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Dream Pilot

Der Herr der 100 Spuren

Viele Jahre nach der Bandgründung taufen Jachin Baumgartner und die Band Dream Pilot heute ihr Debütalbum. «Away From Today» macht klar, warum das so lange gedauert hat.

Jachin Baumgartner ist ein Perfektionist und eine ehrliche Haut:Streicher und Bläser haben echt zu sein.  copyright: anita vozza

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"Blanket"

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"We Came Along This Road"

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Tobias Graden

Was ist das für ein Wesen, das auf dem Plattencover prangt? Ein Zwitter aus Mensch und Rabe? Ist es eine Frau oder ein Mann, feminin, maskulin, androgyn? Existiert es oder ist es eine Fantasiekreatur?

Jachin Baumgartner mag das Spiel mit dem Doppelbödigem, dem Nicht-Eindeutigen. Fotografin Anita Vozza hat den Frontmann der Bieler Band Dream Pilot für deren Debütalbum darum mit rätselhafter Aura in Szene gesetzt. Dazu passt auch der Albumtitel:«Away From Today», ungefähr: «Fern von heute». Es geht um Möglichkeiten, um Alternativen zur Realität, um Sichtweisen, Wahrnehmungen, Dimensionen, Sicher- und Unsicherheiten, auch um Flucht und Eskapismus.


Es ist nie zuviel
Man kann sich «Away From Today» sehr wohl anhören und auch Spass daran haben, ohne Gedanken wälzen zu müssen. Denn um ein Konzeptalbum handle es sich nicht, beteuert der Bieler Musiker, dazu fehle eine Figur, die sich durch das ganze Werk ziehe. Die obigen Stichworte mögen aber ein Hinweis darauf sein, welchen Ansatz Baumgartner für seine Musik wählt, ob er es sich einfach macht oder nicht – die Antwort ist rasch gegeben.

Über Jahre und teils jahrelang haben vor allem Baumgartner, aber auch Bassist Miro Rutsch, Schlagzeuger Raphael Ruimy und nicht zuletzt Produzent Raffael Brina an diesem Album gearbeitet. Wenn man dazu noch die nicht nur gut beleumdete Stilbezeichnung Prog Rock fallen lässt, werden leicht Befürchtungen wach: Dieses Werk könnte allzu kopflastig sein, die Musik kitschig und überproduziert, die Band könnte sich in den Möglichkeiten heutiger Produktionen verloren haben. Der Eindruck nach dem Hören ist aber ein anderer:Zwar merkt man «Away From Today»den enormen Aufwand zweifellos an, die aufgewendete Sorgfalt äussert sich aber gerade darin, dass sich nie das Gefühl einstellt, diese Musik sei jetzt «too much». «Das ist das Verdienst von Brina», sagt Baumgartner, «er hat Einspruch erhoben, wenn irgendwo etwas zuviel war.»


Alles ist echt
Dabei kommt noch das einfachste der zwölf Lieder nicht mit einigen wenigen Tonspuren aus. «We Came Along This Road» ist ein flotter, irisch angehauchter Folksong, und er enthält Folgendes (Auflistung ohne Anspruch auf Vollständigkeit):akustische Gitarre, Viola, Cello, elektrische Gitarre 1, elektrische Gitarre 2 (mit Bottleneck gespielt), Bass, Banjo, Schlagzeug, Gesang 1, Gesang 2 (Gast Stef Allemann), Chorgesang, Violine, Zither, Mandoline, Gerufe. Im nächsten Song gibts dann auch Bläser und Keyboards. Wenn man Jachin Baumgartner  fragt, wieviele Spuren er denn so aufnehme für einen Song, antwortet er gänzlich ungerührt, als habe man wissen wollen, was er zu Mittag gegessen habe. «Gegen 100 sind das schon», sagt er, «aber davon hört man am Schluss natürlich nicht alle. Bloss etwa 40.»

Die Spannweite bei Dream Pilot erinnert dabei an Queen-Platten der 70er, auf denen auch simple Songs neben halben Opern zu finden waren, und in der zweiten Hälfte des Albums wandelt sich die Atmosphäre vom Prog Rock zu kräftigerem Rock mit mehr verzerrten Gitarren. Auf Synthesizer verzichten die Bieler zumeist (oder dann sind sie als solche erkennbar), Streicher und Bläser sind allesamt echt. Nachdem in zwei Phasen im Herbst 2012 und Frühling 2013 das Gerüst der Songs aufgenommen wurde, folgten später mit vielen Gästen die weiteren Instrumente und Stimmen.


Eine ehrliche Plattentaufe
Die Band existiert schon seit vielen Jahren, und doch ist «Away From Today» das Debütalbum. «Wir haben ewig gebastelt, bis wir unseren Sound gefunden haben», sagt Baumgartner. Umso besser komme man nun voran:Während das erste Album getauft wird, ist das zweite bereits aufgenommen. In Malmö, im Studio des Illeist Collectives, und zwar auf ganz andere Weise: Zehn Songs, abgesehen von Gesang und Piano live eingespielt, in kurzer Zeit.

An der heutigen Plattentaufe dürften die Lieder von «Away From Today»auch eher so klingen. Zwar treten Dream Pilot mit mehreren Gästen auf, Streicher beispielsweise sind aber nicht dabei. Und auf programmierte Sounds oder Einspielungen verzichtet die Band ohnehin: «Das wäre nicht ehrlich und würde nicht zu uns passen», sagt Baumgartner, «die Songs funktionieren auch so.»


Info: Dream Pilot: «Away From Today» (Eigenvertrieb, erhältlich an Konzerten oder über die Website. Plattentaufe heute Abend im Eldorado, Mattenstrasse 28, Biel.

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