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Wileroltigen

Die Gegner im Wechselbad der Gefühle

Ein Nachmittag des Hoffens, Bangens – und der Enttäuschung. Die Gegner des Transitplatzes für ausländische Fahrende mussten nach anfänglicher Euphorie schliesslich ihre Niederlage hinnehmen. Der Kanton Bern sagt Ja.

Versöhnlicher Ausklang trotz Abstimmungsniederlage: Wileroltigen bedankt sich bei der Berner Bevölkerung. Bild: Iris Andermatt

Stephan Künzi

«Wir lassen den Kopf nicht hängen.» Die aufmunternden Worte, die Armin Mürner Stunden zuvor im Moment seiner Niederlage verloren hat, scheinen ihre Wirkung nicht zu verfehlen.

In Scharen strömen die Wileroltiger beim Eindunkeln zusammen, um den für ihr Dorf so schicksalhaften Sonntag würdig ausklingen zu lassen. Auch wenn der Nachmittag nicht in ihrem Sinn verlaufen ist: Mit einer Ja-Mehrheit von 53,5 Prozent haben sich die Bernerinnen und Berner für den umstrittenen Transitplatz an der Autobahn bei Wileroltigen ausgesprochen.

Immerhin hat die Gemeinde seit je – und auch jetzt wieder mit erdrückenden 91 Prozent Nein an der Urne – klargemacht, dass sie den Platz nicht will. An vorderster Front gegen das 3,3-Millionen-Franken-Projekt zugunsten der ausländischen Fahrenden hat Armin Mürner mit seinem Bürgerkomitee gekämpft.

Wieroltigens Forderungen

Trotzdem gibt es nun Wurst und Brot für alle, dazu Wein aus Flaschen, deren Etiketten bei einem anderen Ausgang der Abstimmung sicher besser gepasst hätten. «Millionen-Transitplatz nein», steht am Rotwein, der gratis an die Anwesenden ausgeschenkt wird.

Doch was solls, ihm jedenfalls gehe es sehr gut, bekräftigt Mürner. Wenn ein Dorf derart zusammenstehe und auch in so einer Situation friedlich feiern könne, dann sei das ein grosser Wert. Die Stimmung ist in der Tat entspannt, auch wenn die Enttäuschung über das Abstimmungsresultat mit Händen zu greifen ist.

Ins Bild passt, was Gemeindepräsident Hinnerk Semke in die Mikrofone der Medienleute sagt: Natürlich sei die knappe Niederlage ärgerlich. Doch nun müsse man schauen, «dass es weitergeht». Für die Gemeinde sei nun vordringlich, dass sie in der geplanten Begleitgruppe für das Projekt Einsitz nehmen könne. Und dass sie das für den Platz nicht benötigte Reserveland an der Autobahn kaufen und so eine spätere Erweiterung verhindern könne.

Stunden zuvor ist für Mürner noch alles offen. Umfragen der «Berner Zeitung», die in der dritten und letzten Runde eine satte Nein-Mehrheit von 57 Prozent vorhergesagt haben, lassen ihn gar auf einen Erfolg hoffen. Ruhig ist Mürner trotzdem nicht: «Ich bin nervöser als bei der Geburt meiner Kinder», sagt er, als er um 12 Uhr ins Auto steigt. In Bern will er gemeinsam mit seinen Leuten und mit jenen von der JSVP im Restaurant Rathaus dem Abstimmungsresultat entgegenfiebern.

Der Jungpartei verdankt er letztlich, dass über das Thema überhaupt abgestimmt wird: Die JSVP hat gegen den vom Grossen Rat beschlossenen 3,3-Millionen-Franken-Kredit erfolgreich das Referendum ergriffen und den Urnengang so erzwungen.

Seeland stimmt dagegen

In der Stadt treffen Mürner und seine Kollegen vom Bürgerkomitee auf der Strasse auf JSVP-Co-Präsident Nils Fiechter und erfahren ein erstes Resultat in ihrem Sinn. Oberwil im Simmental habe die Vorlage mit satten 71 Prozent abgelehnt, sagt Fiechter, der dort Gemeindeverwalter ist. Die Freude bei den Gegnern wird noch grösser als Adrian Spahr, der zweite Co-Präsident, wenig später aus seiner Wohngemeinde Lengnau eine zweite Nein-Mehrheit verkündet. Zumal Lengnau schon halb städtisch geprägt und damit ein Nein-Anteil von 54,5 Prozent keine Selbstverständlichkeit sei.

Die ersten Resultate aus den Verwaltungskreisen treffen im Restaurant Rathaus ein, und in dem Mass, wie Region um Region Nein sagt, werden die Anwesenden immer euphorischer. Dass das Seeland mit 59 Prozent gegen den Transitplatz stimmt, sei «der Oberhammer», entfährt es Spahr – doch so rasch, wie die Freude gekommen ist, so rasch verfliegt sie wieder.

Nochmals Auftrieb

Denn plötzlich wendet sich das Blatt, lassen die immer neuen Resultate den Vorsprung der Gegner auf unter 52 Prozent fallen. «Jetzt könnte es knapp werden», seufzt Spahr wieder etwas leiser. Das Resultat aus dem Emmental gibt den Gegnern zwar nochmals kurz Auftrieb – doch noch fehlt die bevölkerungsstarke Agglomeration Bern mit ihrer grossen rot-grünen Wählerschaft, die dem Transitplatz wohlgesinnt ist.

«Ein trauriger Tag»

Als Spahr um 15 Uhr das Resultat verkündet, sind kaum viele Worte nötig. Einmal mehr sei passiert, was im Kanton Bern zwischen Stadt und Land immer wieder passiere, hebt er an – und für alle in Restaurant Rathaus ist klar: Die Stimmen aus der städtisch geprägten Region Bern haben die knappe Nein- in eine etwas weniger knappe Ja-Mehrheit verwandelt.

«Scheisse», tönt es unüberhörbar von den Tischen, derweil Fiechter betont, man werde als gute Demokraten das Resultat akzeptieren. Gleichzeitig kündigt er an, dem Kanton genau auf die Finger zu schauen, wenn er den Platz baut und betreibt. Spahr wiederum redet vom Stadt-Land-Graben, der sich angesichts der satten Nein-Mehrheiten auf dem Land einmal mehr auftue. Davon auch, dass Wileroltigen nun mit einem Platz leben müsse, den es nicht wolle – «das ist ein trauriger Tag für alle Berner Gemeinden».

Ein «Gmeindli» ganz gross

Natürlich ist auch Bürgerkomiteechef Mürner nicht erfreut. Gleichzeitig hält er aber hörbar stolz fest, «dass wir es als kleines Gmeindli mit 350 Einwohnern sehr weit gebracht haben». Nie hätte er sich träumen lassen, gegen den Kanton so viel ausrichten zu können. Schade nur, dass man auf den letzten Metern noch gestoppt worden sei.

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JSVP will die politischen Folgen diskutieren

Wird der knappe Ausgang des Urnengangs zum Transitplatz für ausländische Fahrende weiter reichende politische Konsequenzen haben? Auszuschliessen ist es nicht, wie Nils Fiechter und Adrian Spahr als Co-Präsidenten der JSVP gestern durchblicken liessen. Man werde im Parteivorstand darüber diskutieren, ob Abstimmungsmechanismen, die eine derartige Dominanz der Stadt über das Land zuliessen, nicht Korrekturen brauchten, kündigten sie an. Ohne bereits genauer zu werden, wie genau diese aussehen könnten.

In der Luft lag ebenfalls die Frage, ob die Jungpartei eine Abstimmungsbeschwerde einreichen wird. Auch das werde man besprechen, führte die beiden Co-Präsidenten aus. Anfangs hatten sie noch erklärt, es sehe «eher nicht danach aus». Später wiesen sie auf Fotos hin, die der Kanton nicht im Abstimmungsbüchlein publizieren wollte. Man werde nochmals prüfen, ob man dieses Verdikt so hinnehme, sagten sie. Die Bilder hätten die gegnerischen Argumente untermalen sollen. skk 

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«Man kann störungsfreien Betrieb nicht garantieren»

Regierungsrätin Evi Allemann sieht nach dem Ja zum Transitplatz den Bund und die anderen Kantone in der Pflicht.

Evi Allemann, die Umfragen sagten ein Nein zum Kredit voraus. Sind Sie vom Abstimmungergebnis überrascht?

Evi Allemann: Ja, ein bisschen schon. Auch ich neige dazu, solche Umfragen ernst zu nehmen. Aber auch dieses Mal hat sich gezeigt, dass man vorsichtig sein muss. Am Schluss zählt nur eine Umfrage, nämlich die am Abstimmungssonntag selbst. Über das heutige Resultat bin ich deshalb sehr erleichtert.

Was gab aus Ihrer Sicht den Ausschlag zu diesem Ja?

Wahrscheinlich war es eine Kombination von mehreren Argumenten, die den Ausschlag gaben. Es wurde sicherlich anerkannt, dass es einen Bedarf für einen solchen Transitplatz gibt. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Situationen, die schwierig waren für die betroffenen Gemeinden und Landeigentümer. Ein geregelter Transitplatz bringt Sicherheit und Entlastung. Zudem ist der Standort ideal. Er liegt direkt an der Autobahn, auf der Transitroute der Fahrenden. Schliesslich nimmt der Kanton Bern damit auch seine Verantwortung für den Minderheitenschutz wahr. Auch das drang in das Bewusstsein der Leute.

Wileroltigen stimmte mit 91 Prozent gegen den Transitplatz. Wie wollen Sie diesen riesigen Vorbehalten entgegenwirken?

Wir müssen damit umgehen, dass die Vorbehalte in Wileroltigen nach wie vor sehr gross sind. Wir können versichern, dass wir die Anliegen der Bevölkerung von Wileroltigen ernst nehmen. Wir werden ihren Anliegen so weit wie möglich entgegenkommen. Der Platz wird gesichert, die Zufahrt soll nur über die Autobahn möglich sein. Es wird eine Begleitgruppe geben, in der die Behörden von Wileroltigen Einsitz haben werden. Im Planungsprozess wollen wir zeigen, dass unsere Zusicherungen auch zählen – und so Vertrauen schaffen.

Können Sie heute bereits einen störungsfreien Betrieb garantieren?

Nein, garantieren kann man das bei einem solchen Projekt nicht. Wir können aber möglichst gute Rahmenbedingungen schaffen, so gut wie möglich planen und die Erfahrungen mit den bestehenden Transitplätzen nutzen. So können wir sicherstellen, dass wir möglichst alles tun für einen störungsfreien Betrieb. Aber wo Menschen sind, ist nicht immer alles zu 100 Prozent berechenbar.

Sie haben im Vorfeld gesagt, dass es bei einem festen Transitplatz im Kanton Bern bleiben wird. Was aber ist, wenn die 36 Plätze nicht ausreichen?

Hier spielt der Bund eine Schlüsselrolle. Wileroltigen ist nur einer von rund zehn Transitplätzen, die schweizweit benötigt werden. Der Kanton Bern kann nicht alleine dafür sorgen, dass genügend Plätze zur Verfügung stehen. Der Kanton Bern leistet mit dem Transitplatz Wileroltigen seinen Beitrag. Einen anderen Standort wird es nicht geben. Jetzt sind auch andere Kantone gefordert. Auf Bundesebene gibt es eine Arbeitsgruppe, welche die Koordination zwischen den Kantonen sicherstellen soll.

Wileroltigen soll 2023 in Betrieb genommen werden. 2020 gibt es noch den provisorischen Platz in Gampelen. Haben Sie eine Gemeinde, die 2021 und 2022 in die Bresche springt?

Nein, zurzeit ist leider noch keine andere Gemeinde in Aussicht. Wir zählen auf die Solidarität der Gemeinden aus dem Raum Seeland, um diese Zeit zu überbrücken. Die positive Aussicht, dass es ab 2023 einen definitiven Platz geben wird, hilft dabei. Vielleicht bringt dies eine gewisse Deblockierung für die weiteren Gespräche.

Dies ist wieder eine Abstimmung, in der die Stadt das Land überstimmt hat. Wäre es in dieser Frage nicht angebracht, die Städte stärker in die Verantwortung zu nehmen?

Der Stadt-Land-Graben war zwar da, aber er ist nicht so tief wie bei anderen Abstimmungen. Es ist auch im ländlichen Raum ein relativ knappes Resultat. Der Berner Jura hat dem Kredit beispielsweise zugestimmt. Realistischerweise muss man Transitplätze dort bauen, wo die Fahrenden durchreisen, und dies ist entlang der Autobahnen. Wileroltigen ist deshalb ideal, weil es dort bereits einen Rastplatz gibt und das Land vom Bundesamt für Strassen für die nächsten 30 Jahre zinslos im Baurecht zur Verfügung gestellt.

Interview: Quentin Schlapbach

 

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