplante Wildruhezone ähnliche Einschränkungen vorsieht: neben Jagdverboten und Leinenzwang auch hier Routenpflicht im Winter, Weggebote in der Sommersaison, Biwak- und Campingverbot. «Ein Sommerweggebot auf der Höhe von Alpweiden und im weglosen Gelände macht aus unserer Sicht keinen Sinn», meint Baumgartner stellvertretend für die Bergführer der Region. Der überwiegende Teil der Wanderer sei ohnehin auf den bestehenden Wegen unterwegs. Baumgartner und seine Kollegen wehren sich aber gegen ein mögliches Verbot der wenig begangenen und weglosen Routen sowie gegen das Biwakverbot, das nur einige wenige Berggänger treffen würde. Zudem seien die Bestände der unterschiedlichen Vogelarten am Niesen recht stabil, versichert der Frutiger Bergführer, der im Auftrag der Vogelwarte regelmässig Bestandsaufnahmen durchführt.

Von den vier beheimateten Raufusshühnern am Niesen sei einzig das Schneehuhn auf der Südseite verschwunden, allerdings nicht wegen der Wintersportler, sondern wegen der klimatischen Veränderungen, sagt Franz Baumgartner. Deshalb fordert er auch vom Kanton entsprechende Angaben dazu, «wo der Schuh drückt», bevor ganze Gebiete unter Schutz gestellt würden. «Wir sind nicht gegen Schutzmassnahmen, solange sie durch Daten belegbar und nachvollziehbar sind.»

 

Speedflyer ein «Fluch»
 für Wildtiere

Und er fährt fort: «Dort, wo einzelne bedrängte Arten wie das Auerhuhn bedroht sind, unterstützen wir einen verstärkten und punktuellen Schutz.» Auch das Camping- und Drohnenverbot hält Baumgartner grundsätzlich für sinnvoll und nennt weiter die Speedflyer, die unvermittelt und knapp über dem Boden fliegen, einen Fluch für die Wildtiere, der unterbunden werden sollte.

Unterstützt werden Baumgartner und Michel auch vom SAC-Zentralverband. «Lieber kleinere, spezifischere Schutzgebiete, insbesondere für gefährdete Arten wie das Auerhuhn, als einfach riesige Flächen zu definieren mit zig erlaubten Routen darin», sagt Philippe Wäger, Ressortleiter Umwelt und Raumentwicklung. Die Erfahrung zeige: Solche kleinen Gebiete leuchteten besser ein und die Regeln würden entsprechend besser eingehalten. «Und vor allem macht man die Leute nicht auch noch auf bisher wenig begangene Routen aufmerksam.»

«Die grossen Wildschutzgebiete bestehen teilweise bereits seit mehreren Jahrzehnten. Bisher war in ihnen aber nur die Jagd geregelt. Deshalb wurden sie von der Öffentlichkeit nicht oder kaum wahrgenommen. Dies ändert sich nun», hält der Berner Jagdinspektor Niklaus Blatter entgegen. Tendenziell würden die Grenzen der Schutzgebiete jedoch eher verkleinert. Einschränkungen wie Wegegebote beträfen nur einen Teil des Gebiets und gälten nur während einer beschränkten Zeit.

«Wir tragen dieser Kritik also bereits heute Rechnung», meint Blatter und verweist darauf, dass es sich bei den publizierten Plänen um einen ersten Entwurf handle. «Wir sind für konstruktive Änderungsvorschläge offen, müssen aber einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Schutz und Nutzen Rechnung tragen. Mit anderen Worten wollen wir einem touristischen Angebot genauso Rechnung tragen wie dem Schutz gefährdeter Tiere.» Und weiter: «Im Rahmen der ersten beiden Tranchen konnte aufgezeigt werden, dass eine solche Abwägung gelingen kann, wenn alle beteiligten Kräfte konstruktiv zusammenarbeiten.»

 

«Ein Nebeneinander schaffen»

Auch für die wenig begangenen, weglosen Routen sieht der Jagdinspektor Möglichkeiten: «Damit Lösungen gefunden werden können, müssen wir erst Kenntnis von solchen Routen haben. Unter anderem dafür führen wir die nun laufende Mitwirkung durch.» Es gehe nicht primär darum, Bestehendes zu verbieten, sondern zum Beispiel mit einem Weg- oder Routengebot die Nutzungen zu lenken und damit die Flächen zu beruhigen. «So können Störungen auf Wildtiere stark minimiert und damit der Schutz verbessert und ein Nebeneinander geschaffen werden.»

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