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Gesundheit

Die Spritze bleibt für viele tabu

Die Grippeimpfung ist beim Personal der Berner Spitäler umstritten. Erst knapp ein Drittel der Spitalangestellten ist gegen die Grippe geimpft. Die Kliniken investieren teilweise viel Geld für eine bessere Quote.

Unbeliebter Piks: Der Grossteil der Berner Spitalangestellten hält die Grippeimpfung für verzichtbar. Bild: Keystone

Philippe Müller

Ja, der Druck sei in der Branche teilweise durchaus spürbar. Der Druck, sich als Angestellte oder Angestellter eines Spitals eine Spritze in den Arm jagen zu lassen, die Grippeimpfstoff erhält. Das sagt eine Pharmaassistentin der Hirslanden-Gruppe in Bern, die regelmässig Patientenkontakt hat. In einem Sitzungszimmer einer Berner Klinik erinnert sie sich an das Gebaren eines Spitals, bei dem sie vor ein paar Jahren angestellt war. «Dort wurde jener Teil des Personals, der geimpft war, mit einem roten Button am Veston gekennzeichnet. Dadurch fühlten wir Ungeimpfte uns immer angeprangert», sagt die 40-Jährige, die sich noch mehr kontroverse Diskussionen ersparen und deshalb anonym bleiben will. «Das ist dort heute immer noch so. Und ich kenne Mitarbeitende, die sich nur geimpft haben, um diesem Druck zu entkommen.» Es handle sich dabei um ein ausserkantonales Spital, das nicht zu Hirslanden gehöre. In ihrer aktuellen Arbeitsumgebung sei die Grippeimpfung ebenfalls Dauerthema. «Allerdings wird hier meine Haltung akzeptiert.»

Und warum stemmt sie sich standhaft gegen die Grippeimpfung? Das sei eine Glaubensfrage, sagt sie. «Es gibt bis heute keine Studie, die wirklich beweist, dass die Impfung wirksam ist.» Zudem halte sie die Diskussion um die Grippe für falsch. «Am Ende ist es doch so, dass die Pharmakonzerne mit den Impfstoffen viel Geld verdienen wollen.» Sie selber halte sich lieber an die Hygienevorschriften von Hirslanden: richtiges und häufiges Händewaschen, dazu ein Mundschutz bei Erkältung. «Damit senkt man das Ansteckungsrisiko schon erheblich.»

Hirslanden will 35 Prozent
Die Pharmaassistentin ist in guter Gesellschaft. Obwohl die Spitäler mit aufwendigen und teuren Sensibilisierungskampagnen schon fast verzweifelt versuchen, ihr Personal von der Grippeimpfung zu überzeugen, wächst die Durchimpfungsrate nur zaghaft. Aktuell sind rund 32 Prozent der Spitalangestellten im Kanton Bern geimpft, wobei in fünf von sechs untersuchten Spitalgruppen die Quote deutlich unter dem kantonalen Mittel lag. Das hat eine Umfrage bei den grossen Berner Spitalgruppen ergeben (siehe Tabelle). In den meisten Spitälern ist der Wert leicht höher als in den vergangenen Jahren, es ist aber ein Wachstum auf tiefem Niveau.

Einen beachtlichen Schritt nach vorne machte in den letzten Wochen die Hirslanden-Gruppe. Schweizweit konnte sie schon Anfang Dezember die durchschnittliche Durchimpfungsquote der ganzen letzten Saison übertreffen. 22,9 Prozent aller Hirslanden-Angestellten liessen sich nun gegen die Grippe impfen, in der letzten Grippesaison waren es 18,6 Prozent gewesen. Auch die drei Stadtberner Hirslanden-Kliniken – Beau-Site, Salem und Permanence – legten zu. Nur das vierte Hirslanden-Spital im Kanton Bern liegt noch hinter den Vorjahreswerten zurück: in der Klinik Linde in Biel liessen sich erst knapp 12 Prozent der Angestellten piksen.

Für die spürbare Steigerung der Impfquote zahlte Hirslanden jedoch buchstäblich einen hohen Preis: Rund 15 000 Franken investierte die Gruppe schweizweit diese Saison in eine interne Impfkampagne, die Kosten für den Impfstoff ausgenommen. Und die Investitionen dürften sich in den nächsten Jahren wiederholen. Denn Hirslanden hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt, in all ihren Kliniken beim Personal eine Durchimpfungsrate von mindestens 35 Prozent zu erreichen. «Wir haben einen sehr hohen Anspruch an die Patientensicherheit, der mit tiefen Impfraten des medizinischen Personals nur schwer vereinbar ist», erklärt die Hirslanden-Medienstelle die hohe Zielvorgabe. Die anderen Berner Spitäler haben sich keine konkrete Prozentzahl als Zielvorgabe vorgenommen, streben aber insgesamt eine höhere Durchimpfung an.

Deutlicher Spitzenreiter im Kanton Bern ist die Insel-Gruppe, und zwar in absoluten und relativen Zahlen: Schätzungsweise 4400 Angestellte oder 41 Prozent haben sich dieses Jahr gegen die Grippe impfen lassen. Die genauen Erhebungen liegen noch nicht vor. 2010 lag die Rate noch bei 26 Prozent. Mit regelmässigen Informationsveranstaltungen versucht die Gruppe, die Quote weiter zu steigern. «Wir legen ein besonderes Augenmerk darauf, dass möglichst keine Ansteckungen im Spital stattfinden», hält die Insel-Gruppe fest.

Wo der Kanton Bern mit einer durchschnittlichen Grippeimpfrate von 32 Prozent beim Spitalpersonal schweizweit liegt, lässt sich nicht seriös ableiten, weil das Bundesamt für Gesundheit über keine solche Erhebung verfügt. Es ist aber davon auszugehen, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Spitalgruppen, die in Bern zu beobachten sind, auch in den anderen Kantonen auftreten. Die gleiche Annahme gilt für die unterschiedlich hohen Impfraten unter den Berufsgruppen. So halten mehrere Berner Spitäler fest, dass sich Ärztinnen und Ärzte zuweilen deutlich häufiger gegen Grippe impfen lassen als das Pflegepersonal.

Zurück im Hirslanden-Sitzungszimmer in Bern. Dort sitzt nicht nur eine Impfgegnerin, sondern auch eine Teamleiterin, die sich seit siebzehn Jahren gegen die Grippe impfen lässt. «Ich bin oft mit Patientinnen und Patienten in Kontakt. Da ist es für mich Ehrensache, dass ich die Ansteckungsgefahr so tief wie möglich halte und mich impfen lasse.» Sie sei seither nie mehr an Grippe erkrankt, vorher aber schon. «Ich habe mit der Impfung so gute Erfahrungen gemacht, dass ich nun dabei bleibe.» Knapp 70 Prozent der Berner Spitalangestellten teilen diese Einstellung noch nicht.

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