Sie sind hier

Abo

Köniz

Hakenkreuze auf dem Land

In Niederscherli und Mittelhäusern wurden Hakenkreuze gesprayt. Gemeinde und Schule setzen auf Rassismusprävention. Und ein Experte beklagt die «fortschreitende Banalisierung einer harten, rassistischen Zeichensprache».

Heftige Zeichensprache: Das aufgesprayte Hakenkreuz am Bauernhof in Mittelhäusern. Bild: zvg

Jürg Steiner

Sprayereien radikalen politischen Inhalts sind entlang der S-Bahn-Strecke zwischen Köniz und Schwarzenburg seit Jahren gang und gäbe. Häufig sind es heftige Parolen gegen Staat und Polizei, die das ländliche Gebiet als sonst eher in urbanen Zonen geläufige linksautonome Kampfzone markieren. Das Ortsschild von Schwarzenburg etwa ist seit einiger Zeit mit der Bezeichnung «Fascho-Land» übermalt. Eine unmissverständliche Ansage.

Vor wenigen Wochen erfuhr der politische Kampf per Spraydose eine Zuspitzung. Im Dorf Mittelhäusern, das noch zur Gemeinde Köniz gehört, prangte am Bauernhof der Familie von Hans Moser eines Morgens ein rot gespraytes Hakenkreuz, das Kampfsymbol der Nationalsozialisten, das für Hitlers faschistisches Regime und den Massenmord an den Juden steht. Gleich daneben am Mittelhäuserner Bauernhof fand sich ein eingekreistes A, das Anarchiezeichen der extremen Linken. Der Bauernhof liegt abseits der Strasse ennet den S-Bahn-Geleisen – schwer vorstellbar, dass er nicht bewusst als Ziel der Sprayerei ausgesucht wurde.

Belastende Ungewissheit
Hans Moser, Vizepräsident der SVP Köniz und Präsident des Ortsvereins Mittelhäusern, zeigt sich auf Anfrage «traurig darüber, dass man so völlig ohne Anstand miteinander umgeht». Abgesehen davon, dass die Verwendung dieses Symbols inakzeptabel sei, beschäftige seine Familie vor allem die Ungewissheit, warum sie Ziel einer solchen Attacke geworden sei. Selbstverständlich aber stelle er sich dem Thema: «Wir sind als Familie offen und bereit, über alles zu reden», sagt Moser, «ich würde mir wünschen, mich mit den Urhebern der Sprayerei zu treffen und die Sache bei einer Arbeit auf unserem Hof auszudiskutieren.»

In der Zwischenzeit wurde in Mittelhäusern auch noch ein Auto mit einem Hakenkreuz besprayt. Der Halter wie auch Moser haben Anzeige erstattet. Das Zeigen eines Hakenkreuzes ist in der Schweiz grundsätzlich nicht strafbar, solange es ein privates Bekenntnis ist. Unter der Anti-Rassismus-Norm strafbar wäre es, wenn damit öffentlich Werbung für die diskriminierende Ideologie gemacht würde. Was mit einer Hakenkreuzsprayerei passiert, ist nicht von vornherein klar – sofern die Urheber überhaupt gefunden werden. Trotzdem hält Dominic Pugatsch, Geschäftsführer der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) in Zürich, die seit 1992 eine Chronologie rassistischer und antisemitischer Übergriffe in der Schweiz führt, den Vorfall in Mittelhäusern für bemerkenswert.

Rassismus im Alltag
Dass gleich neben dem Hakenkreuz ein Anarcho-A erscheint, könne darauf hindeuten, dass es gesprayt wurde, um jemanden anzuschwärzen, sagt Pugatsch. Das wäre eine Art neue Eskalationsstufe. Pugatsch warnt aber auch davor, weitreichende Rückschlüsse zu ziehen, ohne die Hintergründe genau zu kennen. Wichtiger scheint ihm, das Hakenkreuz von Mittelhäusern als weiteren Beleg für «eine fortschreitende Banalisierung einer harten, rassistischen Zeichensprache» zu sehen. Man greife heute wieder leichtfertiger zurück auf diskriminierende Ausdrucksweisen, um aufzufallen und sich möglichst extrem zu positionieren. Der historische Zusammenhang werde dabei «nicht hergestellt oder schlicht ausgeblendet», sagt Pugatsch.

Er stellt auch eine «klare Zunahme des Alltagsrassismus» fest, an Schulen zum Beispiel, wo rassistische Neckereien plötzlich salonfähig würden, Dunkelhäutige auf einmal offen rassistisch angesprochen würden und man angepflaumt werde, wenn man in der Pause mit ausländischen Mitschülern unterwegs sei.

In Niederscherli, dem Nachbardorf von Mittelhäusern, haben sich kürzlich Eltern in einem Brief besorgt «über offenen Rassismus, Nazisymbolik und rassistische Sprache» unter Schülerinnen und Schülern an die Schulleitung der Oberstufe gewandt und präventive Massnahmen gefordert.

Hakenkreuz im Schnee
In den letzten Jahren war das Schulhaus Niederscherli oft Ziel antifaschistischer Sprayereien. Jetzt tauchen andere Symbole auf. Einer der von den Eltern aufgelisteten Vorfälle: Vor Weihnachten sei ein grosses Hakenkreuz auf dem Sportplatz in den Schnee gestampft worden, daneben die Zahl 88 für «Heil Hitler».

Für Sam Meyer, Co-Leiter der Schule Sternenberg, zu der auch die Standorte Mittelhäusern und Niederscherli zählen, ist mit der Verwendung des Hakenkreuzes «die Toleranzgrenze ganz klar überschritten», wie er festhält. Die Schule müsse sich des Themas aktiv annehmen. Zum einen gehe es darum, im Unterricht den historischen Hintergrund von Symbolen wie dem Hakenkreuz unmissverständlich zu vermitteln. Zum anderen halte er es für wichtig, in der Schule geschützte Kanäle zu schaffen, in denen Ansichten, auch wenn sie extrem seien, diskutiert und reflektiert werden könnten. Meyer sieht im wieder häufigeren Auftauchen von Nazisymbolen auch eine Reaktion auf die Ausweitung der Toleranzgrenze. Provokationen gingen oft so weit, so Meyer, bis eine Reaktion komme.

Zivilcourage gefragt
Eine Reaktion kommt auch aus der Politik. «Hakenkreuze, egal, ob sie aus Unwissenheit oder aus bestimmten Motiven gesprayt wurden, sind ein absolutes No-go», sagt Hans-Peter Kohler (FDP), für Bildung und Soziales zuständiger Könizer Gemeinderat. Dass Schulleiter Meyer nun dem Thema Rassismus Priorität einräumt, hält Kohler für «richtig und wichtig». Das Thema müsse sorgfältig, überlegt und unvoreingenommen angegangen werden. Noch diese Woche finde eine Koordinationssitzung statt, an der neben Schulleitung und Schulsozialarbeit auch die Fachstelle Prävention der Gemeinde Köniz teilnehme. Unabhängig von den jüngsten Vorfällen, sagt Kohler, überprüfe Köniz ihr Präventionskonzept. Klar sei für ihn, dass Rassismus und Diskriminierung hier auch dazugehörten.

An der Koordinationssitzung in Köniz dabei ist Giorgio Andreoli, Projektleiter der Informations- und Beratungsstelle Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus, die von den Gemeinden im Raum Bern und Burgdorf getragen wird. Andreoli hält auf Anfrage fest, dass in den letzten Jahren die Verwendung von Nazi-Symbolik nicht sprunghaft, aber spürbar zunehme. Es sei deshalb sicher richtig, dass die Gemeinde nun eine Auslegeordnung vornehme. Danach müsse man aber auch handeln und bereit sein, Auseinandersetzungen zu führen. Die Erfahrung zeige, dass die Stärkung der Zivilcourage ein wichtiges Instrument im Umgang mit Rassismusproblemen sei.

Nachrichten zu Kanton Bern »