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Stadt Bern

Ganz nebenbei Französisch lernen

Seit diesem Schuljahr gehen im Marzili 24 Kinder in den zweisprachigen Kindergarten. Die eine Lehrerin spricht Deutsch mit ihnen, die andere Französisch. Klassischen Sprachunterricht gibt es aber nicht.

Mal singen sie auf Deutsch, mal auf Französisch: Leherin Claire Hilber und die Kinder im zweisprachigen Kindergarten. Bild: Adrian Moser

Lea Stuber

«Matvei, qu’est-ce que tu fais? Viens t’asseoir.» 23 von 24 Kindern sitzen im Kreis, auch das letzte setzt sich auf seinen grünen Hocker. «Mathilda, machst du auch mit?» Kinderhände bewegen sich nach oben und unten, das letzte Kind setzt auch in den Rhythmus ein. Es dauert einen kurzen Moment, bis Claire Hilber, die französische Stimme, und Dominique Im Hof, die deutsche Stimme, die Aufmerksamkeit der Kindergärteler haben. «Danser, danser», stimmen die beiden Lehrerinnen an, «danser toute la journée.» Dann besingt der erste zweisprachige Kindergarten der Stadt das Tanzen.

In Bern gibt es zwar die französische Schule. Doch die Kombination aus Deutsch und Französisch in einer einzigen Klasse existierte bisher nicht. Nun besuchen seit vergangenem August zwölf Kinder im ersten Kindergartenjahr und zwölf im zweiten Jahr die vom Kanton Bern bewilligte Classe bilingue. Ein Drittel der Kinder spricht zuhause vor allem Deutsch, ein Drittel Französisch, ein Drittel ist zweisprachig. Im Marzili-Pavillon reden sie die Hälfte der Zeit Deutsch, die andere Hälfte Französisch.

Inspiration für den zweisprachigen Kindergarten lieferte die Filière Bilingue in Biel, die seit 2010 läuft. Im Kindergarten in Bern gelten Deutsch und Französisch als gleichwertige Erstsprachen. Der Deutschschweizer Lehrplan 21 und der Westschweizer Plan d’études romand (PER) werden innerhalb einer Klasse kombiniert. Bisher gab es das in der Schweiz nicht. Vor den Medien sagte die Stadtberner Bildungsdirektorin Franziska Teuscher (Grüne) zum ersten grösseren Zweisprachenprojekt in der Volksschule: «Wir wollen damit einen Beitrag zur Annäherung zwischen den beiden wichtigen Schweizer Sprachregionen leisten.»

Die andere Znünipause

Der PER sei auch auf Kindergartenstufe schon stärker auf Fächer ausgerichtet, sagt Claire Hilber, die vorher in einem Kindergarten in Genf arbeitete. Stärker als der Lehrplan 21, der eher Themen vorsieht, wie zum Beispiel «Farben und Formen». Auch das Znüni unterscheidet sich in der Westschweiz. In Genf hatten Hilbers Kindergärteler eine halbe Stunde Pause, in der sie mit den anderen Klassen draussen waren. Dass die Kinder ihr Znüni jetzt gemeinsam im Klassenzimmer essen, ist neu für sie.

Feine kulturelle Unterschiede wie diese möchten Hilber und Im Hof den Kindern näherbringen. Es geht ihnen nicht darum, die Sprache zu unterrichten. Neue Wörter und Redewendungen sollen die Kinder kennenlernen, während sie aufs Gerüst klettern oder Fangen spielen. «Auch lesen und schreiben kann man sehr gut parallel in zwei Sprachen lernen», sagt Jésabel Robin von der Pädagogischen Hochschule, die das Projekt begleitet.

«Bravo! C’était très joli», sagt Claire Hilber. Das Lied ist fertig, gegenüber im Kreis übernimmt Im Hof: «Jetzt machen wir mit den Mützen weiter.» Gemäss der Idee von «une personne, une langue» spricht Hilber immer Französisch, Im Hof immer Deutsch. Im Hof erklärt, wie die Kinder aus einem farbigen Papier eine Mütze basteln können. «Wenn ihr nicht sicher seid, könnt ihr Claire oder mich fragen.» Am Anfang hätten sich viele deutschsprachige Kinder eher an Im Hof gewandt, sagt Claire Hilber. Inzwischen wagen sie auch, mit ihr zu sprechen – egal, ob auf Deutsch oder Französisch. Wenn ihr Anfang Schuljahr ein Kind etwas auf Schweizerdeutsch erzählt hat, musste Claire Hilber oft nachfragen – inzwischen versteht sie dank eines Schweizerdeutschkurses fast alles. «Ich finde es wichtig, vorzuleben, dass ich als Lehrerin nicht alles weiss und dass es in Ordnung ist, Fehler zu machen.»

Mit dem Velo ins Marzili

Das Aussergewöhnliche dieser Schule ist neben der Zweisprachigkeit der Schulweg. Eines der Kinder wohnt auf der anderen Seite der Aare. Die anderen haben einen weiteren Weg ins Marzili – sie kommen aus Bümpliz, aus der Länggasse oder dem Fischermätteli. Sie werden von ihren Eltern auf dem Velo oder mit Tram und Bus zum Kindergarten gebracht. Teuscher betont, dass sich – entgegen anfänglichen Bedenken – keine Elterntaxis etabliert haben.

Der Schulkreis war – neben Erstsprache und Geschlecht – eines der Kriterien, nach denen aus den 115 Anmeldungen die 24 Kinder ausgewählt wurden. Dass eher Kinder aus gut gebildeten und informierten Familien angemeldet werden als solche aus benachteiligten Familien, könne man bei einem Pilotprojekt wie diesem nicht verhindern.

Bislang gebe es keine andere Schule, die einen zweisprachigen Kindergarten einführen will, sagt Teuscher. Das Pilotprojekt hingegen wird weiter ausgebaut, schrittweise bis mindestens zur sechsten Klasse. Die älteren zwölf Kinder werden ab August die erste Klasse besuchen, in die Classe bilingue werden zwölf neue Kindergärteler eintreten.

Es ist kurz vor dem Mittag geworden. Während die einen Kinder im Nebenraum schon an ihren Mützen basteln, wirft ein Kind zwei Würfel auf den Teppich. Ein anderes streckt die Hand in die Höhe und zählt die Würfelaugen zusammen: «Quatre et six égal neuf, eh … dix.»

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