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Moutier

Feierlaune und Frustration im Jurastädtchen

In den Stammlokalen der Proberner und der Separatisten gingen die Emotionen gestern hoch – oder in den Keller. Im Alltag desJurastädtchens aber spürte man wenig vom Entscheid des Berner Verwaltungsgerichts, Moutiers Wechsel zum Kanton Jura zu annullieren.

Bild: Keystone
  • Dossier

Annic Berset und
 Stefan von Bergen

Nach der Schule schlendern am Donnerstagmittag Oberstufenschüler am Rathaus von Moutier vorbei, dem Zentrum der unruhigen Politik im gespaltenen Jurastädtchen. Erstaunt blicken sie um sich, beäugen die stationierten Fahrzeuge von Radio und Fernsehen, die aufgebauten Kameras, die emsigen Journalisten und Reporter, die sich auf dem Platz versammelt haben. «Was ist da los?», fragt ein Schüler. «Da war wieder was zwischen Moutier und den Kantonen Jura und Bern», antwortet die Kameradin. «Ach so», sagt der Junge. Er zuckt mit den Schultern. «Kommt, ich hab Hunger.»

Aus den offenen Fenstern in Moutiers Altstadt ertönt das Geklapper von Besteck. Nein, die Einwohner lassen sich vom Entscheid des Berner Verwaltungsgerichts nicht aus ihrer mittäglichen Routine reissen. Dieses hat am Morgen bestätigt: Die Gemeindeabstimmung vom 18. Juni 2017, bei dem sich eine knappe separatistische Mehrheit für einen Wechsel zum Kanton Jura entschieden hatte, bleibt wegen Unsauberkeiten annulliert, Moutier somit im Kanton Bern.

 

Wortkarge Verlierer

In den Stammlokalen und den Blasen der beiden zerstrittenen Politlager aber sind die Freude und die Frustration vor den Kameras der Medien gross. Im Hôtel de la Gare, dem separatistischen Stammlokal von Moutier, geht am frühen Morgen nur scheinbar alles seinen gewohnten Gang. Fleissig schenkt die Wirtin den Gästen, die sich schon früh auf die sonnige Terrasse gesetzt haben, Kaffee aus. Die zusammenstehenden Grüppchen aber reden über das Wetter und die Einkäufe, um nicht über die Niederlage sprechen zu müssen, die die Abstimmungssieger vom 18. Juni 2017 vor Gericht erlitten haben (siehe Zweittext). «Tant pis» – gleichbedeutend mit dem Berndeutschen «Jänu» –, sagt ein älterer Herr.

Der sonst eloquente Valentin Zuber, Sprecher des lokalen separatistischen Komitees Moutier Ville Jurassienne, bleibt wortkarg: Er sei nicht überrascht vom Entscheid. «Wir haben vom bernischen Verwaltungsgericht kein Geschenk erwartet.» Pierre-André Comte hält den Entscheid des Gerichts für empörend. Der alte Kämpe aus den heissen Jahren des Jura-Konflikts ist Sekretär des Mouvement Autonomiste Jurassien mit Sitz im bernischen Feindesland, ebenfalls im Hôtel de la Gare.

«Unsere Wut ist gross, das ist ein Schlag gegen die Demokratie», sagt er, «Moutier hat genug von der Ungerechtigkeit.» Man wolle keine zweite Abstimmung abwarten, sondern eine schnelle Anerkennung des Abstimmungssieges vom 18. Juni 2017. Für die Separatisten im de la Gare ist klar: Das offizielle Bern, das den Separatisten den Sieg vom 18. Juni 2017 nicht gönnt, hat wieder einen politischen und parteiischen Entscheid gefällt.

 

Feiernde Sieger

In Moutier gibt es auf kleinstem Raum getrennte Welten. Nur ein paar Hundert Meter entfernt, im Hôtel du Cheval Blanc, lässt das berntreue Komitee Moutier Prévôté schon vor dem Mittagessen die Korken knallen. Die Proberner haben zur Medienkonferenz eingeladen und feiern ihren Sieg vor Gericht. Die Verantwortlichen erheben ihr Champagnerglas. «Es ist nicht das Ende aller Prozesse, aber zumindest von einem», sagt ein erleichterter Patrick Roethlisberger, FDP-Gemeindepolitiker und Kopf des berntreuen Komitees. Warum die sonst so defensiven Proberner nun so offensiv feierten, wird er gefragt. Man feiere ja hier unter sich, und vielleicht hätte man vorher offensiver auftreten sollen, erwidert er.

Roethlisberger und seine Leute fordern, dass die separatistischen Spitzenleute, die den «Abstimmungsbetrug» verantworten, von ihrer Position zu entfernen seien. Namentlich Stadtpräsident Marcel Winistoerfer (CVP). Dieser ist allerdings erst kürzlich mit deutlichem Mehr wiedergewählt worden. Klar, würden die separatistischen Verlierer vors Bundesgericht gehen, glauben die Proberner, sonst würden sie ja anerkennen, dass sie unsauber gearbeitet hätten. Zum Schluss appellieren die Berntreuen an die Vernunft der Separatisten: «Man kann seine Enttäuschung auch ausdrücken, wenn man sich im Rahmen der Regeln bewegt.»

Aus Delémont teilt die Regierung des Kantons Jura derweil mit, man bedaure den Entscheid des bernischen Gerichts und die fortgesetzte Unsicherheit für Moutier. Die Abstimmung vom Juni 2017 sei hochkontrolliert und dadurch korrekt erfolgt. Der jurassische Regierungsrat fordert, Moutiers Bewohner müssten sich in einer gültigen Wahl äussern können, wie das 2012 mit dem Kanton Bern vereinbart worden sei. Die Regierung gibt ihrer Hoffnung Ausdruck, dass Moutier bald dem «jurassischen Haus» beitrete.

 

Trauriger Stapi Winistoerfer

Als die Uhr im Rathaus ein Uhr schlägt, fängt Moutiers Gemeindepräsident an zu sprechen. Marcel Winistoerfer nimmt mit dem hinter ihm aufgereihten Gemeinderat Stellung zum Entscheid des Verwaltungsgerichts. Zuerst bedankt er sich für das grosse Interesse, das «seinem» Städtchen entgegengebracht wird. «Das ist aber auch die einzige Freude heute», fügt er hinzu. Er erzählt vom dreitägigen Stadtfest, an dem Tausende nebeneinander gefeiert hätten. «Es hat nicht den kleinsten Zwischenfall gegeben.» Die Stimmung in Moutier, sie sei keineswegs problematisch.

Angesprochen auf die Kritik des Gerichts an seiner Person (siehe Zweittext) und auf die weiteren Schritte der enttäuschten Separatisten, erklärt Winistoerfer: «Ich persönlich würde den Entscheid ans Bundesgericht weiterziehen. Wenn man angegriffen wird, muss man sich schliesslich verteidigen.» Natürlich sei das mit dem Risiko verbunden, dass das Bundesgericht gleich entscheiden würde wie das Verwaltungsgericht. «Aber es wäre zumindest sicher, dass das nicht von Bern aus gesteuert wird.» Nur der Gemeindepräsident spricht im Saal. Die Stimmen der probernischen Gemeinderatsmitglieder sind nicht gefragt. «Der Gemeinderat tritt mit einer gemeinsamen Stimme auf», sagt Winistoerfer.

 

Zurückhaltende Berner

Ein Stunde später treten im Rathaus der fernen Kantonshauptstadt Bern der Regierungspräsident Christoph Ammann (SP) und der bei den Separatisten unbeliebte, forsch probernische SVP-Regierungsrat Pierre Alain Schnegg vor die Kameras. Ammanns Wortwahl ist diplomatisch, Bern will nur ja nicht triumphieren oder provozieren: «Alle Augen sind einmal mehr nach Moutier gerichtet, diese gespaltene Stadt, die seit zwei Generationen um eine Lösung ringt und noch keine Zukunft hat», hebt Ammann salbungsvoll an. Moutier brauche einen Volksentscheid, der zweifelsfrei den Willen des Volks ausdrücke.

Das sei aber gemäss dem Urteil des Verwaltungsgerichts beim Urnengang vom 18. Juni 2017 in beunruhigendem Masse nicht geschehen. Man bedaure das, sagt Ammann. Er schiebt nun doch nach, dass die Kantonsregierung für einen Verbleib Moutiers bei Bern sei. Er zeigt sich aber offen für eine Wiederholung der Abstimmung. «Zu erklären, wann und wie das vonstattengeht, dafür ist es noch zu früh», schliesst Ammann.

Vor dem Rathaus in Bern wie auch am Kreisel von Moutiers Durchgangsstrasse stehen je drei Berner Kantonspolizisten. Alles ist ruhig, sie haben an diesem emotionalen Tag nichts zu tun. Die Manifestation der Separatisten in Moutier ist erst für heute Freitagabend angesagt.

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Gericht kritisiert Behörden scharf

Deutlicher hätte die gestrige Mitteilung des bernischen Verwaltungsgerichts nicht enden können: «Die Annullation der Gemeindeabstimmung vom 18. Juni 2017 wird bestätigt.» Gemeint ist der Urnengang, bei dem sich Moutier mit einem knappen Mehr von 137 Stimmen für einen Wechsel zum Kanton Jura ausgesprochen hatte. Die Berner Richter haben gemäss ihrer Urteilsbegründung zwar zwei Einzelentscheide der bernjurassischen Regierungsstatthalterin Stéphanie Niederhauser aufgehoben, unter dem Strich aber gaben sie ihr vollumfänglich recht. Sie hatte die Abstimmung von 2017 im letzten November für ungültig erklärt.

Laut dem Urteil haben die Gemeinde Moutier sowie 89 Bürgerinnen und Bürger des Jurastädtchens – alle aus dem separatistischen Lager – einzeln oder in Gruppen Rekurs gegen den Annullierungsentscheid der Statthalterin eingelegt. Diese musste nach dem knappen projurassischen Abstimmungssieg mehrere Beschwerden aus dem berntreuen Lager behandeln. Die Vorwürfe: Unregelmässigkeiten bei der Abstimmung und parteiische Einmischung von Moutiers projurassischem Stadtpräsidenten Marcel Winistoerfer (CVP) in den Abstimmungskampf.

Bei den zwei Entscheiden der Statthalterin, die das Gericht aufgehoben hat, geht es um eine systematische Kontrolle der Wähler im Wahllokal und ein Schreiben von Winistoerfer an die Lehrer von Moutier. Auf die Beschwerden zu diesen Sachverhalten hätte die Statthalterin nicht eingehen sollen, findet das Gericht. Es teilt aber Niederhausers Auffassung, «dass die Gemeinde Moutier als Organisatorin der Abstimmung vom 18. Juni 2017 nicht mit der gleichen Freiheit wie andere Redner in der Debatte Stellung nehmen durfte». Das Verwaltungsgericht beurteilt namentlich ein Editorial von Marcel Winistoerfer in der Gemeindezeitschrift «Moutier» als unerlaubte Einmischung in den Abstimmungskampf.

Die Richter kritisieren weiter die Weigerung der Gemeinde Moutier, der Berner Staatskanzlei und dem Bundesamt für Justiz früh genug die Wahllisten zu liefern. So habe man «die Zuverlässigkeit der Wahlliste und den starken Verdacht auf fiktive Wohnsitznahme» nicht mehr überprüfen können. Die Gemeinde Moutier habe überdies mit ihren Vorschlägen für eine Erweiterung der Briefwahl – etwa durch zusätzliche Briefcontainer – gegen das Gesetz und Vorschriften über eine Organisation von Abstimmungen verletzt. «All diese Verstösse dürften einzeln oder in ihrer Gesamtheit das Ergebnis der Abstimmung beeinflusst haben», zieht das Gericht Bilanz. Die Folge: eine Annullierung des Urnengangs.

Die separatistischen Abstimmungssieger vom Juni 2017 können nach ihrer zweiten Abfuhr nun ans Bundesgericht gelangen und hoffen, dass dieses die Abstimmung doch noch für gültig erklärt. Bestätigt dieses die Annullierung, dürfte der Urnengang wiederholt werden. Die Projurassier könnten aber auch auf einen Weiterzug verzichten. Dann dürfte es ebenfalls eine zweite, womöglich gar frühere Abstimmung geben. Die Kantone Bern und Jura haben das zugesichert. So würden die Separatisten allerdings das Urteil akzeptieren und eingestehen, dass sie beim Urnengang Fehler gemacht haben – was sie bis jetzt von sich weisen. Stefan von Bergen

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