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Berner Corona-Forscher

«Einen Impfstoff gibt es bereits»

Volker Thiel und Jörg Jores von der Uni Bern erforschen das Coronavirus seit vier Wochen. Sie glauben,dass solche Epidemien in Zukunft zunehmen werden.

Volker Thiel (links) und Jörg Jores forschen gemeinsam am Coronavirus. Bild: Franziska Rothenbühler
  • Dossier

Interview: Quentin Schlapbach

Herr Jores, Herr Thiel, waschen Sie sich in diesen Tagen auch öfter die Hände als üblich?

Volker Thiel: Ein bisschen schon… (beide lachen)

Volker Thiel: Ach, wir haben uns eigentlich immer schon die Hände gewaschen.

Jörg Jores: Als Mikrobiologen sind wir ja auch dazu aufgefordert. Wir müssen unseren Leuten gegenüber vorleben, sich ständig die Hände zu waschen und zu desinfizieren. Das gehört zu unserer Praxis.

Volker Thiel: Aber wenn ichs nie machen würde, dann würde ich spätestens jetzt damit anfangen.

Das Coronavirus beeinflusst ja nicht nur unsere Hygiene-praxis, sondern auch unseren Alltag, unser Freizeitverhalten. Was macht dieses Virus so speziell?

Volker Thiel: Es hat sich in kurzer Zeit weltweit verbreitet. Das ist der Unterschied, beispielsweise zu Sars, Mers oder Ebola.

Wieso verbreitet es sich denn schneller als diese Viren?

Jörg Jores: Der rasant zunehmende Handel und Verkehr mit China trug sicherlich viel dazu bei. Bei Mers gab es 2012 beispielsweise fast nur Fälle in Saudiarabien. Es gibt bestimmt nicht so viele Schweizer, die regelmässig nach Saudi-arabien reisen. Die wirtschaftliche Anbindung an China hingegen ist viel stärker. Es kommen auch viele Touristen aus China nach Europa. Allgemein sorgt der zunehmende Verkehr dafür, dass sich solche Viren viel schneller verbreiten können als früher.

Volker Thiel: Der andere Faktor ist, dass das Coronavirus sich lokal besser von Mensch zu Mensch übertragen lässt als die genannten Viren.

Wieso reagieren die Menschen so unterschiedlich auf dieses Virus?

Volker Thiel: Das würden wir gerne selber wissen. Aktuell zeigt sich, dass die Älteren und vor allem jene mit Vorerkrankungen am stärksten gefährdet sind.

Jörg Jores: Dass die Menschen so unterschiedlich reagieren, ist auch normal. Es gibt bei jedem Infektionserreger unterschiedliche Empfänglichkeiten, etwa auch bei der normalen Grippe. Einige mit dem Coronavirus infizierte Menschen gehen nicht zum Arzt, weil sie kaum Symptome haben. So können sie wiederum andere anstecken. Wenn Sie sich hingegen mit Ebola infizieren, dann geht es Ihnen wirklich schlecht.

Sie haben das Coronavirus seit dem 6. Februar in Ihrem Labor in Mittelhäusern. Was sind die ersten Erkenntnisse, die Sie gesammelt haben?

Volker Thiel: Als Erstes haben wir erforscht, wie das Virus funktioniert und wie es sich vermehrt. Das ist bei jedem Virus anders und nahm etwa zwei Wochen in Anspruch. Uns gelang es dann, synthetische Klone des Virus zu erstellen, was ein Durchbruch war. Jetzt sind wir daran, erste Studien zu machen. Wir schauen beispielsweise, wie sich das Virus auf Lungenepithelzellen vermehrt und was die Unterschiede zum verwandten Sars-Virus sind.

Zielt die Forschung nur darauf ab, so schnell wie möglich einen Impfstoff zu finden?

Volker Thiel: Nein, das geht aktuell noch in alle Richtungen. Prinzipiell zielt die Forschung darauf ab, das Virus zu verstehen. Auf diesem Verständnis fusst dann alles Weitere, etwa, welches Medikament oder welcher Impfstoff funktionieren würde.

Jörg Jores: Generell arbeiten wir schon darauf hin und würden uns auch freuen, wenn es bald einen Impfstoff gäbe. Wir wollen das Virus aber derzeit von allen verschiedenen Seiten beleuchten. Für die Produktion eines Impfstoffs müssten dann auch bestimmte Gelder fliessen. Das geht meist nicht von heute auf morgen.

Man hört aber, die Forschung sei schon ziemlich weit gediehen. Wann wird es einen Impfstoff gegen das 
Coronavirus geben?

Volker Thiel: Einen Impfstoff gibt es jetzt bereits, allerdings nur auf experimenteller Basis. Bis er am Menschen verwendet werden kann, dauert es sicher noch ein Jahr, vielleicht auch länger.

Jörg Jores: Die Zulassungsperiode – in der Medizinforschung spricht man vom «Tal des Todes» – dauert oft sehr lange und ist auch kostenintensiv. Da muss man jetzt durch.

Volker Thiel: Ich könnte Ihnen theoretisch jetzt schon den Wirkstoff in den Arm spritzen. Aber es wäre dann noch nicht geprüft, ob er unbedenklich ist, ob er Schaden anrichtet und ob er überhaupt wie gewünscht wirkt. Diese Prüfungen sind vorgeschrieben und dauern sehr lange. Sie stellen aber sicher, dass ein Impfstoff sicher ist und wirkt.

Wird die Welt dereinst von Mittelhäusern aus vom Coronavirus gerettet werden?

(beide lachen)

Jörg Jores: Das wäre schön. Und ich denke schon, dass die Schweizer Forschungslandschaft dereinst einen Anteil daran haben wird.

Volker Thiel: Jeder hat halt so seine Spezialität. Mit den synthetischen Klonen haben wir sicher schon ein Stück weit dazu beitragen können, dereinst einen Wirkstoff zu finden. Wir können aber sicher nicht alles machen. Wir arbeiten in einem weltweiten Netzwerk, das derzeit rund um die Uhr am Forschen ist.

In diesen Tagen hätte in Bern ein Virenforschungskongress stattfinden sollen, der nun auch abgesagt werden musste. Wie haben Ihre Kollegen im Ausland reagiert?

Volker Thiel: Sehr positiv, die Kollegen zeigten vollstes Verständnis. Wir haben uns Ende letzter Woche entschieden, den Kongress abzusagen. Wir haben 130 Besucher aus 25 Ländern erwartet, darunter auch ausn dem Iran und China, zwei Ländern, die derzeit besonders stark betroffen sind. Es hätte aber wahrscheinlich sowieso rund die Hälfte abgesagt. Eine Rumpfveranstaltung machte für uns keinen Sinn.

Es gibt ja aktuell die Diskussion, ob die Massnahmen des Bundes übertrieben, angemessen oder gar zu wenig sind. Wie sehen Sie das?

Jörg Jores: Im Englischen sagt man «better safe than sorry» – Vorsicht ist besser als Nachsicht. Ich finde es schon angemessen, was das Bundesamt für Gesundheit entschieden hat. Wir wissen momentan über die Epidemiologie des Virus einfach noch viel zu wenig. Deshalb ist es wichtig, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Wir stehen erst am Anfang.

Gehen Sie davon aus, dass sich solche weltweiten Viren-Epidemien in Zukunft häufen werden?

Volker Thiel: Gefühlt wird es sicher zunehmen. Das hat auch mit der Medienlandschaft zu tun. Durch die heutige Vernetzung wird uns schlicht viel mehr bekannt werden als noch vor einigen Jahren. Auch werden wir mit grosser Wahrscheinlichkeit in Kontakt mit Viren kommen, die wir bis jetzt noch nie gesehen haben. Menschen dringen heute in Bereiche ein, wo Wildtiere zu Hause sind, die noch nie Kontakt mit uns hatten. Wir wissen, dass diese Tiere alle mögliche Viren haben, auch solche, die den Menschen infizieren können. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich auch der Mensch damit ansteckt.

Jörg Jores: Es entstehen ständig neue Krankheiten. Derzeit steht ein Virus vor den Toren Deutschlands, die Afrikanische Schweinepest. Diese tötet fast alle der infizierten Tiere und bedroht auch die Schweine in der Schweiz. Solche Krankheiten zeigen, wie aktuell und gefährlich Infektionserreger sein können und wie wichtig es ist, diese Erreger genau zu erforschen und zu verstehen.

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Zu den Personen

Volker Thiel ist Leiter der Abteilung Virologie an der Universität Bern. Er ist spezialisiert auf die Erforschung von Coronaviren.

Jörg Jores ist Leiter des Instituts für Veterinärbakteriologie an der Uni Bern. Seine Forschung dreht sich vor allem um die Entwicklung von Impfstoffen und diagnostischen Tests für infektiöse Tierkrankheiten.

Der Virologe Thiel und der Bakteriologe Jores arbeiten seit Jahren zusammen. Auch bei den aktuellen Forschungsarbeiten war ein gemeinsames Projekt entscheidend.

Jores’ Institut stellte die Plattform zur Verfügung, mit der Thiel nun die synthetischen Klone des Coronavirus bauen konnte.  qsc

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