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Aareserie

In der Aare schwimmt der Tod mit

Vermisste Schwimmer, unbekannte Tote, tragische Unfälle und ein trauriges Verbrechen – die Aare zeigt immer wieder auch ihr dunkles, tödliches Gesicht. Das zeigt ein Blick ins Archiv der Kantonspolizei Bern.

Die düstere Seite der Aare: Die meisten Menschen, die in dem Fluss ihr Leben lassen, tun dies beim Schwimmen. Bild: Adrian Moser

Johannes Reichen

Am Ufer wurden Blumen hingelegt und ein Plakat aufgehängt. «Wir sind traurig darüber, dass hier gestern ein 11-jähriger Junge aus seinem unbeschwerten Spiel in den Tod gerissen wurde.» Es war der 19. Juli 2003, am Tag zuvor war im Eichholz bei Wabern ein Junge beim Spielen vom Wasser mitgerissen worden. Gefunden wurde er erst vier Tage später beim Stauwehr Engehalde in Bern. Die Aare war zur tödlichen Falle geworden, wieder einmal.

Seit Jahrhunderten schwimmen und sterben Menschen in der Aare. Schon im 14. Jahrhundert wurden Badeunfälle in der Aare rapportiert. Der bekannteste Aaretote der Geschichte stürzte sich freiwillig in den Fluss. Dällebach Kari, Coiffeur und Berner Stadtoriginal, sprang im Sommer des Jahres 1931 von der Kornhausbrücke in die Tiefe. Rund zehn Tage später wurde seine Leiche im Wohlensee gefunden.

Die meisten Menschen aber, die in der Aare den Tod fanden, suchten Spass, wollten einfach schwimmen gehen. Man erkenne es an den Augen, wenn jemand in Schwierigkeiten gerate, sagte einmal Bernhard Fleuti, Rettungsschwimmer und Präsident der Berner Sektion der Schweizerischen Lebensrettungsgesellschaft. «Sie werden gross wie Mühleräder.»

40 Tote in 18 Jahren im Kanton Bern

Bis in Dällebachs Todesjahr reicht das Mitteilungsarchiv der Kantonspolizei Bern im Internet bei weitem nicht. Seit Anfang 2003 sind alle Polizeimeldungen aufgeschaltet. Ungezählte Unfälle und Verbrechen, Gesetzesverstösse und Brände, Zeugenaufrufe und Verkehrsempfehlungen werden hier aufgelistet. Und immer wieder Todesfälle. Wer in diesem Archiv nach den Todesfällen in der Aare sucht, stösst zunächst auf den Jungen aus dem Eichholz – und dann auf viele weitere Schicksale. Die Medienmitteilungen dienen als Grundlage für die abgebildete Grafik.

Insgesamt 40 Menschen fanden in den letzten 18 Jahren im Kanton Bern den Tod in den Wellen der Aare. So viele Fälle jedenfalls hat die Kantonspolizei Bern mitgeteilt, und das tue sie immer, wenn sie Kenntnis von Unfällen habe, sagt Sprecherin Jolanda Egger. Nur bei Suiziden sieht die Kantonspolizei von einer Veröffentlichung ab. Warum starben diese Menschen und wo? Antworten liefert eine Analyse der Daten, die auf der Grafik zusammengefasst sind.

In einem Fall starb ein Mann wohl im Kanton Solothurn, wurde dann aber im Kanton Bern aufgefunden. Er wird in dieser Statistik aufgeführt. Weitere Personen, die auf dem Abschnitt zwischen der Quelle im Grimselgebiet und Wynau gestorben sind, aber auf Solothurner Kantonsgebiet gefunden wurden, werden nicht aufgeführt. Das gilt auch für jene Todesfälle, die sich in Brienzer-, Thuner-, Wohlen- oder Bielersee ereignet haben.

Tod beim Schwimmen oder beim Böötle

Nirgendwo gibt es mehr Tote als in der Stadt Bern, wo die Anzahl Schwimmer viel höher ist als im Rest des Kantons. Beliebt bei Schwimmern ist auch das Aaretal nach Thun, wo die Aare viel Wasser führt und viel Zug hat – auch hier gibt es regelmässig Unfälle. Im Oberland, im Seeland und im Oberaargau werden dagegen deutlich weniger Todesfälle verzeichnet.

Die meisten Menschen sterben beim Schwimmen. Auch in jenen Fällen, in denen die Polizei vor einem Rätsel stand und nicht wusste, warum jemand in der Aare umgekommen ist, dürften Badeunfälle die Ursache sein. Man kann aber auch mit dem Kajak oder dem Gummiboot verunglücken – wie zwei Frauen, die vor vier Jahren bei der Belper Auguetbrücke kenterten und ertranken. Auch Stürze zu Fuss oder Autofahrten, die im Fluss enden, können tödlich sein. Nicht in allen Fällen ist die Todesursache klar, jedenfalls nicht zum Zeitpunkt der Publikation. In den meisten dieser Fällen dürfte aber ebenfalls ein Badeunfall die Ursache sein.

Die meisten Aaretoten lebten im Kanton Bern, manche aber auch in anderen Kantonen der Schweiz. Auch Touristen trifft es, in einem Fall starb ein Mann aus einen Asylzentrum. In fünf Fällen starb eine Person, die hier lebte, aber einen ausländischen Pass hatte. Dem Zufall dürfte geschuldet sein, dass gleich drei junge Männer aus Südkorea in der Aare ihr Leben liessen. Oft sind es junge Leute, die in der Aare sterben, aber auffallend oft auch Personen über 70.

Vermisst, verschwunden, nicht identifiziert

Die Auswertung zeigt auch: Nicht selten werden Ertrunkene während mehrerer Tage vermisst, bis sie entdeckt werden. Dies war bei mindestens 14 der 40 Fälle so. Die Spannweite reicht von einem Tag bis zu drei Wochen. Häufig werden die Leichen in der Stadt Bern beim Stauwehr Engehalde oder im Schwellenmätteli gefunden. Manchmal aber passieren die Toten diese künstlichen Hindernisse und werden erst später gefunden.

Oder auch gar nicht. Bis heute nicht gefunden wurde der Körper eines 20-jährigen Mannes, der 2006 nach einem Badeunfall in der Aare bei Muri verschwand. «Der Mann gilt nach wie vor als vermisst», so Polizeisprecherin Egger. In zwei weiteren Fällen wurden zwar die toten Körper gefunden, aber die Identität der Verstorbenen nie geklärt. So auch bei der Wasserleiche von Safnern.

«Wer kennt diesen Mann?», fragte die Kantonspolizei am 29. Juli 2003. Ein paar Monate zuvor war im Nidau-Büren-Kanal eine Leiche entdeckt worden. Sie hatte drei Wochen im Wasser gelegen. Männlich, 30- bis 50-jährig, weisse Hautfarbe, blaue Levis-Jeans, eine Tissot PR50 am Armgelenk. Die Kapo bat die Bevölkerung damals um Mithilfe, vergebens. Der Tote habe nach wie vor nicht identifiziert werden können, so Egger. Das gilt auch für einen Mann, der vor vier Jahren in Bern tot aus der Aare gezogen wurde.

Das traurige Schicksal 
eines Babys

In einem Fall wurde die Aare zum Schauplatz eines Verbrechens. Im Sommer 2006 legte eine psychisch kranke Frau ihren vier Monate alten Sohn in einer Babytasche in die Aare. Danach versuchte sie erfolglos, Suizid zu begehen. Zwei Stunden später wurde das Kind tot aufgefunden, die Frau verhaftet und medizinisch und psychisch behandelt. Die Kantonspolizei teilte damals sogar mit, welche Worte die Frau ihrem Säugling mit auf den Weg in den Tod gegeben hatte: «Herr Jesus, lueg zu däm chlyne Gschöpf, lan ihms guet la gah.»

Es ging nicht gut. Es geht nicht immer gut in der Aare.

Stichwörter: Kanton Bern, Aare, Schwimmen, tot

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