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Maskenpflicht

«Die zweite Welle könnte ziemlich hoch sein»

SVP-Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg fordert eine kantonale Maskenpflicht im ÖV. Auch in anderen Bereichen 
kann er sich eine solche vorstellen. Sein Amt arbeitet daran, das Contact-Tracing nach Versäumnissen weiter zu verbessern.

Regierungsrat Pierre Alain Schnegg (SVP) will noch vor den Sommerferien einen Entscheid zur Masken-Frage im ÖV. Symbolbild: Keystone
  • Dossier

Interview: Marius Aschwanden

Pierre Alain Schnegg, tragen Sie eine Maske, wenn Sie mit dem öffentlichen Verkehr unterwegs sind?

Pierre Alain Schnegg: Ich benutze fast nie den ÖV. Wenn ich nach Bern oder zurück nach Champoz fahre, sitze ich allein in meinem Auto. Würde ich aber Bahn oder Bus benutzen, würde ich auch eine Maske tragen.

Damit wären Sie in der 
Minderheit. Nach wie vor verzichtet der Bundesrat auf eine Maskenpflicht im ÖV. Am Mittwoch beantragen Sie nun gemäss «Blick» eine solche für den Kanton Bern. Weshalb dieses Vorpreschen?

Das ist kein Vorpreschen. An der Sitzung mit Bundesrat Alain Berset vom Montag wurde klar kommuniziert, dass die Kantone den Lead haben. Bern ist dabei in einer speziellen Situation mit seiner Lage zwischen der Romandie und der Deutschschweiz. Zudem haben wir viele ÖV-Verbindungen. Wir müssen unsere Verantwortung jetzt wahrnehmen und nicht erst nach den Sommerferien handeln, wenn die Zahlen wieder zu hoch sind, als dass eine Maskenpflicht noch etwas bringen würde. Ich hoffe, dass der Regierungsrat noch diese Woche entscheiden wird.

Wie soll das in der Praxis funktionieren – ich steige in Bern mit Maske in den Zug ein, und kurz nach der Kantonsgrenze ziehe ich sie wieder aus?

Nein. Ich habe verschiedene Rückmeldungen von Regierungskolleginnen und -kollegen aus anderen Kantonen erhalten, die ebenfalls eine Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr anstreben. Wenn einige nun vorangehen – insbesondere solche mit einer grossen Bevölkerung und einer grossen Fläche –, wird das helfen, damit alle die gleiche Richtung einschlagen. Klar, es ist ein Eingriff in die Freiheit der Bevölkerung. Ich mache das nicht sehr gerne. Auf der anderen Seite ist es ein kleinerer Eingriff als ein neuer Lockdown in zwei Monaten.

Wäre es nicht sinnvoller, wenn eine Maskenpflicht im ÖV 
bereits viel früher durch den Bund beschlossen worden wäre?

Wir werden jeden Tag ein bisschen klüger, was diese Pandemie angeht. Ich bin nicht sicher, ob die Bevölkerung einen solchen Schritt vor vier Wochen verstanden hätte. Mit dem jetzigen Anstieg der Fälle könnte die Akzeptanz höher sein. Ich glaube jedenfalls, dass es der richtige Moment ist. Auch weil in den Sommerferien viele Leute reisen werden, einige gehen zudem ins Ausland und besuchen Risiko gebiete.

Auch in Berner Regionalgefängnissen gilt jetzt eine Maskenpflicht. Was kommt nach dem öffentlichen Verkehr?

Wenn die Zahlen weiter steigen, könnte im öffentlichen Raum, etwa in Einkaufszentren, Kinos oder Konzertsälen eine Maskenpflicht ebenfalls Thema werden. Wir haben aber noch keine entsprechenden Pläne.

Masken allein dürften nicht reichen, um eine zweite Welle zu verhindern. Viele Menschen kümmern sich allgemein nicht mehr gross um 
Abstands- oder Hygieneregeln. Woher kommt diese neue Sorglosigkeit?

Auch ich fühle mich weniger bedroht vom Coronavirus als noch vor zwei oder drei Monaten. Das ist vollkommen normal. Die Anzahl Fälle ist stark gesunken, und die Leute denken, der Kanton Bern sei kaum noch betroffen. Entsprechend verhalten sie sich auch sorgloser. Das Virus ist aber nach wie vor da. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir die Bevölkerung immer wieder daran erinnern. Das tun wir jetzt.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie Bilder von illegalen Partys oder vollen Strandpromenaden sehen?

Ich verstehe, dass die Leute gerne wieder draussen sein und die Jungen Feste feiern wollen. Das ist menschlich. Was aber an der illegalen Party auf der Schützenmatte geschehen ist, geht nicht. Dort wurde eine rote Linie überschritten. Ich will niemanden verurteilen, es ist hart für alle. Aber auch die Partygänger müssen begreifen, dass ein zweiter Lockdown für die Schweiz verheerend wäre. Wir alle müssen uns bemühen, die Regeln einzuhalten.

Mit was für einem Szenario rechnen Sie in den kommenden Wochen?

Wenn die Bevölkerung wieder versteht, dass die Situation noch immer ernst ist, und sich an die Regeln hält, dann wird unser Gesundheitswesen in keine Schwierigkeiten geraten. Wenn es aber so weitergeht wie momentan, dann kommt die zweite Welle garantiert und sie könnte ziemlich hoch sein.

Wie wollen Sie neben der Maskenpflicht verhindern, dass die Fallzahlen im Kanton Bern wieder exponentiell zunehmen?

Wir haben sehr viel in das Contact-Tracing investiert. Mittlerweile kümmert sich ein grosses Team fast Tag und Nacht um die Rückverfolgung von Kontakten. Zudem haben wir eine neue digitale Plattform in Betrieb genommen, welche die Mitarbeiter im Tracing unterstützt. Das alles wird uns helfen, die Infektionsketten zu durchbrechen. Zudem haben wir genügend Testkapazitäten, Schutzmaterial und Spitalbetten.

Ab wie vielen Fällen pro Tag kommt das Contact-Tracing-Team an seine Grenzen?

Ab 50 bis 100 Fällen wird es hart, ein gutes Contact-Tracing aufrechtzuerhalten. Doch schon vorher ist wichtig, dass sich die Leute auch an die von uns verordneten Quarantäne- oder Isolationsmassnahmen halten. Ich weiss von einem Fall im Kanton Bern, wo eine Person nach vier Tagen in Isolation bereits wieder ein Fest besucht hat. Wo bleibt da die Verantwortung gegenüber den Mitmenschen?

In einem Zürcher Club, wo sich verschiedene Personen angesteckt haben, gaben auch viele Besucher falsche Kontaktdaten an ...

Das darf einfach nicht sein. Denn die Grundlage für das Contact-Tracing sind gute Daten. Jeder kann krank werden und jemand anderes anstecken. Das setzt nicht einmal ein Fehlverhalten voraus. Wichtig ist einfach, dass wir dann auf die involvierten Personen zugreifen können.

Wie stellen Sie das sicher?

Die einzige Möglichkeit dafür ist eine Art Identitätspflicht. Wenn jemand in eine Disco, Bar oder einen Club gehen will, muss er sich ausweisen. Sollte ein Fall wie in Zürich auch in Bern auftreten – und das wird er bestimmt –, können wir dann sofort handeln.

Sie wollen eine solche Pflicht einführen?

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es in diese Richtung gehen wird.

Und was geschieht, wenn sich im Freibad oder an einer illegalen Party Dutzende Personen anstecken und die Situation im Kanton wieder ausser Kontrolle gerät?

Dann werden wir wieder härtere Massnahmen treffen müssen.

Also einen kantonalen Lockdown?

Ich hoffe es nicht. Aber womöglich regional begrenzte Lockdowns.

Voraussetzung dafür ist, dass der Kanton solche Hotspots erkennt. Kürzlich wurde jedoch bekannt, dass es im Mai in Langnau in einem Schlachtbetrieb zu mehreren Corona-Ansteckungen kam. Der Kanton wusste offenbar nichts davon. Wie kann das sein?

Wir erhalten keine Angaben zu den Arbeitgebern der positiv getesteten Fälle. Ich bin aber einverstanden mit Ihnen, dass man uns den Vorwurf machen kann, die Situation in Langnau nicht genauer abgeklärt zu haben.

Wie verhindern Sie solche 
Versäumnisse künftig?

Mit dem nun etablierten Contact-Tracing erfahren unsere Leute auch den Arbeitsort. Treten an einem Ort mehrere Fälle auf, würden wir das bemerken. Eine Meldepflicht für Firmen gibt es allerdings nicht. Ich zweifle auch daran, dass die Unternehmen in jedem Fall wissen, ob ein kranker Mitarbeiter tatsächlich das Coronavirus hat.

Generell scheinen die Schutzkonzepte in diversen Branchen nicht mehr sehr ernst genommen zu werden. Die Kantone sind dafür verantwortlich, dass diese eingehalten werden. Werden Sie künftig Kontrollen durchführen?

Ja, wir werden stärker durchgreifen müssen. Wenn man sich nicht an die Konzepte hält, gibt es eine Mahnung. Im schlimmsten Fall schliessen wir die fehlbaren Betriebe.

Wo stecken sich die Leute momentan im Kanton Bern an?

Es gibt verschiedenste Konstellationen. Manche haben sich im Ausland angesteckt, andere bei der Arbeit, und bei manchen finden wir die Quelle gar nicht. Aus einem anderen Kanton weiss ich, dass sie den Ursprung nur in 20 Prozent der Fälle herausfinden. Umso wichtiger ist es, dass wir wenigstens die Übertragungsketten unterbrechen können.

Was raten Sie Risikopersonen, wie sollen sie sich verhalten?

Sie sollen die Hygienemassnahmen wie Masketragen und Händedesinfizieren konsequent umsetzen. Zudem sollten sie sehr belebte und dicht gedrängte Orte meiden. Ich glaube aber nicht, dass ein 80-Jähriger wirklich ein Opfer erbringen muss, wenn er nicht an der Party auf der Schützenmatte teilnehmen kann. Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass auch Risikopersonen ihr Sozialleben wieder zum Laufen bringen.

Jetzt stehen die Sommerferien vor der Tür. Verreisen Sie?

Nein, ich gehe nicht ins Ausland. Ich bewege mich zwischen Champoz, Bern und dem Wallis. Ich hoffe auf ein paar freie Tage und ein paar Stunden mehr Schlaf. Aber das kommt auf die Entwicklung an.

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