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Wahlen 19

Die pragmatische Grüne

Regula Rytz, 57, ist eine fleissige Verhandlerin mit nettem Image, die an der Spitze einer Partei mit fundamentalen Überzeugungen steht. Nun will sie für den Kanton Bern in den Ständerat einziehen.

Bild: Keystone
  • Dossier

Chantal Desbiolles

«Kaffee?», fragt Regula Rytz, öffnet den Schrank, greift nach einem einfachen Espressokocher. Sie steht in ihrer engen Küche, die am Ende des Ganges der Dreizimmerwohnung im Berner Breitenrainquartier liegt. Es ist eine charmante Altbauwohnung mit einfachen, weissen Einbauschränken und Parkettboden. Ohne Schnickschnack, mit Patina. Qualität sei ihr wichtig, erzählt die Bernerin, während sie Wasser einfüllt, den Filter einsetzt und Kaffee in das Sieb löffelt. Bewusster Konsum ebenso. Fleisch isst sie nicht, Auto fahren kann sie nicht. Den Biokaffee hat sie im Quartierladen gekauft. Das Fairtrade-Label verspricht, dass sie einer Familie in Südamerika ein gutes Einkommen garantiert. Während der Kocher, ein jahrzehntealtes Ding, leise röchelnd seinen Dienst tut, schaut sich Rytz um. So, als versuchte sie, ihre Küche durch die Augen ihrer Besucher zu sehen. Ihr Blick streicht über den Wiesenblumenstrauss hinweg, über die Baumnüsse in der Holzschale und das geräumige Buffet. Mehrere Thermoskannen harren hier der nächsten Bergwanderung. Eine Leidenschaft, die Regula Rytz mit ihrem Lebenspartner Michael Jordi verbindet. Die nepalesischen Gewürze, mit denen der Generalsekretär der Gesundheitsdirektorenkonferenz gerne kocht, zeugen von der Zeit, als er am Fusse des Himalaja lebte.

Oberländer Beharrlichkeit

Streichen, merkt Regula Rytz kritisch an, könnte man mal wieder. Aber eigentlich mag sie den Raum genau so: Praktisch müsse eine Küche sein, dem Zweck dienen. Pragmatisch ist ihre Einstellung dazu, auf monströse Gerätschaften kann sie gut verzichten. Diese Eigenschaften schätzt sie auch am Bialetti-Kocher, er lässt sich brauchen und reparieren, schont die natürlichen Ressourcen. Pragmatisch ist ein Begriff, der auch fällt, wenn man Wegbegleiter nach den herausragenden Eigenschaften von Regula Rytz fragt. Als pragmatische Vermittlerin wird sie weit über die Parteigrenzen hinweg geschätzt. Über der Anrichte hängt ein Ölbild des Niesens, eine Referenz an Rytz’ Herkunft. Die Nationalrätin und Präsidentin der Grünen Partei Schweiz ist in Hünibach aufgewachsen. Den imposanten Berg auf der anderen Seite des Thunersees hatte die Familie täglich vor Augen. Mit der Beharrlichkeit einer gebürtigen Oberländerin geht Rytz politisch ihren Weg. Nach Jahren im Schuldienst und der Leitung eines Forschungsprojekts über häusliche Gewalt wurde die studierte Historikerin 2001 zur Zentralsekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes gewählt. Nach elf Jahren im Grossen Rat kam Regula Rytz 2005 in die Exekutive der Stadt Bern. Sie leitete die Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün mit 700 Angestellten. Man erzählt sich, dass sie noch immer alle mit Namen kennt und ihre Ex-Mitarbeitenden sie als Chefin in guter Erinnerung haben.

Fleiss, gepaart mit Talent

Stets höflich und respektvoll vor dem Gegenüber, in der Sache mal bestimmt, mal knallhart: Das ist die skandalfreie Regula Rytz. Sie könne, das attestiert ihr Pedro Lenz seit Jahren, genauso gut zuhören wie reden. Ihren Fleiss paart sie mit politischem Talent. Sie versteht das Politisieren, verzichtet aber weitgehend auf Plattitüden. Ihre Sorge um die Umwelt nimmt man ihr ab. Rytz ist eine leise Schafferin; eine, die Lautstärke nicht nötig hat. Weil die Politikerin kein grosses Aufheben um sich macht. In ihrer Konzentration wirkt sie auch mal unsicher. Aber wenn sie spricht, findet sie Sicherheit in ihren Überzeugungen und ihren Antrieb darin, gute Kompromisse auszuhandeln. In den vergangenen acht Jahren hat sie als Nationalrätin ihr Geschick als Allianzenschmiedin unter Beweis gestellt. Als unaufgeregte Verhandlerin orchestrierte sie den Widerstand gegen den Wegzug des SRF-Radiostudios aus Bern. Als Co-Präsidentin des Vereins «Bern neu gründen» treibt sie seit Jahren die Überzeugung an, dass der Grossraum Bern eine gemeinsame Identität braucht – und die Gemeinden um die Stadt eine gemeinsame Grenze. Als Grüne-Präsidentin steht sie für einen pragmatischen konsens- und dialogorientierten Stil. Das ist umso erstaunlicher, als sie als Idealistin einer Partei mit fundamentalen Überzeugungen vorsteht.

Frau ohne Karriereplanung

«Ich habe nie geplant, wo ich hinwill», stellt Rytz fest. «Oft bin ich auch ins kalte Wasser gesprungen.» Mit 25 Jahren hätte sie sich nicht träumen lassen, je in einem Parlament zu politisieren. Eine Karriereplanung kenne sie nicht. Das gelte auch heute, sagt sie, angesprochen auf die Ambitionen der Grünen, die, den nächsten Wahlerfolg im Oktober in Bern in Aussicht, mit dem CVP-Bundesratssitz liebäugeln. Eine konkrete Absage klingt anders. Rytz käme dafür infrage, genauso wie Alt-Regierungsrat Bernhard Pulver. Seit den letzten eidgenössischen Wahlen surfen die Grünen von Erfolg zu Erfolg. In Genf, der Waadt, Neuenburg, im Wallis und in Zürich, dann in St. Gallen legten sie an Wähleranteilen und Sitzen zu – mehr als alle anderen Parteien. Kommen jetzt zu den elf noch vier bis fünf Sitze im Nationalrat dazu, analysiert Rytz, «wäre die absolute Mehrheit der Bürgerlichen Geschichte». Es ist der Moment, in dem die Begeisterung ihre Stimmlage kurz in die Höhe treibt. «Wir könnten dann endlich eine soziale Klimapolitik durchsetzen.» Eine Politik, die den Grünen Zuwachs beschert. Waren es 2014 rund 7400 neue Mitglieder, hat die Partei in diesem Jahr bereits die 10 000er-Marke geknackt. Die Jungen Grünen verzeichnen heuer bereits doppelt so viele neue Mitglieder.

Die kleine Kammer habe das Bundesparlament vor vielen Sackgassen bewahrt, findet Rytz. Nicht nur deswegen bewirbt sie sich um einen von zwei Berner Ständeratssitzen. «Es wäre ein guter Moment jetzt», stellt sie simpel fest. Nicht nur die Grünen, sondern auch die Frauen will sie da vertreten. Mindestens den frei gewordenen bürgerlichen Sitz müsse eine Frau besetzen. Von ihrem Engagement für die Gleichstellung der Frau zeugt ein Kleber an der Kühlschranktür. «Women on Boards», schwarz auf gelbem Grund. Eine Initiative des weltumspannenden Netzwerks Business Professional Women, dem sie angehört. Seit 2012 ist die Bernerin auch Präsidentin der kantonalen Fachkommission für Gleichstellungsfragen.

Im Tandem mit Stöckli

Um fünf Jahrzehnte zurückversetzt fühlte sich Regula Rytz während ihrer Anfänge im Bundeshaus. «In eine Zeit, in der die Frauen nichts zu sagen hatten», so habe sich das angefühlt. Sicht- und hörbarer geworden sind Parlamentarierinnen seither. Die Frauenbewegung brachte in den letzten Jahren ein erstarktes Selbstverständnis, Rechte einzufordern – und zwei neue Bundesrätinnen.

Man müsse das Gegeneinander überwinden, sagt Rytz. Das gilt auch für die rot-grüne Partnerschaft und die gemeinsame Kampagne mit SP-Ständerat Hans Stöckli, der als Bisheriger im Wahlkampf im Vorteil ist. «Wir haben beide viel Sportsgeist und keine Angst vor Konkurrenz», sagt Rytz. Sie zieht den Vergleich zu einem Olympiateam, dessen Exponenten gemeinsam für ihr Land wie auch für sich selber nach Erfolg streben. In den zweiten Wahlgang wird gehen, wer die besten Wahlchancen hat.

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Regula Rytz' Rezept für den Kanton Bern

Regional, saisonal und nachhaltig, so schmeckt es Regula Rytz am besten. Aber auch Weltoffenheit gehört für die 57-jährige Parlamentarierin zum Kanton Bern. «Wir müssen endlich selbstbewusst unsere Stärken anerkennen», findet sie: Bern sei der grösste Industriekanton der Schweiz, mit viel Innovationspotenzial, gerade im Bereich der grünen Ökonomie. In Bern stehe das grösste Unispital der Schweiz. Wie die Berner Klimaforschung ist es weltweit vernetzt und anerkannt. Pioniergeist sei in der neueren Geschichte des Kantons tief verwurzelt, ist Rytz überzeugt. Sie verweist auf die Universität Bern, die 1870 eine erste Frau zum Studium zuliess. «Berns Weg in die Moderne hatte viel mit Bildung und mit Öffnung zu tun», so Rytz. «Darauf können wir aufbauen.» Nun gelte es, mit progressivem Geist die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren und den sozialen Ausgleich zu stärken. «Dazu braucht es mehr Teamgeist und Austausch über alle Gartenzäune hinweg.» cd

Info: Wir porträtieren die aussichtsreichsten Berner Ständeratskandidatinnen und -kandidaten. Sie wurden zuhause in ihrer Küche fotografiert und formulieren ihr Rezept für den Kanton Bern.

Stichwörter: Wahlen 19, Regula Rytz

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