Sie sind hier

Abo

Mühleberg

Der letzte Gang

Die BKW hat zur letzten Begehung des AKW Mühleberg eingeladen. 
Für die Belegschaft beginnt eine neue Zeitrechnung.

Stehen vor neuen Aufgaben: Urs Amherd, Alexandra Reiche und Simon Meier (v.l.). Bild: Franziska Rohtenbühler

Cedric Fröhlich

Der Morgen beginnt mit einem «Grüessech» vom Sicherheitsmann, einem Blick auf die ID, dem Gang durch den Metalldetektor. Und dann ist man drin im Atomkraftwerk Mühleberg. Ein letztes Mal.

Am 20. Dezember werden im Kontrollraum, der irgendwo auf diesem verzweigten Areal liegt, zwei Angestellte zeitgleich zwei Knöpfe drücken. Der Reaktor fährt runter, der Meiler geht vom Netz. Ein Ereignis von historischer Bedeutung – energiepolitisch, gesellschaftlich, gefühlsmässig. Weil es endgültig ist: Mühleberg wird zum ersten AKW der Schweiz, das offiziell den Betrieb einstellt.

Dieser Tag rückt näher, deshalb hat der Berner Energiekonzern BKW gestern zum Rundgang geladen. Zum allerletzten für die Öffentlichkeit, was bedeutet: für die Medien. Und er hat drei Menschen dafür delegiert, die stellvertretend sind für die Belegschaft des alten Meilers. Menschen, die jahrelang dafür gesorgt haben, dass das Ding bis heute zuverlässig Strom produziert. Sie haben das AKW gewartet und überwacht, sich mit diesem Ort identifiziert. Und müssen den alten Meiler im nächsten Jahrzehnt dem Erdboden gleichmachen.

Aus einer analogen Zeit

Simon Meier ist einer von ihnen. «Leiter Betrieb» lautet seine etwas sperrige Berufsbezeichnung. Vereinfacht gesagt ist er dafür verantwortlich, dass die Anlage weiter ihren Dienst tut, während andere bereits ihre Demontage vorbereiten. Angefangen hat er vor über zehn Jahren als Operateur in der Anlage, als «Augen und Fühler des Kontrollraumes», wie er es beschreibt.

Das AKW Mühleberg ist mittlerweile 47-jährig. Es stammt aus einer analogen Zeit. Nicht sämtliche Schaltungen und Anlagen können aus der Zentrale geregelt werden. Meier musste während Jahren im Bauch des Kernkraftwerks auch Schaltungen tätigen, Filter rückspülen, selbst kleinste Unregelmässigkeiten entdecken, bevor sie zu grossen wurden. Er lernte dabei jeden Winkel des AKW kennen. Das Ende, es ist für ihn auch ein Abschied von einem alten Bekannten. «Es ist wie mit einem Oldtimer im Topzustand, den wir nun auseinandernehmen. Klar tut das auch weh», sagt er. Die BKW überträgt die Demontage primär an die Belegschaft in Mühleberg. Das ergibt durchaus Sinn – niemand kennt es so gut wie jene, die jahrelang mit ihm gearbeitet haben. «Wir haben noch eine Aufgabe», sagt Meier. Das mache den Abschied leichter.

Dass dieser Tag kommen wird, ist längst beschlossene Sache. Die BKW liess im Oktober 2013 verlauten, dass sie das Kraftwerk stilllegen wird. «Es war ein Schock», sagt Alexandra Reiche über ihren Gemütszustand von damals. Ihr wäre es lieber gewesen, das Ende wäre aufgrund technischer Überlegungen verkündet worden und nicht als unternehmerischer Entscheid. Mittlerweile hat sie sich damit abgefunden. Anders als in Deutschland, wo viele Reaktoren heruntergefahren wurden, ohne dass genau klar war, wie man sie denn zurückbaut, erfolge die Abschaltung in Mühleberg nicht überstürzt, sondern nach jahrelanger Planung. «Wir konnten mitgestalten.» Die Deutsche verantwortet in den nächsten Jahren die Demontage des alten Meilers. Eine komplizierte Angelegenheit, auch aufgrund der unfassbaren Mengen, die dereinst aus der Anlage entfernt werden müssen. Tausende Tonnen Beton, Stahl, radioaktiv belastetes Material. Damit in der engen Anlage überhaupt genügend Platz dafür vorhanden ist, beginnt der Rückbau nicht im eigentlichen Reaktorgebäude, sondern nebenan, im Maschinenhaus.

Dort entsteht heute noch Strom, genügend, um fünf Prozent des Schweizer Bedarfs zu decken. Produziert von röhrenden und riesigen Turbinen. Sie werden nach der Abschaltung als Erste ausgebaut und die Hallen im Maschinenhaus in eine Art Zwischenlager umfunktioniert. Hierhin verfrachten die Mitarbeitenden das in komplexer Kleinstarbeit zerlegte, gereinigte und verpackte Material, bevor es in der Zwilag im aargauischen Würenlingen verschwindet – zumindest so lange, bis das Land endlich einen Ort für die Endlagerung gefunden hat. Bis ins Jahr 2030 sollen alle radioaktiven Abfälle abtransportiert sein. «Die Anlage wird sich praktisch täglich verändern», so Reiche.

Spektakulär unspektakulär

Die Atomkraft übt eine seltsame Faszination auf den Menschen a us. Etwas winzig Kleines macht unglaubliche Mengen an Energie nutzbar. Wenn man dann an dem Ort steht, an dem das effektiv geschieht, ist die Sache spektakulär unspektakulär.

Urs Amherd steht im Reaktorgebäude, auf 29 Metern. Der Reaktor befindet sich unter ihm, verborgen hinter Stahl und Beton. Amherd ist Programmleiter Nach- und Rückbaubetrieb, anders gesagt: auch eine zentrale Figur der Stilllegung. Er informiert über den Abtransport der Brennelemente. Vielleicht die heikelste Aufgabe überhaupt an diesem ganzen Unterfangen – aber keine komplett neue. Seit 47 Jahren werden diese Elemente regelmässig ersetzt. Noch Monate nach der Abschaltung werden die heute genutzten Stäbe nicht komplett ausgekühlt sein. Ihre Strahlung nimmt während dieser Zeit zwar rapide ab, sie bleiben aber noch lange in einem riesigen Pool, gefüllt mit destilliertem Wasser. 2024 soll das letzte weg sein. Amherd sieht die Sache pragmatisch, spricht vom «logischen Ende eines jeden Reaktors».

Wenn am 20. Dezember die beiden Knöpfe gedrückt werden, beginnt eine neue Zeitrechnung. In Mühleberg. Für Meier, Reiche und Amherd. Sie beginnen mit der Umsetzung von etwas Grossem: dem Ende der Atomenergie in diesem Land.

Nachrichten zu Kanton Bern »