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Freiberufliche Pflegende

Ein Viertel des Verdiensts auf der Kippe

In der ambulanten Pflege sollen sämtliche Zusatzentschädigungen gestrichen werden. Das trifft jene am härtesten, die in den letzten Monaten einen schwierigen Job hatten.

Zusatzentschädigungen in vier Bereichen sollen gestrichen werden, die Fahrspesen gekürzt: Pflegefachpersonen, die Klienten daheim besuchen, fürchten um einen Teil ihres Lohns. Bild: Keystone

Chantal Desbiolles

Vergessen ist der Beifall für ihren unermüdlichen Einsatz während des Lockdown – er macht sich grundsätzlich für Pflegefachleute nicht bezahlt. Mehr noch, im Kanton Bern muss nun ein Teil von ihnen um die Existenz kämpfen: Jene freiberuflichen Pflegerinnen und Pfleger, die sich um Patientinnen und Patienten bei denen zuhause kümmern.

Um zu sparen und den Grundsatz «ambulant vor stationär» zu verstärken, haben die Leistungserbringer der spitalexternen Pflege den Auftrag erhalten, ihre Angebote auszubauen. Dabei geht es um die Bereiche Wundbehandlungen, Kinderspitex, Palliative Care und psychosoziale Spitex. Als Zückerchen bot der Kanton dafür zusätzliche Entschädigungen, verlangte im Gegenzug von den Pflegenden aber auch Nachweise für ihre Spezialisierung. Beides will die Gesundheitsdirektion unter der Ägide von Pierre Alain Schnegg (SVP) nun auf das nächste Jahr hin fallen lassen.

Für die freiberuflichen Pflegefachpersonen, die bei Klienten daheim Wunden, Kinder, Sterbende oder psychisch Erkrankte versorgen, bedeutet das eine massive Lohneinbusse. Pro Stunde erhalten sie 24.55 Franken weniger für dieselbe Arbeit – die Höhe der Stundenabgeltung insgesamt variiert je nach Dienstleistung. Dazu soll auch die Abgeltung für den Weg pauschal auf 3.50 Franken festgesetzt werden – unabhängig davon, wie lang die Anfahrt ist.

Konkret heisse das, dass sie für denselben Lohn mehr Klienten annehmen müsse, sagt Susanne Welten, die in der Region Bern als Selbstständige ambulante psychiatrische Pflege anbietet. «Das kann ich mir persönlich nicht vorstellen, weil ich mich am oberen Limit bewege», sagt sie. 16 Personen betreut sie aktuell, der Aufwand ist höchst unterschiedlich. Das sei anspruchsvoll. Just die Coronapandemie und insbesondere der Lockdown haben ihr und ihren Kolleginnen sehr viel abverlangt. Mit Menschen zu arbeiten, alleine in deren Wohnung, die in einer Krise steckten: Das alleine sei sehr herausfordernd und belastend. «Viele von uns sind am Limit», stellt Welten fest.

Frustrierende Bilanz

Mit der Gesundheitsdirektion verhandelt hat unter anderem Esther Gerber, Vertreterin der Berner Sektion des Berufsverbands für das Pflegepersonal (SBK). Sie war es auch, welche den freiberuflichen Pflegenden die schlechte Nachricht überbracht hat. «Das ist frustrierend für uns», stellt sie fest. Zumal auch in den Verhandlungen die Pflegequalität der Freiberuflichen, von denen viele einen sehr grossen Wissensrucksack hätten, nicht gewürdigt worden sei.

Je nach Leistung, die sie als Wundversorgerin erbringt, beträgt ihre persönliche Lohneinbusse zwischen 20 und 23 Prozent. Auch andere haben gerechnet und kommen ebenfalls auf fast ein Viertel ihres Einkommens.

Unter ihnen auch die frühere SP-Grossrätin Bettina Joder Stüdle, seit zehn Jahren freiberuflich tätig: Nach 40 Jahren in ihrem Beruf als Psychiatrie-Pflegefachfrau arbeite sie doch nicht für 52 Franken pro Stunde im Vollkostentarif, wenn der Kantonsbeitrag wegfalle. «Man kann nicht Klatschen und von Wertschätzung sprechen und dann die Leistungen dermassen kürzen», enerviert sich die Steffisburgerin.

Hoffen auf das Parlament

Fest steht, dass weder Welten noch Gerber, noch Joder die Absicht des Kantons einfach so hinnehmen wollen. Briefe an die Adresse des Gesundheitsvorstehers Schnegg, an die Grossrätinnen und Grossräte sind vorbereitet. Auch ein Besuch der Novembersession des Kantonsparlaments haben die Freiberuflerinnen vor. Gerber spricht von einem «Hoffnungsschimmer», denn die Politik hat ihre Nöte erkannt. Eine überparteiliche Motion, angeregt von Spitex-Kantonalpräsidentin Ursula Zybach (SP, Spiez), will Gegensteuer geben. Betroffen sind nämlich auch die Spitex-Organisationen.

Der Vorstoss verlangt, dass die Spezialleistungen von Kinderspitex, onkologischer/palliativer Pflege, Wundexpertise und psychiatrischer Pflege weiterhin entgolten, und auch Wegzeiten und Transportspesen der spitalexternen Leistungen sollen gemäss Aufwand fair entschädigt werden. Gleichzeitig soll der Kanton verpflichtet werde, Verträge auf längere Dauer einzurichten.

Auch die jetzige Ausgangslage mit der drohenden Schlechterstellung geht übrigens auf einen SP-Vorstoss zurück: Unter der Federführung von Elisabeth Striffeler-Mürset (Münsingen) wurde damals verlangt, die Kantonsbeiträge für Freiberufliche zu streichen. Dies mit der Begründung, dass dabei Fehlanreize entstünden: Gewinnorientierte Anbieter und selbstständige Fachpersonen erhielten dieselben Abgeltungen wie die öffentliche Spitex (mit Ausnahme der Vergütung der Versorgungspflicht), ohne dabei Auflagen zum Leistungsspektrum erfüllen zu müssen.

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