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Moutier

«Es wird nicht alles rosig werden»

Der bernische Gesundheits- und Fürsorgedirektor Pierre Alain Schnegg (SVP) ist enttäuscht von Moutiers Entscheidung, zum Kanton Jura zu wechseln. Er spricht über das knappe Resultat, zu grosse Erwartungen und die Zeit bis zur definitiven Grenzverschiebung.

Kommt bald der Kater? In Moutier wurde der Kantonswechsel die ganze Nacht lang gefeiert, wie hier auf dem Platz vor dem Rathaus. Nun beginnt die Zeit der Verhandlungen. Bild: Keystone
  • Dossier

Interview:Deborah Balmer

Pierre Alain Schnegg, Moutier hat sich nun also entschieden und wird jurassisch. Der Ausgang der Abstimmung war äusserst knapp. Das ist doch für beide Seiten unerfreulich.
Pierre Alain Schnegg: Das sehe ich auch so. Wenn man bedenkt, dass der Grosse Gemeinderat in Moutier 60 Prozent Autonomisten zählt, zeigt das Resultat doch: Offenbar waren auch viele von ihnen nicht überzeugt von der Grenzverschiebung. Diese Tatsache ist auch ein Teil der Enttäuschung.

Der Ausgang der Abstimmung verdeutlicht auch, dass Moutier eine geteilte Stadt ist.
Absolut. Fast die Hälfte der Bevölkerung wollte den Kanton nicht wechseln. Es wird für den Kanton Jura eine grosse Herausforderung sein, dieser Minderheit Zukunftsperspektiven aufzuzeigen und zu schauen, dass sie sich gut im neuen Kanton einleben kann.

Wird man von den beiden Komitees mit Abstimmungsbeschwerden rechnen müssen?
Das kann ich nicht sagen. Das Resultat ist knapp und es gibt Beschwerden, die im Voraus deponiert wurden. Am Sonntag konnte man hie und da hören, dass einige Leute ihr Abstimmungsmaterial verkauft haben sollen. Ich kann das aber nicht beurteilen. Für mich zählt das Resultat. Wenn andere Personen andere Informationen haben, gibt es Wege, etwas zu unternehmen.

Das Pro-Komitee Moutier Ville Jurasienne führte mit Herzblut eine teure Kampagne. Auch Jugendliche wurden von der Aufbruchsstimmung angesteckt. Man fühle sich dem frankophonen Kanton Jura näher als dem Kanton Bern, hiess es. Der Kanton Bern hingegen sagte nicht viel mehr als: Alles ist gut, wie es ist. Das war nun offensichtlich zu wenig.
Die bernische Regierung wollte keine Versprechen machen, die sie nicht halten kann, sonder hat aufgezeigt, was der Kanton für Moutier tut. Auf der anderen Seite hingegen wurde ziemlich viel versprochen. Wie viel sich davon wirklich realisieren lässt, werden wir in den nächsten Jahren sehen. Die Pro-Jurassier haben im Parlament etwa 60 Prozent inne. In dieser sehr wichtigen Abstimmung sagten aber nur 51,7 Prozent Ja zum Wechsel. Das heisst:Die Pro-Berner haben es also geschafft, viele Autonomisten dazu zu bringen, Nein zu stimmen. Das zeigt: Die Überzeugung war nicht unbedingt da. Auch wenn die Mittel nicht die gleichen waren, am Ende war das Resultat knapp.

Welche Versprechen tönen Sie an?
Vonseiten des Kantons Jura wurde im Abstimmungskampf wirklich sehr viel versprochen. Ich setze da einige Fragezeichen, ob sich das alles erfüllen lässt. Ich vermute, dass die Zukunft etwas weniger rosig aussehen wird, als man sich das vorstellt.

Ein Beispiel, bitte.
Wenn ich höre, dass der Spitalstandort Moutier im Kanton Jura viel besser sein wird als im Kanton Bern, dann ist das ein Versprechen, das von jemandem kommt, der das Spitalwesen nicht kennt.

Am 17. September werden die beiden kleinen Gemeinden Sorvilier und Belprahon ebenfalls über die Jura-Frage abstimmen. Ihre Prognose?
In beiden Gemeinden wird es ebenfalls knappe Resultate geben. Das war bereits im November 2013 so. Es ist nun wichtig, dass wir den Einwohnern erklären, dass im Kanton Bern gute Bedingungen herrschen und dass sie unserem Kanton vertrauen können.

Glauben Sie, dass dann Frieden einkehren wird?
Es gibt ein gemeinsam unterzeichnetes Abkommen zwischen dem Kanton Bern, dem Kanton Jura und dem Bund, das festhält, dass die Jura-Frage nun abgeschlossen ist.Diese Übereinkunft gilt. Das Thema ist nicht mehr aufgreifbar.

Trotzdem: Es gibt Stimmen, die am liebsten den ganzen Berner Jura im Kanton Jura sehen würden. Inklusive La Neuveville.
Das ist der Traum der Jura-Kämpfer. Nun ist es die Pflicht der jurassischen Regierung und des Bundes, ein klares Zeichen zu setzen: Die Jura-Frage ist nun abgeschlossen.

Was bedeutet das Resultat für die Pro-Bernische Bevölkerung? Sie gehört nun zu einer Minderheit in Moutier.
Die jurassische Regierung steht nun unter grossem Druck, denn sie hat viel versprochen, das sie nun eingehalten muss. Das wird nun auch für den Kanton Jura eine harte Zeit. Es ist wichtig, dass die berntreue Minderheit auch in Gespräche einbezogen wird und ihre Rolle erhält.

Müssen die verbleibenden Gemeinden im Berner Jura nun Angst haben, dass sie an Wichtigkeit verlieren?
Der Regierungsrat will, dass die französischsprachige Minderheit im Kanton Bern einen guten Status hat. Klar, das Resultat ist eine grosse Enttäuschung für alle Pro-Berner. Wenn nun die Querelen um die Kantonszugehörigkeit wegfallen, besteht nun auch die Möglichkeit, dass der Berner Jura mit einer einzigen Stimme spricht und in Zukunft einig ist. Das wird helfen, um Entwicklungen und Projekte zu steuern. Ziel ist es, bessere Verbindungen zur zweisprachigen Stadt Biel aufzubauen.

Was meinen Sie?
Ich bin froh, gibt es die Expertenkommission Zweisprachigkeit, die der Bieler Ständerat Hans Stöckli präsidiert. Sie analysiert, wie man die Minderheit besser unterstützen kann. Es kann auch um Projekte im Wirtschaftssektor gehen: In Zukunft müssen Verbände aus dem Berner Jura und aus Biel mehr miteinander ins Gespräch kommen, Projekte entwickeln, die für beide Regionen wichtig sind.

Man muss den frankophonen Bernern nun also zeigen, dass sie zum Kanton gehören?
Absolut. Es ist wichtig, weil diese Minderheit eine sehr wichtige Rolle spielt. Nicht nur für unsere Region, sondern für den gesamten Kanton. Vergessen wir nicht: Bern ist ein Brückenkanton zwischen der Deutschschweiz und der Romandie. Die Rolle dieser Minderheit ist also für die ganze Schweiz äusserst wichtig.

Kann die Jura-Frage als Beispiel gewertet werden, wie Konflikte durch einen demokratischen Prozess langsam aber erfolgreich gelöst werden?
Ich bin froh sein, dass der ganze Prozess ohne Gewalt abgelaufen ist. Klar, es fielen ab und zu von der einen oder anderen Seite harte Worte. Aber es blieb immer auf einer guten Basis. Darauf können wir stolz sein. Wir haben eine mustergültige Vorgehensweise definiert, die auch anderen Regionen auf der Welt dazu dienen könnte, territoriale Konflikte friedlich zu regeln.

Was sind nun die wichtigsten Schritte, bis Moutier den Kanton wechselt?
Wir werden Entscheidungen treffen müssen, die die Verwaltung betrifft. Uns überlegen, wie sich die bestehenden Institutionen weiterentwickeln und stärker werden können. Ich denke da beispielsweise an das Spital Moutier, wo mit Sicherheit eine engere Kooperation stattfinden muss. Und wir werden den Vertrag für den Wechsel von Moutier in den Kanton Jura aufsetzen müssen.

Wann wird Moutier frühestens zum Kanton Jura gehören?
Das wird noch ein paar Jahre dauern. Zuerst müssen wir uns auf ein Konkordat einigen. Wenn das besteht, müssen beide Kantone darüber abstimmen. Wenn beide zugestimmt haben, muss sowohl der National- und der Ständerat den Wechsel gutheissen. Es wird keine einfache Zeit werden. Denn in solchen Perioden fehlt es an Gewissheit, es gibt viele Aspekte, die unsicher sind. Man weiss, dass die Wirtschaft das nicht schätzt.

Wer zahlt das alles?
Beide Kantone müssen viel Geld in die ganze Sache investieren. Ebenso wird die Stadt Moutier zahlen müssen. Diese Mittel könnten eigentlich viel besser genutzt werden. Gerade in Zeiten wie heute.

Sie sind Bernjurassier, in Moutier geboren. Wie fühlen Sie sich einen Tag nach dem Entscheid ihrer Geburtsstadt?
Ich bin noch immer sehr enttäuscht, das ist klar. Ich mache mir Sorgen um die Menschen, die von den organisatorischen Veränderungen betroffen sein werden. Man muss aber auch die Chance sehen, dass der Berner Jura nun geeinter an die Öffentlichkeit treten kann. So könnte auch eine gute, dynamische Sache entstehen. Wir dürfen also auch die positiven Aspekte nicht vergessen.

Kommentare

Biennensis

Kaum zu glauben: Viele Pro-Jurassier aus Moutier zahlen lieber höhere Kantonssteuern, damit sie auf ihrer Steuerrechnung ein Jura-Wappen aus Délemont sehen und "bestaunen" können.


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