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Wahlkampf

Der überraschende Burgfrieden im Rathaus

Wer vor den Wahlen wissen möchte, welche Positionen die Berner Regierungsräte und Regierungsrätinnen vertreten, wird enttäuscht. «Schwach», findet ein Herausforderer. Was ist passiert?

Einigkeit auf der ganzen Linie: Die Kantonsregierung will ihre Positionen auf dem Onlinetool Smartvote nicht preisgeben. Bild: Adrian Moser/a

Carlo Senn

«Soll der Kanton Bern ein Burkaverbot einführen?», «Soll der Konsum von Cannabis legalisiert werden?» und «Sollen die Steuern für natürliche Personen sinken?». Solchen und ähnlichen Fragen stellen sich Berner Politikerinnen und Politiker in der Phase des Wahlkampfs normalerweise auf der Wahlhilfe-Plattform Smartvote – auch in der Exekutive.

Nicht dieses Jahr: Sämtliche sechs Regierungsrätinnen und 
-räte, die wieder antreten, verweigern die Antworten.

Die Kantonsregierung lehne es ab, die Wahlhilfe Smartvote auszufüllen, «aus Rücksicht auf das Kollegialitätsprinzip», schreibt der Regierungsrat gestern in einer Mitteilung. Statt auf Wahlkampf setzen die Politikerinnen und Politiker also auf einen Burgfrieden.

 

Kommt nicht gut an

Smartvote ist eigentlich eine Möglichkeit für die Wählenden, sich ein Bild über die politischen Positionen von Kandidierenden zu machen. Dafür stellt die Plattform spezifische Fragen, auch über die kantonale Politik. Dies war auch für die Wahlen im Kanton Bern vorgesehen, welche dieses Jahr im März stattfinden.

«Schwach», findet der Grün-liberale Herausforderer Casimir von Arx den Entscheid, wie 
er auf Twitter schreibt. «Bei 
den Wahlen müssen die Wählenden doch sehen, wer wofür steht.»

Auch bei der linken Minderheit im mehrheitlich bürgerlichen Kanton kommt die Weigerung, bei Smartvote mitzumachen, nicht gut an. Schliesslich gehöre es dazu, dass sich die Kandidierenden zu politischen Inhalten äusserten, schreibt Natalie Imboden, Präsidentin der Grünen im Kanton Bern, auf Anfrage.

Die SP ist mit zwei Regierungsräten im Gremium vertreten. SP-Co-Präsidentin Mirjam Veglio bedauert den Beschluss ebenfalls, äussert jedoch auch Verständnis: «Die Vielfalt und Komplexität der politischen ­Themen wird beim ‹Smartvote-Schema› stark vereinfacht.»

 

«Schwer nachvollziehbar»

Der Wahlkampf ist dazu da, Positionen von Kandidierenden herauszufinden, es wird diskutiert und gestritten. Deshalb kann Politologe Georg Lutz von der Universität Lausanne die Gründe «schwer nachvollziehen». In dieser Logik könnten amtierende Regierungsräte überhaupt keine Wahlkampagne mehr machen, bei der sie auch zu inhaltlichen Fragen Stellung nehmen, so Lutz.

Auch der Politikanalyst Mark Balsiger ist der Meinung, dass die Regierung an der Umfrage teilnehmen sollte: «Bereits seit 2006 füllen Regierungsräte Smartvote aus.» Somit sei der Entscheid auch eine gewisse Kritik an den vorherigen Amtsträgern: Damit werde suggeriert, dass die Mehrheit der amtierenden Kandidierenden in den letzten vier Wahlen das Amtsgeheimnis und das Kollegialitätsprinzip verletzt habe.

Im Regierungsrat sässen schliesslich «fähige Leute» mit unterschiedlichen Biografien, Temperamenten und Präferenzen, so Balsiger. Diese sollten im Wahlkampf sichtbar werden – beispielsweise auf Smartvote.

Kein Problem in der Haltung des Regierungsrats sieht der Politologe Daniel Bochsler vom Zentrum für Demokratie Aarau. Smartvote stelle teilweise geschlossene Fragen. Für ein Gremium mit Kollegialitätsprinzip sei es daher verständlich, auf die Umfrage zu verzichten.

 

Hilfe im Wahlkampf

Egal, wo man bei dieser Frage steht. Rein wahlkampftaktisch gäbe es gute Gründe, auf Smartvote zu setzen. So fand Politikanalyst Balsiger heraus, dass Smartvote den Kandidierenden tatsächlich einen Vorteil verschaffen kann. Eine Erhebung zu den Kantonalwahlen 2019 in Zürich ergab, dass Smartvote die fünftwichtigste Informationsquelle ist – dies nach Zeitungen, Gesprächen mit Familie und Freunden, TV-Sendungen und Politwerbung.

Wer ein Profil ausfüllt, holt in der Regel mehr Stimmen. Vielleicht sind die sechs Bisherigen, die erneut antreten, jedoch nicht darauf angewiesen.

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