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Berner Nachtleben

Die Partysaison beginnt mit Katerstimmung

Im Oktober fängt für die Berner Clubs die Hochsaison an. Doch schon jetzt herrscht Katerstimmung.Die Betreiber kämpfen um das Vertrauen der Gäste.

Die Party ist hoffentlich nur kurzfristig lahm: Die Stadtberner Clubs stehen vor dem schwierigsten Start der Geschichte. Bild: Franziska Rothenbühler

Claudia Salzmann

110 Konzerte, 60 Partys und 90 Firmenanlässe. Diese Zahlen verzeichnete das Bierhübeli in seinem Rekordjahr 2019. Im Coronajahr 2020 sieht alles diametral anders aus: Dave Naef – er leitet das Bierhübeli seit vier Jahren mit Nando Hepp – hatte Anfang Jahr volle Auftragsbücher. Die meisten Events sagte er ab. «Im Normalfall wäre ich jetzt mit dem Buchen der Bands für den Herbst 2021 beschäftigt. Stattdessen buche ich derzeit erst die Künstler für das Oktoberprogramm dieses Jahres», sagt er. Mit einem einigermassen normalen Nachtleben rechnet er erst im September 2021.

Im Durchschnitt verzeichnete das Bierhübeli in den vergangenen Wochen nur 100 Personen pro Abend. Immerhin läuft der Biergarten «wirklich gut», wie Naef sagt. Auf die speziellen Partys, die sie nach dem Ende des Lockdown veranstalteten, verzichten sie. «Unser Ziel ist es jetzt, dass die Leute wieder Vertrauen fassen und sich wohlfühlen. Ohne sie ist das Bierhübeli eine Hülle ohne Seele», sagt der 47-Jährige.

Die Bierhübeli-Betreiber entscheiden derzeit von Woche zu Woche. Ihr Konzept sieht vor, dass sie ab Oktober 419 Personen sitzend in das Musiklokal einlassen werden. Zudem haben sie ausprobiert, ob sie 600 Gäste stehend in zwei Sektoren einteilen könnten. «Es ginge, aber mit deutlich mehr Personal und Aufwand», so das Fazit von Naef. «Jeder Club muss für sich entscheiden, ob er so arbeiten will. Wir lassen es sein», sagt er.

Angst vor der Quarantäne

Alle Clubs beschreiben den Niedergang des Berner Nachtlebens mit ähnlichen Worten. In den vier Wochen nach dem Ende des Lockdown sei es bombastisch gelaufen. «Dann kam die Schliessung des Clubs Kapitel. Das Team tat mir richtig leid. Dies hätte jedem passieren können», sagt Naef. Er zählt die Schlagzeilen auf, nach denen der Ticketverkauf komplett eingebrochen sei: «Die Quarantäne der Kapitel-Gäste», «Falschmeldungen des BAG» oder «Der Karma-Club mit über 400 Leuten in Quarantäne». «Diese unkritische und ständig negative Berichterstattung der Medien schadet enorm», sagt er.

Trotz all dem wird ab Anfang Oktober die Party-Saison beginnen. Max Reichen von der Bar- und Clubkommission (Buck) sagt: «Uns ist klar, dass mit den steigenden Zahlen keine Lockerungen möglich sind. Falls es zu einer Welle kommt, müssen wir schauen, dass wir die Fehler nicht wiederholen.» Damit meint er beispielsweise eine Polizeistunde um Mitternacht.

«In den kommenden Wochen dürfte zwar wieder mehr los sein, doch die Leute werden wohl noch immer nicht in den Ausgang gehen. Sie haben Angst vor der Quarantäne», sagt er. Seine Forderung ist klar: «Für die gesamte Wirtschaft ist eine Dauer von zehn Tagen schlicht zu lange. Man könnte doch nach fünf Tagen erneut testen und die Quarantäne so verkürzen», fordert er.

Einer, der seinen Club freiwillig geschlossen hat, ist Jan Kamarys vom Le Ciel. Das Le Ciel befindet sich am Bollwerk, in einem Keller, einzig zum Rauchen geht das Partyvolk nach draussen. «Der Grossteil unserer Stammkunden geht derzeit nicht aus, deshalb haben wir zugemacht. Wir wollen keine neuen Stammgäste anziehen», sagt der 37-Jährige. «Die Lust, auszugehen, ist einfach weg. Das Erfassen der QR-Codes und die Listen hinterlassen bei vielen ein negatives Gefühl. Wir alle müssen diese Lust wieder finden», sagt Kamarys.

Um dem Rest seiner Gäste etwas zu bieten, konnte er auf sein Eventlokal Kubus in Bümpliz ausweichen, wo sonst Firmenevents durchgeführt werden. «Das hat eingeschlagen wie eine Bombe», sagt er. Doch von Party könne keine Rede sein, es sei eher ein Lounge-Betrieb mit Musik gewesen. Die Saison im Kubus geht bald zu Ende, nächste Woche findet der Schlussevent statt. Dem Herbst und der damit folgenden Grippesaison blickt er skeptisch entgegen. Die Wiedereröffnung des Le Ciel ist noch nicht absehbar: «Wir beurteilen die Lage wöchentlich», sagt Jan Kamarys.

Druck der Arbeitgeber

Ähnlich ist die Gefühlslage bei Diego Dahinden vom Club Kapitel. «Werden Kurzarbeit für Aushilfen, Kulturförderung und Beiträge für Selbstständige gestrichen, so werden einige Clubs nach dem Winter Konkurs anmelden», prophezeit der Teilhaber des Kapitel am Bollwerk. Über den Coronafall in seinem Club mag er nicht mehr reden. Die Stammgäste halten dem Club die Treue. Doch die spontanen Besucher, die nach Beizen- und Barschluss ans Bollwerk pilgern, bleiben derzeit aus.

Da bringe es wenig, wenn er grosse Künstler aus Deutschland, wo die Clubs geschlossen sind, jetzt günstiger buchen könne. DJs, die vor Tausenden von Leuten spielen, legen nun im kleinen Kapitel auf.

Lässt Dahinden seinen Blick aus dem Fenster schweifen, sieht es dort nicht besser aus: Die Reitschule, das Le Ciel oder der Vorplatz – all diese Orte sind ruhiger und leerer als zu normalen Zeiten. In der Zeit vor Corona befruchteten sich die Clubs gegenseitig und zogen die Leute wie ein Magnet an.

«Viele haben Angst vor der Quarantäne», sagt Kapitel-Betreiber Dahinden plötzlich. Diese Angst werde von zwei Seiten geschürt: Einerseits beobachten die Club-Chefs mit zunehmender Sorge, dass Arbeitgeber Druck auf ihre Angestellten machen, von denen bekannt ist, dass sie clubben. In Zürich sollen Chefs ihren Angestellten verboten haben, ihre Nebenjobs im Nachtleben auszuüben. Diego Dahinden kennt solche Geschichten von vier Fällen in Bern. «Die Vorgesetzten drohen ihnen mit der Kündigung. Oder sie sagen ihnen, dass sie Ferien beziehen müssen oder keinen Lohn erhalten werden», sagt er. Das sei illegal. Zudem habe jeder Arbeitnehmer Anrecht auf Erwerbsersatz.

Katerstimmung

Andererseits würden auch Behörden diese «Ausgeh-Angst» verstärken. Sie haben zwar grünes Licht gegeben, dass die Clubs wieder öffnen dürfen. «Gleichzeitig sagen sie aber: Geht besser nicht hin!», sagt Diego Dahinden. Die Ausgehkultur werde seit jeher verteufelt, meint auch Max Reichen. Eine Lobby hätten die Clubs erst seit ungefähr zehn Jahren. Schon vor der Corona-Krise sei jeder Mensch schräg angeschaut worden, der nach dem Abschluss seines Studiums noch in einen Club gegangen sei.

Stichwörter: Nachtleben, Clubs, Bern

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