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BLS

Ein Strafverfahren droht

Das Berner ÖV-Unternehmen BLS hat gut 70 Millionen Franken zu viel von Bund und Kantonen einkassiert. Und wegen der Coronakrise brechen die Einnahmen ein.
Wie geht es mit der kriselnden BLS weiter? Antworten auf acht drängende Fragen.

Im Zuge der Coronakrise schrumpfen die Einnahmen der BLS drastisch. Bild: Adriann Moser

Julian Witschi

1 Ist die BLS-Affäre einfach mit dem Rücktritt von Konzernchef Bernard Guillelmon erledigt?

Nein, es laufen Untersuchungen des Bundesamts für Verkehr (BAV) und der Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Grossen Rats. Das BAV prüft, ob es eine Strafanzeige gegen die Verantwortlichen einreichen soll. Zu der Strafanzeige kommt es, wenn sich «der Verdacht und die Anzeichen» erhärten sollten, dass absichtlich Erlöse aus dem Libero-Tarifverbund nicht eingerechnet wurden. Zur Aufklärung dieser entscheidenden Frage fordert das BAV vom Verwaltungsrat der BLS die Herausgabe des internen Berichts, den das Prüfunternehmen PWC erstellt hat. Die bernische GPK trifft sich diese Woche zu einer Sitzung, hüllt sich aber noch in Schweigen.

2 Muss die BLS-Führung die Boni, die sie in den letzten Jahren erhalten hat, zurückzahlen?

Darüber wird gestritten. BLS-Chef Bernard Guillelmon betont, relevant für die Boni seien nicht vorab Gewinnzahlen, sondern vor allem qualitative Werte gewesen. Der bernische Verkehrsdirektor Christoph Neuhaus hat aber bereits gefordert, dass Boni zurückgezahlt werden müssten, wenn diese wegen zu hoher Abgeltungen der öffentlichen Hand zu hoch gewesen wären. BLS-Spitzenverdiener Bernard Guillelmon hat in den letzten Jahren jeweils rund 550 000 Franken erhalten. Davon waren je gut
100 000 Franken Bonus.

3 Muss die BLS die zu viel bezogenen Steuergelder zurückzahlen?

Voraussichtlich ja. Die BLS hat mit dem Bund und den Kantonen vereinbart, die rund 40 Millionen Franken zurückzuzahlen, welche sie durch den Fehler bei den Libero-Erlösen seit 2011 zu viel an Steuergeldern für den Regionalverkehr erhalten hat. Das BAV hat diese Rückzahlung vom Unternehmen allerdings sistiert, um zuerst die Verantwortlichkeiten abzuklären. Bislang hat die BLS-Spitze stets betont, niemand habe sich bereichert.

Aufgegleist ist die Rückzahlung in einem zweiten Fall: Die BLS hatte zu hohe Zinskosten in Aussicht gestellt und so in früheren Jahren 29 Millionen Franken zu viel an Subventionen zugesprochen erhalten. Bis 2021 soll dieses Geld in jährlichen Tranchen rückvergütet werden.

Umstritten ist die Rückzahlung in einigen weiteren Fällen, welche die Eidgenössische Finanzkontrolle publik gemacht hat. Es geht insgesamt um einen Betrag in einstelliger Millionenhöhe. Die BLS bestreitet dabei, dass Gewinne generell unzulässig sind, wenn sie zum Beispiel konzernintern Räume an den subventionierten Regionalverkehr vermietet oder Bahnersatzbusse anbietet. Das könnte in einem Gerichtsfall enden. Die ungerechtfertigten Abgeltungen will die BLS aber zurückzahlen.

4 Warum wurde jahrelang nichts bemerkt?

Die BLS bezeichnet die Finanzierung des Regionalverkehrs als höchst komplex. Für die Finanzkontrolle dagegen sind die Planungsgrundlagen und das Rechnungswesen des ÖV-Unternehmens nur «stark eingeschränkt transparent und nachvollziehbar». In der Tat hat die BLS in den Geschäftsberichten nur ganz am Rande aufgeführt, welche Ergebnisse die subventionierten Geschäftsbereiche erzielt haben. Im Rahmen eines mittelfristig ausgeglichenen Ergebnisses pendelte das Resultat im Regionalen Personenverkehr denn auch jahrelang zwischen minus und plus
5 Millionen Franken.

Im Jahr 2018 gab es aber einen unerwartet hohen Überschuss von gut 19 Millionen Franken. Nach eigenen Angaben hakte die Verkehrsdirektion des Kantons Bern mehrmals nach, bis der Fehler bei den Libero-Erlösen gefunden wurde. Inzwischen wurde publik, dass die BLS-Führung von diesem Fehler schon im Frühling 2017 wusste. Das BAV betont, nach der Postautoaffäre werde vermehrt geprüft, ob die Subventionen korrekt verwendet werden. So hat sich im anderen grossen Fall bei der Berechnung der Zinskosten herausgestellt, dass diese markant höher als die tatsächliche Entwicklung war.

5 Wie schlecht steht es um die Finanzen der BLS?

Die Einnahmen schrumpfen. Für die Rückzahlung der zu hohen Subventionen kann die BLS zwar auf Reserven zurückgreifen. Zudem läuft schon länger ein Sparprogramm. Aber die Coronakrise wirft auch hier die Pläne über den Haufen. Die Passagierzahlen sind im Lockdown um 60 Prozent eingebrochen und erholen sich bislang nur teilweise. Im Juni hatte die BLS für 2020 allein im Regionalverkehr einen Verlust von ungefähr 40 Millionen Franken angekündigt. Genauere Zahlen nennt sie nicht. Anders als noch bis 2018 publiziert das Unternehmen keine Halbjahreszahlen mehr. Zum Vergleich: Die SBB melden für das Halbjahr 2020 einen happigen Verlust von 479 Millionen Franken. Der Bundesrat hat angekündigt, er wolle dem öffentlichen Verkehr und den Güterbahnen mit einem Notpaket von 700 Millionen Franken zu Hilfe eilen.

6 Welche Rolle spielt der Kanton Bern?

Der Kanton spielt bei der BLS eine entscheidende Rolle, er befindet sich aber in einem Zielkonflikt: Er ist einerseits Mehrheitsaktionär und mit einem Sitz im Verwaltungsrat vertreten. Andererseits deckt er die Defizite im Regionalen Personenverkehr. Pikant ist, dass der Verwaltungsrat der Geschäftsleitung ein Gewinnziel von 25 bis 30 Millionen Franken vorgegeben hat, wie kürzlich bekannt wurde. Wie das im nicht-subventionierten Bereich erzielt werden soll, ist fraglich. Denn dieser bestand bislang hauptsächlich aus dem Schiffs- und dem Güterverkehr, die beide wenig Gewinn abwerfen respektive gar immer mal wieder rote Zahlen schreiben. Verwaltungsratspräsident Rudolf Stämpfli hat einen sofortigen Rücktritt abgelehnt. Er will das Gremium an der Generalversammlung im nächsten Frühling verlassen, wenn er wegen der Alterslimite eh zurücktreten müsste. Der Kanton Bern wird derzeit im Verwaltungsrat von Alt-Grossratspräsident Bernhard Antener vertreten. Er hatte 2018 die frühere Regierungsrätin Barbara Egger abgelöst. Sie will sich zum laufenden Verfahren nicht äussern.

7 Was haben die Gewinne im Regionalverkehr der BLS gebracht?

Gängige Auffassung ist, dass im regionalen Personenverkehr keine Gewinne zulässig sind, weil hier die öffentliche Hand die Defizite deckt. Doch das ist falsch. Ein Drittel der über Plan liegenden Überschüsse kann laut Gesetz in die freien Reserven gebucht werden. Das hat die BLS 2018 gemacht. Der Rest der Überschüsse gehört in eine gebundene Spezialreserve, die aber gesetzlich auf 12 Millionen Franken limitiert ist.

8 Wie sieht die Bilanz des abtretenden BLS-Chefs Guillelmon aus?

Durchzogen. Die BLS ist zwar effizienter geworden, hat sich im Güterverkehr als kleine Konkurrentin der SBB etablieren können und ist zurück im Fernverkehr, wo die Bahnen auf eigene Rechnung gewinnorientiert fahren können. Es lief aber einiges schief, auch neben der Subventionsaffäre: So musste das Projekt für eine neue Software zur Einsatzplanung abgebrochen und ein Abschreiber von 20 Millionen Franken vorgenommen werden. Der Leiter Informatik wurde ersetzt.

Auch die Billett-App Lezzgo der BLS wird verschwinden, nachdem sich das Konkurrenzangebot Fairtiq eines Berner Jungunternehmens im Markt durchgesetzt hat. In der Schifffahrt auf Thuner- und Brienzersee ist eine weitere Sparrunde angelaufen. Und im Fernverkehr ist es mit den zugesprochenen Linien (von Bern nach Biel, Neuenburg und Burgdorf-Olten) fraglich, ob Gewinne erzielt werden können. Mit der angestrebten Expansion auf die Lötschberg-Achse und nach Zürich-Flughafen ist Guillelmon gescheitert.

Stichwörter: BLS, öV, Finanzen

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