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Titelgeschichte

Die BDP kämpft, Beatrice Simon lacht

Die BDP-Regierungsrätin will vom Berner Rathaus ins Bundeshaus wechseln und kandidiert sowohl für den National- 
als auch für den Ständerat. Beatrice Simon hat gute Chancen, gewählt zu werden. Der Wahlkampf führte sie sogar ins Justistal.

Wahlkampf mit Käse: Beatrice Simon zeigt sich am Chästeilet im Berner Oberland volksnah. Bild: Anne-Camille Vaucher
  • Dossier

Text: Deborah Balmer

Immer am Freitag vor oder nach dem eidgenössischen Buss- und Bettag findet oberhalb von Sigriswil am Thunersee ein äusserst traditioneller Event statt: Beim sogenannten Chästeilet im Justistal kommen die Landwirte und Bergrechtsbesitzer zusammen und teilen den während des Sommers produzierten Käse im Verhältnis der Milchleistung ihrer Kühe auf.

Die Käselaibe werden aus den Speichern geholt, draussen in Reih und Glied auf die Holzladen gelegt und dann mit einem «Brittlein» den Bauern zugelost. Wenn etwas übrig bleibt, wird verhandelt, wer den Laib erhält und wer den Rest auszahlt. Es ist ein uraltes System, das die Bauern da oben im Tal anwenden: Der Brauch ist seit 300 Jahren belegt, vermutlich ist er sogar noch älter (siehe Zweittext Seite 26).

Und es ist faszinierend, beim Chästeilet zuzusehen: Das Ritual zieht jedes Jahr so viele Besucherinnen und Besucher von ausserhalb an, dass die Einheimischen schulterzuckend sagen, sie könnten sich den grossen Andrang eigentlich nicht genau erklären.

Simon (BDP) hat selten Zeit, einfach einen Tag für sich zu geniessen. Am diesjährigen Chästeilet, genau einen Monat vor den National- und Ständeratswahlen, gönnte sie sich aber diesen Luxus mal wieder. «Die Finanzen des Kantons Bern und der Chästeilet haben beide ihr ganz eigenes System; und es gilt bei beidem, etwas ‹auszuchäsen›», wird Beatrice Simon später sagen. Doch eigentlich stehen die Kantonsfinanzen für einmal nicht im Zentrum. «Für mich ist heute Regierungsferienbeginn», sagt sie und lacht ihr fröhliches Lachen, während sie, soeben aus dem Shuttle-Bus ausgestiegen, durchs Justistal in Richtung der Käsespeicher schreitet, wo der «Teilet» gegen Mittag stattfindet.

Es ist noch frisch im Tal, die Sonne mag noch nicht hinunterscheinen. Beatrice Simon trägt eine Outdoor-Jacke als würde sie sich auf eine Wanderung begeben und unterhält sich angeregt mit ihrer Begleiterin, der früheren langjährigen «Telebärn»-Moderatorin Michelle Renaud. Die beiden verstehen sich blendend, was man auch schon in den Medien lesen konnte.

Natürlich hätte sich Regierungsrätin Beatrice Simon an diesem Morgen vom regierungsrätlichen Chauffeur ins Berner Oberland fahren lassen können. Stattdessen setzte sie sich am Hauptbahnhof Bern in den Zug, wo es im Speisewagen beim Kaffee bereits zu ersten Gesprächen mit anderen Zugfahrenden kam. Sie wartete in Thun auf den überfüllten Extrabus nach Sigriswil und stellte sich dann dort geduldig mit allen andern in die Warteschlange, um sich nochmals in einen Shuttle-Bus zu setzen. Im Wahlkampf schadet es nicht, gesehen zu werden.

Ziel: Ins Stöckli einziehen

Beatrice Simon und Michelle Renaud wollen beide in den Nationalrat gewählt werden. Doch das ist nur die halbe Wahrheit:_Für  Simon steht die Wahl in den Ständerat im Vordergrund. Auch wenn sie sagt, sie würde bei einer Wahl auch das Amt als Nationalrätin annehmen, ihr Ziel ist es, ins Stöckli einzuziehen. Gelingt ihr beides, wird jemand anderes in den Nationalrat nachrücken. Genau dafür wurde sie kritisiert: Ihre Nationalratskandidatur sei nur eine Scheinkandidatur, oder eine Täuschung der Wählerinnen und Wähler, hiess es.

Während Beatrice Simon gute Chancen hat, in den Ständerat gewählt zu werden, sagen verschiedene Wahlbarometer nichts Gutes für ihre Partei, die BDP, voraus: Die Mittepartei kämpft gegen weitere Sitzverluste im Nationalrat, die sie bereits an den Wahlen vor vier Jahren hinnehmen musste. Gesamtschweizerisch hält die Partei, die es erst seit zehn Jahren gibt, derzeit im Nationalrat acht Sitze inne, drei davon im Kanton Bern, die man unbedingt halten will. Fünf Sitze braucht es mindestens im Nationalrat, um Fraktionsstärke zu haben (das BT berichtete). Tatsächlich kämpft die Partei also um die Existenz. In mehreren Kantonen ist sie nämlich gar nicht mehr im Parlament zu finden. Und seit sie nicht mehr im Bundesrat vertreten ist, geht es bei der Partei irgendwie auch um die Legitimation.

Bei der 58-jährigen Beatrice Simon ist allerdings keine Verbissenheit zu spüren: Nach wenigen 100 Metern im Justistal unterwegs, bleiben sie und Michelle Renaud bereits bei einem kleinen Grüppchen am Wegrand stehen. Hier wird für die Berner Finanzdirektorin Alpkäse abgeschnitten und gemeinsam aus  Zinnbechern ein Schluck Wein getrunken. Simon wird erkannt, sie reagiert lachend darauf, gibt sich gesprächig und prostet den Leuten zu. Jemand will ein Foto machen? Kein Problem für die Seedorferin. Einmal mehr kann sie hier eine ihrer grossen Stärken so richtig gut ausspielen: Sie ist volksnah und kann hervorragend für sich selber werben.

Hier im Berner Oberland ist eigentlich SVP-Land. Die Partei, von der sich die BDP vor zehn Jahren abgespalten hat. In Sigriswil unten hängen die leuchtroten Geranien an den Holzfassaden und grosse Wahlplakate für den SVP-Ständeratskandidaten Werner Salzmann. Der Gemeindeschreiber von Sigriswil, Anton Haldemann, sagte ein paar Tage zuvor am Telefon: «Beatrice Simon ist herzlich willkommen bei uns, eine VIP-Zone haben wir im Justistal aber nicht, wir behandeln alle gleich.»

Doch Beatrice Simon braucht gar keine VIP-Zone. Ins Justistal gekommen ist sie, wie sie versichert, hauptsächlich aus Freude und weil sie bisher immer nur Fotos des Alpfestes gesehen hat. Sie zitiert den Satz, den Politikerinnen und Politiker immer sagen, wenn sie darauf angesprochen werden, ob sie gerade Wahlkampf betreiben: «Lueget», sagt sie, «nach den Wahlen ist immer auch vor den Wahlen, man kann nicht erst kurz vorher unter die Leute gehen.» Sie mache das das ganze Jahr über: «Weil ich es das gerne tue.»

Dabei wirkt sie mitunter so unkompliziert, dass sich manchmal gar nicht als Berner Finanzdirektorin erkannt wird. So wie vor kurzem im Emmental, als ihr ein Bürger sagte, sie würde dann also schon so richtig «einer von Bern oben» ähneln. Und dem sie sagen musste: «Ich bin es!»

Simon sagt: «In meiner Funktion ist man nie vollständig als Privatperson unterwegs, was aber in Ordnung ist.» Manchmal mache sie ihre Familie – Simon ist verheiratet, zweifache Mutter und frischgebackene Grossmutter – darauf aufmerksam, dass getuschelt werde, wenn sie zusammen unterwegs seien. Dabei mag sie es sogar, wenn sie direkt angesprochen wird.

Das passiert an diesem Tag sehr oft: von Leuten, die einen Zeitungsartikel über sie gelesen haben und ihr das mitteilen, von alten Bekannten, die sich freuen, und von einem Mann, der sich nach einem kurzen Gespräch als «Schmier» outet. «Ou, ganz ein wichtiger Beruf», sagt die Regierungsrätin. Seine Stimme dürfte ihr am 20. Oktober sicher sein.

Wie Hörnli mit Ghacktem

Parteifreundin Michelle Renaud sorgt dafür, dass auch die daheim Gebliebenen mitbekommen, wohin sie ihr Ausflug an diesem Prachtstag führte: «Beatrice, mir si live», sagt sie, das Handy in Richtung der Ständeratskandidatin gerichtet. Auch die Facebook-Community erfährt nun von Simon: «Wie ‹obe use› es hier im Justistal bei der Chästeilet ist.» Je globaler man unterwegs sei, desto mehr Freude habe man doch wieder an solchen heimatlichen Traditionen, ist sie überzeugt.

«So aufregend wie Hörnli mit Ghacktem: unsere Politik.» Die BDP betreibt knapp eine Woche zuvor im Stedtli Aarberg mit einer Standaktion Wahlkampf und verteilt die selbstironischen Flyer, in der «Langweilig, aber gut»-Kampagne. Das Motto der Partei: vernünftige und machbare Lösungen. Die BDP ist pro Energiestrategie 2050, stellt sich hinter das Rahmenabkommen mit der EU und spricht sich für eine Verknüpfung der Altersvorsorge mit der Lebenserwartung aus.

Ständeratskandidatin Beatrice Simon gilt es aber irgendwie losgelöst von der Partei zu betrachten: Zweimal hat sie in den letzten acht Jahren an den Regierungsratswahlen das beste Resultat aller Regierungsrätinnen und Regierungsräte erzielt. Auch dann, als die Partei gleichzeitig massiv an Sitzen einbüsste.

Trotzdem muss sie Wahlkampf betreiben, auch wenn sie das mit einem Strahlen tut. Auch in Aarberg ist sie nahe an den Menschen dran, verteilt die schwarzgelben Flyer und Seeländer Gemüse in kleine Säckchen verpackt. Neben dem Stand steht der kleine Bus mit dem auffallenden Beatrice-Simone-Aufdruck: Damit ist die Partei in den letzten Wochen durch den ganzen Kanton gefahren. Präsenzwahlkampf nennt das der Kantonalpräsident der BDP Jan Gnägi aus Jens.

Herzlichkeit, das sei Simons Markenzeichen, sagt eine Passantin, die eigentlich parteilos ist, aber bei den Wahlen Simons Namen auf den Zettel schreiben will. Wer beim BDP-Stand Halt macht, ist oft ein Sympathisant der Partei, ein Freund oder Angehöriger eines Kandidaten oder einer Kandidatin. Es sind aber auch Leute aus der Region, die Beatrice Simon als «eine von uns» sehen und ihr den Einzug ins Stöckli einfach gönnen würden. Sei es nur, weil sie doch damals so nett grüsste, als man zur gleichen Zeit im Spital Aarberg weilte.

Von der Pike auf gelernt

In der Region ist sie auch deshalb so gut verankert, weil sie das Politisieren hier sozusagen von der Pike auf gelernt hat. Zuerst als Gemeindepräsidentin von Seedorf, später war sie Berner Grossrätin und bei der Gründung der BDP im Kanton Bern dabei. Sie wurde dann erste Präsidentin der BDP des Kantons. Daniel Schmid, Präsident der BDP Seedorf, ist sich sicher: Was damals im Kanton Graubünden Eveline Widmer-Schlumpf war, ist heute im Kanton Bern Beatrice Simon. «Es ist unglaublich, was sie für eine Kraft hat, wie gestählt sie vom jahrelangen Politisieren ist», sagt er am Stand in Aarberg.

Es fällt auf: Gerade noch musste sie während der Septembersession unten durch, weil sie ihren Fonds für Grossinvestitionen im Grossen Rat nicht durchbrachte. Anzumerken ist ihr davon in Aarberg nichts. Auch die Halle für die Wahlfeier in der Seedorfer Mehrzweckhalle – höchstwahrscheinlich kommt es schon nur aufgrund der zahlreichen Kandidaten am 17. November zu einem zweiten Wahlgang – ist von der Ortspartei bereits reserviert worden. Natürlich rein aus organisatorischen Gründen, wie Schmid betont.

Wie stark will sie denn tatsächlich in den Ständerat gewählt werden? Sie sagt, manchmal dauere es etwas länger, bis sie sich wirklich für etwas entscheide. Doch dann setze sie alles daran, es zu erreichen. Im zehnten Jahr ist sie nun Regierungsrätin und sie weiss, was es bedeutet, wenn in Bundesbern Entscheidungen getroffen werden, die dann die Kantone ausbaden müssen.

Als Ständerätin hätte sie die Möglichkeit, zu sagen: «Moment, wir dürfen nicht vergessen, was dieser Entscheid für Auswirkungen hat.» Genau das reizt sie an der Arbeit im Bundeshaus. Und noch etwas: Sparpakete, Steuersenkung für Unternehmen, Sonderkassen – als Regierungsrätin ist Beatrice Simon praktisch sieben Tage und 24 Stunden am Tag im Amt. Als Ständerätin hätte sie wieder mehr Zeit für sich und ihre Familie, wie sie sagt. Auch wenn sie eigentlich immer betonte, sie wolle als Regierungsrätin drei Legislaturen bleiben. Eine Wahl in den Ständerat würde sie unglaublich glücklich machen. Und wenn es nicht klappt? «Auch dann würde es wieder Morgen werden», sagt sie.

Zurück im Justistal: Der Käse ist unterdessen unter den Bauern verteilt. Für die Fotografin stellt sich Beatrice Simon jetzt gerne nochmals gekonnt zwischen die Käsestürme und lacht ihr typisches Lachen. Kurz später verlässt sie zusammen mit Michelle Renaud das Tal: Wie könnte es anders sein? Simon hat einen Kontakt geknüpft und kann mit einem einheimischen Bauern auf dessen Landwirtschaftsvehikel runterfahren. Sie hat also doch noch eine Art Chauffeur gefunden.

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Justistal: So wird der Käse aufgeteilt

Der Chästeilet im Justistal ist der Tag, an dem die Bergrechtsbesitzer und Landwirte ins Tal kommen, um ihren Käse abzuholen. Jeweils gegen Mittag wird er von den Sennern Stück für Stück aus den Speichern gereicht und aufgestapelt. Dabei achten sie darauf, dass älterer und jüngerer Käse gleichmässig verteilt wird. Am Ende entstehen auf den Holzladen vor den Speichern die charakteristischen Käsebeigen, die zwischen fünf und acht Käselaibe hoch sind. Los wird ein solcher Stapel genannt. Die Lose gilt es anschliessend gerecht zu verteilen. Das geschieht, indem sie den Landwirten, die ihre Kühe im Justistal gesömmert haben, zugelost werden: Ein Senn geht mit einem Säckchen durch die Käsereihen und legt ein «Brittlein» hin, also ein Stückchen Holz, das die Anfangsbuchstaben eines Bauern trägt.

Nur selten steht einem Bauern exakt ein Los zu. Die Beteiligten müssen sich also untereinander auf eine gerechte Aufteilung einigen. Wichtig dabei: Der Alpkäse aus dem Justistal, der bis nach Amerika exportiert wird, darf dabei nie zerschnitten werden, sondern die Bauern der Alpgenossenschaften müssen sich gegenseitig auszahlen. Es gibt übrigens auch Seeländer Bauern, die im Justistal ein Bergrecht haben und somit eine Kuh auf die Alp geben. Viele Bauern haben mehrere Bergrechte, können also mehrere Kühe auf der Alp weiden lassen. Über die Milchleistung der Kühe wird genau Buch geführt. 200 Kilo Milch ergeben einen Saum, vier Säume (also 800 Kilo Milch) sind wiederum ein Los.

Schon bevor das Ritual durchgeführt wird, beginnt ein fröhliches Fest mit über 3000 Besucherinnen und Besuchern, an dem überall Käse verkauft und gegessen wird. Über all die Jahre ist der Anlass, an dem das Ende des Alpsommers zelebriert wird, praktisch so urtümlich geblieben, wie er schon vor hunderten Jahren war.

Spontan stellen sich jeweils ein paar Besucher und Senner zusammen, um ein Jodellied anzustimmen. Manchmal spielt ein Schwyzerörgeli, auch das geschieht ungeplant. Auch auf der Website von Schweiz Tourismus wird für den traditionellen Justistaler Käseteilet geworben. Nach dem Chästeilet werden die Kühe mit der höchsten Milchleistung bekränzt und es kommt zum Alpabzug. bal

Stichwörter: Wahlen 19, Béatrice Simon

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