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Energie

In Europa spricht vieles gegen Schiefergas

Morgen und am Donnerstag findet auf dem Bundesplatz in Bern das Schweizer Energie- und Kli- maforum statt. Einer der Refe- renten, der Energieexperte Steffen Bukold, äussert sich im Interview skeptisch zu den Chancen der Förderung von Schiefergas in Europa.

Umstritten: Die neue Technologie Fracking zur Förderung von Schiefergas stösst in Europa auf Widerstand. Mitte August kam es in der Region West Sussex in England zu Protesten. Bild: Keystone

Interview: Stefan Schnyder

Wird Schiefergas für Europa zu einem Segen, oder ist die neue Fördermethode Fracking eher ein Fluch, wie Gegner sagen?
Steffen Bukold: In den USA stammen heute tatsächlich 40 Prozent des geförderten Erdgases aus Schiefergestein. Allerdings muss man die Darstellung in den Medien etwas relativieren: Die USA haben schon immer über 80 Prozent ihres Gasbedarfs aus eigenen Quellen gedeckt. Heute sind es 100 Prozent. Im Gegensatz dazu gibt es bis heute in Europa keine nennenswerte Förderung von Schiefergas. Frankreich oder Bulgarien lehnen das Fracking von Schiefergas rundweg ab, Grossbritannien oder die Ukraine wollen es hingegen versuchen.

Wieso hat Fracking in Europa einen schweren Stand?
Zum einen sind die Vorkommen in Europa bedeutend kleiner und schwerer zugänglich als in den USA, soweit man das heute beurteilen kann. Zum andern ist die Förderung hier mindestens doppelt so teuer. Und schliesslich wäre die Förderung von Schiefergas ein grösseres umweltpolitisches Problem als in den USA, nicht zuletzt wegen der höheren Bevölkerungsdichte. Zudem sind in Europa die Vorschriften strenger als in den USA.

Warum ist die Förderung teurer als in den USA?
Das fängt schon bei der Baustelle an, die in Deutschland oder in der Schweiz ganz anders gesichert werden muss als in den USA, wenn man mit gefährlichen Chemikalien hantiert. Auch befindet sich ein grosser Teil der Vorkommen in den USA in traditionellen Ölregionen. Die Infrastruktur, wie zum Beispiel Pipelines, ist schon vorhanden. Dann sind die Löhne gerade in den sehr ländlichen amerikanischen Regionen viel niedriger als etwa in der Schweiz. Hinzu kommt, dass die USA bezüglich der Branchenstruktur eine bessere Ausgangslage haben.

Wieso?
In den USA gibt es eine sehr grosse Zahl erfahrener und flexibler Unternehmen in der Öl- und Gasbranche. Sie sind in der Lage, Tausende von Bohrungen in relativ kurzer Zeit durchzuführen, wie sie bei der Schiefergasförderung notwendig sind. Kein anderes Land der Welt hat diese günstigen Bedingungen.

Ist es denn überhaupt realistisch, dass in der Schweiz und Deutschland Schiefergas gefördert wird?
Im Moment ist schwer vorstellbar, dass es auch hier zu massenhaften Bohrungen und grossen Fördermengen kommt. Denkbar sind jedoch weitere Erkundungsbohrungen und vereinzelte Fördertests. Allein in Deutschland wären etwa 4000 Förderanlagen nötig, nur um 10 Prozent des Gasbedarfs zu decken.

Warum die Zurückhaltung?
Zum einen scheuen Unternehmen und Behörden in Westeuropa die politischen Auseinandersetzungen auf lokaler und nationaler Ebene. Zum andern wissen die Firmen nicht so richtig, wie sich die Gaspreise in Europa entwickeln werden. Kommerziell interessant dürfte die Förderung von Schiefergas nur dort sein, wo die Infrastruktur schon besteht oder wo die geologischen Bedingungen besonders günstig sind.

Was bedeutet dies für die Gasverbraucher?
Für die Verbraucher ist es unerheblich, ob Schiefergas gefördert wird oder nicht: Alle bisherigen Untersuchungen gehen davon aus, dass die Förderung von Schiefergas in Europa die Verbraucherpreise nicht senken kann. Dies vor allem auch, weil die weltweit neu entdeckten Gasvorkommen immer noch grösser sind als der Verbrauch. Die Reserven steigen also. Allerdings: In Westeuropa schwinden die Gasreserven, sodass wir schon bald zu 80 Prozent von Gasimporten abhängig sein werden.

Die Schweiz hat sich für den Atomausstieg entschieden. Um die Lücke zu schliessen, ist auch der Bau von Gaskraftwerken ein Thema. Was halten Sie davon?
Die beste Energiepolitik ist und bleibt der Pfad der Energieeinsparung und der höheren Energieeffizienz. Gerade in der Wärmeversorgung gibt es noch enorme Potenziale. Auch die Möglichkeiten der erneuerbaren Energien sind noch nicht ausgeschöpft, ebenso wenig wie die Möglichkeiten, durch intelligente Vernetzungen das Angebot und die Nachfrage im Stromsektor aufeinander abzustimmen. Bleibt dann noch eine Lücke, dann sind flexible Gaskraftwerke sicher eine bessere Lösung als Kohle- oder Atomstrom.

Gelingt so die Energiewende?
Eine Energiewende wird im 21. Jahrhundert ohnehin kommen, entweder weil Öl und Erdgas knapp werden, oder weil es klimapolitisch notwendig wird. Die Frage ist, ob wir diese Wende rechtzeitig gestalten wollen, oder ob wir die Probleme passiv auf uns zukommen lassen. Ich denke, wir stehen erst am Anfang einer langen Kette von Innovationen in der Energieversorgung. Staaten, die diese Innovationen frühzeitig fördern, werden dann auch die grössten Arbeitsplatz- und Exportchancen haben.



Energieforum auf dem Bundesplatz
Morgen Mittwoch und am Donnerstag findet in Bern der Swiss Energy and Climate Summit statt. In einem Zelt auf dem Bundesplatz diskutieren Experten und Politiker über die Themen Klima und Energie. Für die Organisation sind die Veranstalter des Swiss Economic Forum zuständig. Am Mittwoch wird der US-Bestsellerautor und «New York Times»-Kolumnist Thomas Friedman auftreten. Zudem wird die BKW-Chefin Suzanne Thoma mit Jürg Buri, dem Leiter der atomkritischen Energiestiftung, eine Debatte über die Prioritäten der Energiewirtschaft führen. Der Ab- schlusshöhepunkt ist übermor- gen der Auftritt des Eistauchers Paul Nicklen.

Die Debatten und Vorträge werden auf einem Bildschirm auf dem Bundesplatz übertragen. Ein weiterer Programmpunkt sind zwei Filmvorführun- gen auf dem Bundesplatz. Am Mittwochabend wird um 18:30 Uhr der Dokumentarfilm «Chasing Ice» und um 20:00 Uhr der Film «Trashed» mit Jeremy Irons gezeigt. Die Vorführungen sind öffentlich und gratis. Die Internetadresse der Veranstaltung lautet www.swissecs.ch.

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