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Porträt

Der Sparberater

Er berät die Berner Regierung beim Schnüren von millionenschweren Sparpaketen. Urs Müller, Professor für Nationalökonomie, bezeichnet sich selber als «Zahlenmensch». Als Ausgleich zu seinem kopflastigen Beruf pflegt er überraschende Leidenschaften.

«Zahlen und Modelle sind das, was mich schon lange prägt», sagt Urs Müller. Bild: Andreas Blatter

Urs Zurlinden

Das Büro im dritten Stock des Zweckbaus an der Wallstrasse 8 in Basel ist klein, einfach möbliert und sieht nach kreativem Chaos aus. Keine Spur von säuberlich geordneten Ablagen und Prunk, wie er vom Arbeitsplatz eines Präsidenten des einflussreichen Kantonalbankenverbandes zu erwarten wäre. Urs Müller, Professor für Nationalökonomie, lebt in seinem kargen Büro die Botschaft vor, die er ins Land trägt: Sparen ist möglich. Das dafür erforderliche Vorgehen hat er letztes Jahr dem Kanton St. Gallen empfohlen und dieses Jahr als Leiter des Projekts Aufgaben- und Strukturüberprüfung dem Kanton Bern verschrieben. Auch der Thurgau hat ihn schon verpflichtet, für Appenzell Ausserrhoden beginnt sein Beratermandat nach den Sommerferien.

Der 56-Jährige ist ein gefragter Mann zum Thema öffentliche Finanzen. Er war selber zehn Jahre lang Chef der Finanzverwaltung des Kantons Basel-Stadt. Als Di- rektor des unabhängigen Forschungsinstituts BAK Basel Economics AG erstellte er volkswirtschaftliche Analysen und Prognosen, und seit 1998 lehrt er an der Uni Basel über empirische Wirtschaftsforschung und öffentliche Finanzen. Die Losung gilt für ihn in Abwandlung eines alten Sinnspruches: «Denke in der Zeit, so hast du in der Not.»

Das Zauberwort fürs Sparen
Gleich zu Beginn des Gesprächs über sein Mandat für die Berner Regierung will er die «Spielregeln» festgelegt haben: «Politi- sche Aussagen und Wertungen des Sparprogramms erhalten Sie von mir keine. Dafür sind sieben Regierungsräte angestellt, gewählt vom Volk.» Das hat weniger mit vorsichtigem Taktieren als mit seinem Selbstverständnis als Berater zu tun: Müller liefert keine fixfertigen Sparprogramme, die über alles gestülpt werden, damit aus einem Finanzdesaster herausgefunden wird. Sondern er vergleicht die jeweiligen Ausgaben der bernischen Direktionen und Amtsstellen mit jenen anderer Kantone. Benchmarking ist das Zauberwort für dieses Vorgehen. Die auf diese Art als ver- gleichsweise teuer entlarvten Bereiche müssen dann selber Vorschläge einbringen, wo sie wie sparen werden.

Für die zweite Runde gespart So kamen die konkreten Vorschläge für das jetzt vorliegende 450 Millionen Franken schwere Sparprogramm der Regierung ausschliesslich aus der jeweiligen Fachdirektion. Konkret: Dass die Polizei 100 Stellen einsparen will anstatt um 130 Stellen aufzustocken, war der Vorschlag von Polizeidirektor Hans-Jürg Käser und seinem Kommandanten. Oder die Einsparungen von 22 Millionen Franken in der Berufsbildung hat der dafür zuständige Erziehungsdirektor Bernhard Pulver eingebracht – und letztlich zu verantworten. «Mit diesem Vorgehen», so Müller, «sind die Fragen, wo gespart werden soll, keine politischen, sondern eher technische Fragen.» Mit dem doch überraschenden Ergebnis, dass eine rot-grüne Berner Regierung vor allem im Sozialbereich kräftig sparen will. Dafür blieben die zentrale Verwaltung, die Landwirtschaft, die Kultur, die Universität oder der Strafvollzug noch weitgehend verschont. Zumindest vorerst: Eine politische Prioritätensetzung, wie sie von Aussenstehenden bereits vermisst wird, ist erst in einer zweiten Runde vorgesehen.

Müller versteht seine Aufgabe denn auch nicht als Budgetberater im engeren Sinn, sondern als Moderator. So hat er die Regierungsmitglieder zu Klausurtagungen aufgeboten, vorzugsweise ausserhalb der gewohnten Rathausumgebung. Um eine neutrale Ausgangslage besorgt wurden diese Ausmarchungen von ihm geleitet und nicht vom Regierungspräsidenten. «Ich kann gut zuhören, mich in andere hineindenken und dann erkennen, was sie brauchen», sagt Müller. Sein ruhiger Blick mit stahlblauen Augen bestätigt diese Selbsteinschätzung. «Seine Fachkompetenz hat mich von Beginn weg überzeugt», lobt die Berner Finanzdirektorin Beatrice Simon und gibt offen zu: «Die Diskussionen um Aufgaben- und Dienstleistungsabbau waren im Regierungsrat nicht immer einfach. Professor Müller hat uns jedoch in seiner ruhigen Art immer wieder das Ziel vor Augen geführt.»

Es gäbe Leute, die ihn zwischendurch für schulmeisterlich hielten, gesteht Müller selbstironisch. Tatsächlich wollte er während der Schulzeit nur Lehrer werden – und wurde in der 4. Klasse prompt einmal von seiner Lehrerin geheissen, eine verwaiste Klasse von 1. Klässlern nebenan zu hüten.

Bewandert in vielen Sparten
Die Matur machte Müller mit Bestnoten in allen naturwissenschaftlichen Fächern und mit 5 in allen anderen. «Ich bin ein Zahlenmensch», sagt der Professor. In Rechnen habe er von der Primarschule bis zur Matur jeweils die Bestnoten erhalten – «ohne je etwas zu Hause zu lernen». Dass es in Mathematik keine Ausnahmen von den Regeln gibt, begeistert ihn. Allerdings studierte er dann nicht Mathematik, sondern Wirtschaft. «Zahlen und Modelle sind das, was mich schon länger prägt.» Das tönt nach viel Hirnarbeit, und ist es auch. Allerdings weiss er das Kopflastige in seinem Leben zu kompensieren: mit Bergsteigen. Im Alter von 14 Jahren bestieg er im Rahmen eines Pfadi-Sommerlagers seinen ersten 4000er – das Breithorn oberhalb Zermatt sollte für ihn zum prägenden Erlebnis werden. Inzwischen hat er rund zehn 4000er erklommen. Mit den Pfadfindern entdeckte er eine Leidenschaft, die bis heute anhält: das Reisen – und zwar auch als geistige Haltung. «Ich bin ein ausgesprochen neugieriger Mensch in dem Sinne, dass ich immer viel Neues erfahren – und erleben – möchte», sagt Urs Müller. Und zeigt auf dem Handy Fotos einer Wanderung von letzter Woche im Tirol: mit blauen Enzianen und seltenen Orchideenarten. Dazwischen: ein Rosenstock mit über 300 Blüten so gross wie Handballen aus seinem Vorgarten in Basel. Auch Rosenzüchten ist eine seiner Leidenschaften. Genau wie das Sammeln von Teppichen und Teekrügen. «Es gibt keine Ferien, aus denen ich nicht einen Teppich heimbringe», erzählt Müller.

Also hängt im Büro doch ein Teppich, ein antiker Sumak, vermutlich aus dem Kaukasus. Und auf einem Büchergestell steht ein Teekrug aus Marokko, den er sich auf dem Markt von Marrakesch nach engagiertem Herunterhandeln des Preises erworben hatte: «Da bin ich wieder der Zahlenmensch.»


Zur Person
Urs Müller ist am 24. Februar 1957 in Basel geboren und «im Sandwich» von zwei Schwestern aufgewachsen. Nach dem Gymnasium studierte er Wirtschaftswissenschaften, erlangte 1984 den Doktortitel, habilitierte und wurde 1998 zum Titularprofessor ernannt. Nach Assistenzjahren an der Uni Basel arbeitete er von 1989 bis 1996 und von 2005 bis 2012 an der BAK-Konjunkturforschung Basel, dazwischen war er Chef der kantonalen Finanzverwaltung. Seit März 2012 arbeitet er zu 50 Prozent als Präsident des Verbandes Schweizerischer Kantonalbanken , hält nach wie vor Vorlesungen an der Uni Basel und ist als Berater für Kantone und Städte mit finanziellen Problemen tätig. Urs Müller ist Vater von zwei erwachsenen Kindern und lebt in Basel.

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