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Coronavirus

Das Rathaus ist eine Insel im Regulierungsdschungel

Keine Maske, kein Zertifikat: Im Grossen Rat gelten fast keine Einschränkungen. Nun wollen sich die Fraktionen selbst kontrollieren.

Im Grossratssaal versammeln sich derzeit 140 Personen ohne Masken- und Zertifikatspflicht auf 400 Quadratmetern. Bild: Raphael Moser

Quentin Schlapbach

Das gesellschaftliche Leben in der Schweiz ist seit Montag ein anderes. In Restaurants, Fitnessstudios oder Kinos kommt nur rein, wer ein gültiges Covid-Zertifikat vorweisen kann. Der Bundesrat begründet diese Massnahme mit der starken Belastung der Spitäler und der erhöhten Ansteckungsgefahr in Innenräumen.

Wie immer gibt es jedoch Ausnahmen. «Von der Zertifikatspflicht ausgenommen bleiben Treffen von Parlamenten und Gemeindeversammlungen», hält der Bundesrat in seiner Verordnung fest. Die Begründung: Anlässe zur politischen Meinungsbildung sind ein so fundamentales Grundrecht, dass niemand daran gehindert werden darf – selbst wenn eine Person ungeimpft ist und sich auch nicht testen lassen will.

So hehr die Absicht hinter dieser Ausnahmeregelung auch sein mag, in der öffentlichen Wahrnehmung entstand unweigerlich der Eindruck, dass die Politik sich hier Sonderrechte gewährt. Um diesem Eindruck entgegenzutreten, beschlossen Ständeratspräsident Alex Kuprecht und Nationalratspräsident Andreas Aebi (beide SVP) am Montag, dass zumindest für das Bundeshaus keine Sonderregelung gelten soll. Im Eilverfahren wollen die beiden zuständigen Kommissionen eine Änderung des Parlamentsgesetzes durchpauken, damit die Zertifikatspflicht fürs nationale Parlament doch noch eingeführt werden kann (siehe auch Seite 12).

Sonderzone Cafeteria

Im Gegensatz zu Stände- und Nationalrat hat der Grosse Rat keine rechtliche Handhabe, um sich selbst eine solche Zertifikatspflicht aufzubürden. «Eine rechtliche Grundlage für eine dringende Gesetzgebung ist im kantonalen Recht nicht vorgesehen», sagt Patrick Trees, Generalsekretär des Grossen Rats. Sowohl für die aktuelle Herbst- wie auch für die Wintersession wird es deshalb – aller Voraussicht nach – keine Zertifikatskontrolle geben. «Das könnte sich nur ändern, wenn der Bundesrat seine Verordnung entsprechend anpasst», sagt Trees.

Dass das Berner Rathaus und andere Kantonsparlamente deshalb Sonderzonen im Corona-Massnahmenteppich sind, will Trees aber nicht gelten lassen. «Wir haben mit der Kantonsärztin Linda Nartey vor der Session ein Schutzkonzept erarbeitet.» An Orten, wo eine Zertifikatspflicht durchgesetzt werden könne, gelte diese auch, sagt Trees. So kann an Veranstaltungen während der Mittagspause nur teilnehmen, wer entweder geimpft, genesen oder getestet ist. Auch in der Cafeteria dürfen nur Personen sitzen, die über ein gültiges Zertifikat verfügen.

Während der Session ist es für Ratsmitglieder relativ einfach, an ein solches Zertifikat zu kommen – auch wenn sie ungeimpft sind. «Alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier können sich alle zwei Tage gratis testen lassen», sagt Trees. Entsprechend gelte auch im Rathaus de facto die 3-G-Regel. Wer sich jedoch einem Coronatest verweigert, könne nicht dazu gezwungen werden, räumt Trees ein.

Selbstkontrolle bei Fraktionen

Wie eine Umfrage bei den Fraktionen zeigt, haben deren Präsidentinnen und Präsidenten wenig Verständnis für die Corona-Sonderzone Rathaus. SP-Fraktionspräsident Stefan Jordi findet es «absurd», dass die Zertifikatspflicht nur für spezielle Bereiche wie die Cafeteria gilt – erst recht, weil die Platzverhältnisse im Grossratssaal um ein Vielfaches enger sind.

Seine Partei stellte bereits vor der Session einen Ordnungsantrag für eine Maskenpflicht während der Debatten. Diese wurde von der bürgerlichen Mehrheit aber klar abgelehnt. Über einen zweiten Ordnungsantrag für eine Zertifikatspflicht konnte aus genannten Gründen gar nicht erst abgestimmt werden, weil sie im Gegensatz zu einer Maskenpflicht eine höhere rechtliche Hürde nehmen müsste.

Mit den Präsidentinnen und Präsidenten der anderen sieben Fraktionen hat Jordi deshalb vereinbart, dass man eigenständig eine Zertifikatskontrolle durchführt. Vor den Sitzungen sollen die Fraktionspräsidien überprüfen, ob alle Mitglieder ein Zertifikat haben. Er habe dies in der laufenden Session bereits mehrere Male getan, sagt Jordi.

Auch FDP-Fraktionspräsident Carlos Reinhard sagt, dass bei der letzten Fraktionssitzung am Donnerstag alle Mitglieder ein Zertifikat vorweisen mussten.

Mit gutem Beispiel voran

Andrea de Meuron, Fraktionspräsidentin der Grünen, ist mit der Lösung, welche die Zertifikatsfrage den einzelnen Parteien und ihren Mitgliedern überlässt, nicht zufrieden: «Gerade in der Politik sollten wir eigentlich mit gutem Beispiel vorangehen.»

Immerhin ist es nicht so, dass die Sonderregeln im Rathaus nur für Politikerinnen und Politiker gelten. Auch Besuchende und Medienschaffende müssen weiterhin kein Covid-Zertifikat am Eingang vorweisen – dafür aber ihre Identitätskarte.

Stichwörter: Bern, Rathaus, Grosser Rat, Pandemie

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