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Pflege

Ex-Pflegefachleute werden aufgeboten

Weil medizinisches Personal knapp wird, bieten manche Kantone jetzt Berufsaussteiger auf. Regeln zur Arbeitszeit sind bereits ausser Kraft gesetzt.

Symbolbild Keystone
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Christine G. betreibt seit zwei Jahren ein Lebensmittelgeschäft mit Café im Zürcher Unterland. Das Café ist jetzt geschlossen, dafür ist die Nachfrage nach Lebensmitteln gestiegen. Gut möglich, dass Christine G. bald in ihren erlernten Beruf als Pflegefachfrau zurückkehren muss. Eine Gesetzesänderung, die der Zürcher Regierungsrat letzten Mittwoch beschlossen hat, erlaubt es, ausgebildetes Pflegepersonal aufzubieten. Wer einen Beruf im Gesundheitswesen erlernt hat, aber nicht mehr darin arbeitet, kann zum Wiedereinstieg verpflichtet werden.

Selbstverständlich werde sie helfen, wenn es nötig sei, sagt Christine G. Die Mutter eines Kindes hat den Pflegeberuf vor zwei Jahren aufgegeben – aufgrund der Arbeitslast, des tiefen Lohns und der mangelnden Vereinbarkeit mit der Familie.

Zürich ist nicht der einzige Kanton, der händeringend nach Gesundheitspersonal sucht. Der Bündner Regierungsrat hat am Freitag beschlossen, ehemaliges Pflegepersonal zum Wiedereinstieg zu verpflichten. In einem ersten Schritt müssen sich alle, die entsprechend ausgebildet sind, nicht mehr im Beruf arbeiten und keiner Risikogruppe angehören, auf der Website des Kantons registrieren.

Der Kanton Freiburg wiederum hat per Verordnung zwei Privatkliniken beschlagnahmt. Die Clinique Générale wird geschlossen, deren 40 Pflegefachpersonen kommen ins Kantonsspital. Gleichzeitig werden die Geburtenabteilung und die Chirurgie vom Kantonsspital ins Privatspital Daler transferiert. Auf diese Weise wird die Zahl der Intensivbetten im Kantonsspital von 12 auf 50 erhöht.

Andere Kantone setzen auf Freiwilligkeit. Zum Beispiel 
St. Gallen, wo das Gesundheitsdepartement am Mittwoch einen Aufruf lanciert hat. Mit Erfolg: Bis zum Wochenende haben sich bereits 500 Personen gemeldet.

Die Episoden zeigen: Die Sorge, dass zu wenig Personal da sein wird, um die Pandemie zu bewältigen, ist gross. Antje Heise von der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin ist überzeugt davon, dass nicht die Betten und Beatmungsmaschinen das Problem sein werden, sondern vielmehr der Personalmangel. Intensivpfleger absolvieren nach dem Pflegefachdiplom eine zweijährige Zusatzausbildung, in der sie lernen, mit Patienten in Lebensgefahr umzugehen – etwa nach einem Unfall oder wenn jemand künstlich beatmet werden muss. «Das lernt man nicht in zwei Wochen», sagt Antje Heise.

Auch der Bundesrat hat auf den drohenden Personalnotstand reagiert und Bestimmungen zu Arbeitszeiten und Ruhepausen für Ärzte und Pflegepersonal vorübergehend ausser Kraft gesetzt, was Gewerkschaften heftig kritisieren. Tatsache ist: Die Berufsaustrittsquote des Pflegepersonals beträgt 46 Prozent. Fast die Hälfte der Ausgebildeten wechseln den Beruf.

Auch Ex-Pflegefachfrau Christine G. sagt, Applaus für Angestellte im Gesundheitswesen sei gut und recht. Doch die Anerkennung müsse sich auch in der Praxis niederschlagen. «Wenn diese Krise vorbei ist, müssen wir nachhaltige Veränderungen in unserem Gesundheitswesen vornehmen.» Claudia Blumer

Stichwörter: Coronavirus, COVID-19, Pflege

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