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Forschung

Berner Firma startet Impfstoff-Projekt

Das Berner Pharma-Start-up Innomedica forscht an einem Impfstoff gegen das Coronavirus. Die Herstellung soll dereinst in der Schweiz stattfinden, am Produktionsstandort in Marly. 150 000 Impfdosen pro Tag könnten dort produziert werden.

Wegen des beschleunigten Zulassungsverfahrens ist die Herstellung eines Impfstoffs für Start-ups besonder attraktiv. Bild: Keystone
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Quentin Schlapbach

Seit 2006 hat die Schweiz ein Problem in der medizinischen Grundversorgung. In diesem Jahr übernahm der holländische Pharmakonzern Crucell den Thörishauser Impfstoffhersteller Berna Biotech. Das Berner Unternehmen versorgte die Schweiz bis zu diesem Zeitpunkt mit Impfpräparaten gegen Cholera, Typhus bis zur normalen Grippe. Aber mit der Übernahme wurde die Produktion in Thörishaus eingestellt. Seither ist die Schweiz komplett vom Ausland abhängig, was die Versorgung mit Impfstoffen angeht.

Der Bund suche schon seit Jahren das Gespräch mit potenziellen Herstellern in der Schweiz, sagte Daniel Koch, Leiter Übertragbare Krankheiten des Bundesamts für Gesundheit, an der bundesrätlichen Pressekonferenz am letzten Freitag. Bisher aber ohne Erfolg: «Die Firmen waren nie dazu bereit und sind es heute wahrscheinlich auch nicht», so Koch.

Eine neue Ausgangslage

Stefan Halbherr, Forschungsleiter und Geschäftsleitungsmitglied des Pharma-Start-ups Innomedica mit Sitz in der Berner Länggasse, weiss, weshalb der Einstieg in den Impfstoffmarkt für viele Firmen bisher wenig attraktiv war. «Bis ein Impfstoff zugelassen wird, dauert es normalerweise fünf bis sieben Jahre», sagt er. Wegen dieser langen – und meist auch sehr kostspieligen – Prozesse ist es gerade für kleinere Unternehmen schwierig bis unmöglich, einen Impfstoff auf den Markt zu bringen. Dieses Geschäft wird deshalb heute von nur gerade vier sehr finanzstarken Playern dominiert: GlaxoSmithKline, Merck & Co., Sanofi und Pfizer.

Die Corona-Pandemie könnte diesen festgefahrenen Markt nun aber aufmischen. Weil die Zeit für einen Impfstoff dermassen drängt, ermöglichen die Kontrollbehörden beschleunigte Verfahren. Das heisst, von der ersten erfolgreichen Studie bis zur Zulassung vergehen im besten Fall nur einige wenige Monate. «Das macht die Entwicklung eines Impfstoffs auch für ein Start-up wie uns interessant», sagt Halbherr.

Innomedica hat deshalb letzte Woche ein Projekt lanciert, welches das Ziel einer Schweizer Impfstoffproduktion verfolgt. Geforscht wird anhand von Coronaviren, die in Italien entnommen und nun in die Schweiz gebracht wurden. Bereits im April soll der erste Prototyp des Impfstoffs entstehen, sagt Halbherr.

Institut soll Impfstoff prüfen

Innomedica hat vor einigen Jahren ein Medikament entwickelt, das eine gezieltere Behandlung von Krebs erlauben soll. Der Wirkstoff Talidox wird derzeit bei mehreren Schweizer Spitälern in der klinischen Studie eingesetzt. Das Spezielle am Medikament ist quasi seine Verpackung. Der krebsbekämpfende Wirkstoff ist in ein sogenanntes Liposom gehüllt, eine Art Fettmantel, das im Körper automatisch zum Tumor gelangt. Weil der Tumor das Liposom nicht als Feind erkennt, lässt er es in sich eindringen. So gerät der krebsbekämpfende Wirkstoff direkt in die Krebszelle und löst im Rest des Körpers weniger Nebenwirkungen aus.

Dieses Liposomen-Verfahren will Halbherr auch beim künftigen Corona-Impfstoff anwenden. Die Bestandteile, die für die Herstellung der Liposomen verwendet werden, seien klinisch etabliert und den Zulassungsbehörden bekannt. Deshalb hofft Halbherr, dass nach der Einreichung der Papiere und des Prototyps bald schon mit den klinischen Tests angefangen werden kann. In drei bis vier Monaten könnte dies bereits so weit sein, meint er optimistisch.

Den neuen Impfstoff auf Herz und Nieren prüfen soll vor der Einreichung das Institut für Virologie und Immunologie (IVI), welches dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen angegliedert ist, aber auch Teil der Universität Bern ist. Halbherr hat am Institut studiert und doktoriert. «Sie sind die Impfexperten der Schweiz», sagt er.

Der Virologe und Corona-Experte Volker Thiel vom IVI bekommt in diesen Tagen so viele Anfragen von Unternehmen, dass sein Institut aus Ressourcengründen gar nicht alle verfolgen kann. «Es wäre sehr erfreulich, wenn es gelänge, einen Impfstoff in der Schweiz zu produzieren», sagt er. Bei einer Pandemie müsse jede verfügbare Produktionskapazität ausgenutzt werden, sobald ein vielversprechender Impfstoffkandidat vorliege.

Finanzspritze ist nötig

Bei Innomedica gibt man sich derweil sehr zuversichtlich. Während sich ihre Büros immer noch in der Berner Länggasse unweit des IVI befinden, ist das Labor vor einigen Jahren in den Kanton Freiburg, nach Marly gezogen. An diesem Standort, in der ehemaligen Ilford-Fabrik, hat die Firma die Kapazitäten für eine breit angelegte Produktion. 150 000 Impfdosen pro Tag könnten mit der bestehenden Anlange hergestellt werden, sagt Halbherr.

Bis zur Zulassung werde Innomedica das Projekt aus eigenen Mitteln finanzieren. Für die Massenproduktion brauchte das Berner Jungunternehmen dann aber selbst eine Finanzspritze. Wenn dann auch das BAG Interesse an einer Schweizer Corona-Impfstoffproduktion habe, sei man offen für Gespräche, versichert Stefan Halbherr.

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